Der Entschluss des Arbeitgebers, den Laden über Weihnachten und den Jahreswechsel zu schließen, war gleichzeitig meine Entscheidung, die Tage zwischen dem Wiegenfest des Herrn und Silvester für eine Tour zu nutzen. Da am Persischen Golf in diesen Tagen immer fleißig gekickt wird, sollte es eigentlich in diese Region gehen. Aber Pustekuchen - in den betreffenden Ländern waren nur wenige Begegnungen angesetzt, vermutlich weil im Januar die Asienmeisterschaft in Australien über die Bühne geht. Also wurde der Joker eingesetzt. Auf die Insel hätte ich grundsätzlich Bock gehabt, da sich einige brauchbare Kombinationen zusammen puzzeln ließen. Aber dort war ich dieses Jahr schon und es ist mir dort auch rund um Weihnachten und Neujahr zu überlaufen. Das Vereinigte Königreich ist halt nicht nur nah - es ist auch einfach und günstig zu erreichen. Das lockt dann in diesen Tagen halt die Hopper-Horden. Daher nahm ich nen Euro mehr in die Hand und kaufte mir eine Gabel in die Türkei. Schnäppchen sind ja in dieser Zeit nicht zu machen, da die freien Tage vom türkischstämmigen Bevölkerungsteil in unserem Lande bevorzugt zum Heimaturlaub genutzt wird. 280 Euro galt es dann für die Verbindung DUS-IST-ESB und TZX-IST-DUS einzusetzen. Was ist ESB, was ist TZX, wird sich nun ein Teil der treuen Leserschaft fragen. Ich überlasse es Euch, dass herauszufinden oder nicht. Ich erklär sowieso immer genug oder vielleicht sogar zu viel, da kann es nicht schaden auch mal die detektivische Gabe der Konsumenten zu fordern. Ganz schlaue Zeitgenossen und -genössinen können sich aber denken, dass die Auflösung auch noch zwischen den folgenden Zeilen dieses phänomenalen Textes lauert. Es gab zwei günstigere Möglichkeiten. Mit der deutlich billigeren Variante hätte ich mich aber des Abendspieles in Ankara beraubt und das nur etwas günstigere Angebot hätte 'Pegasus' geheißen. Da gönn ich mir aber für fünfzehn Euro mehr dann doch den guten Service von 'Turkish Airlines'.
Fr. 26.12. 20:00 - Genclerbirligi Ankara vs Galatasaray Istanbul 1:1 (Süperlig), 4.750 Zuschauer (500 Gäste)
Nach schlechtem Schlaf quälte ich mich um viertel nach fünf noch vor dem Wecker aus dem Bett. Die Abläufe sind ja dann mittlerweile Routine. Schnäuzchen putzen, Toilettengang, die letzten Sachen in die am Vorabend gepackte Tasche stopfen und auf geht's. Den Wagen ließ ich am gewohnten Parkplatz am Mülheimer Hauptbahnhof zurück. Mit dem RE1 fuhr ich zum Airport-Bahnhof und mit dem Sky-Train zum Terminal. Same procedure as schon hundert Mal. Eingecheckt und wieder mal gefühlte Stunden am Security-Check des Terminal C gewartet. Katastrophe! Da haben die gut und gerne ein Dutzend nagelneue Lines aufgebaut aber immer maximal drei offen. Dieses Mal gar nur zwei. Was soll das? Immerhin fiel dadurch die Warterei am Gate aus, da das Boarding unmittelbar nach meinem Eintreffen begann. Flieger leider voll besetzt und wegen Online-Checkin-Faulheit zurecht mit nem Mittelplatz bestraft. Fällt bei 'Turkish Airlines' zum Glück nicht so ins Gewicht. Die Beinfreiheit, selbst auf Kurz- und Mittelstrecke, finde ich überragend. Da wir in Düsseldorf beim Enteisen der Maschine (bei vier Grad plus?!) mächtig Zeit vertrödelt hatten, kamen wir mit Verzug am 'Atatürk Airport' an. Der Terminalwechsel von 'International' auf 'Domestic' erfordert hier ja auch immer nen endlosen Fußmarsch, so dass ich am ätzenden Inlandsterminal nicht lange warten musste. Gut so. Wir rollten dann zwar pünktlich los, aber da es am viel zu kleinen 'Atatürk' an der Runway immer eine Warteschlange von circa vierhundert Maschinen gibt, kamen wir entsprechend spät in die Luft und landeten mit einer Dreiviertelstunde Verspätung am 'Esenboga Airport'. Kein Problem - das Zeitpolster war groß genug. Von dort brachte mich der Shuttle-Bus für faire acht Lira (keine drei Euro) zum ASTI-Terminal, dem riesigen Busbahnhof. Wahnsinnsgewusel dort - beinahe wir auf dem Basar. Hier machte ich mir für dreißig Lira schon mal ein Ticket für den Bus nach Karabük für den nächsten Morgen um 9:30 Uhr klar. Mit der Metro führ ich dann vier Stationen bis 'Tandogan' und lief von dort ein paar hundert Meter zum '19 Mayis Stadyumu', der abendlichen Spielstätte.
Seit dem Frühjahr muss jeder Besucher eines türkischen Fußballstadions im Besitz der sogenannten 'Passolig-Card' sein. Bei Beantragung dieser muss man seine persönlichen Daten angeben und ein Foto hochladen. Der Zweck ist klar - der Fan soll gläsern und kontrollierbar werden. Natürlich auch eine Folge von Gewaltausbrüchen in türkischen Stadien. Man kann darüber gespaltener Meinung sein. Sicherlich sehe ich diese Registrierungen, wie es sie ja mittlerweile in einigen Ländern auf verschiedene Arten gibt, äußerst kritisch. Andererseits gehen die Uhren bei Auseinandersetzungen rund um den türkischen Fußball ja auch anders. Da bleibt es nicht bei ein paar Backpfeifen, sondern es ist schnell mal ein Messer im Spiel. Wie auch immer - will man in der Türkei Fußball sehen, braucht man diese Karte. Das gilt auch für Ausländer. Die Türken waren zwar so clever die Registrierung auch für Nicht-Türken zugänglich und durchführbar zu machen, aber in die entsprechenden Länder versenden tun sie die Karte nicht. Die Lösung ist eben, dass man die Karte zum Verein bzw Stadion seines Wunsches senden lassen und diese dort abholen kann. Klappte dann auch, wenn auch mit Hindernissen, aber glücklicherweise war der Ticket-Mokel, an den ich mich wandte hilfsbereit und ehrgeizig genug, meine Registrierung zu finden.
Leider musste ich mir dann zur Aktivierung direkt den Eintritt für das Spiel auf die Karte laden, was mit 52 Lira (knapp 18 Euro) für die billigste Kategorie zu Buche schlug und mir alternative Zutrittmöglichkeiten unmöglich machte. Die Karte besitzt auch Kreditkarten-Funktion (für Ausländer nur Prepaid). Eines der Vorstandsmitglieder der betreuenden Bank ist übrigens ein Mitglied von Präsident Erdogans Familie. Zufälle gibt's manchmal...! Diese Hürde war also genommen, daher stratzte ich nun in Richtung des vorab gebuchten 'Güleryoz Otel', das fußläufig zum Stadion lag. Auf dem Weg dorthin wollte ich eigentlich ein paar Dosen Bier für die zimmerliche Abendgestaltung erwerben, aber das war gar nicht mal so einfach. Im kleinen Supermarkt direkt neben dem Hotel gab es keinen Alk. Der Kassen-Mokel schickte mich die Straße hoch, dort gab es aber auch nix und nun begann das alte türkische Spiel. Niemand wollte mich hängen lassen, jeder hatte eine guten Rat - nur scheinbar nicht den richtigen. Oder war ich zu blöd und verstand es nur nicht. Mein Türkisch ist ja auch etwas eingerostet *hust*. Als ich für meinen Geschmack genug durch die Gegend gelaufen war, entschloss ich mich erst einmal Hotel einzuchecken und die Mission auf später zu verschieben. Gute Entscheidung, denn die Lösung lag so nah... wurde doch an der Rezeption 'Efes' in Dosen verscheuert. Das Zimmer entsprach dem Preis-Leistungs-Verhältnis (48 Euro für zwei Nächte mit Frühstück). Es war alles da, was man braucht und vor allem war es sauber und hatte vorzeigbare sanitäre Anlagen, womit die Muss-Voraussetzungen erfüllt waren.
Lange hielt ich mich nicht auf und machte mich auf den Weg zum Stadion. Vor dem Hauptportal dampften diverse Straßengrills vor sich hin. Derartigem kann ich ja nur selten aus dem Weg gehen. Guter Zufall, dass ich einen Bärenhunger hatte. So gab es erst einmal ein fettes Kebab-Sandwich mit allen Gemeinheiten. Schweinelecker!
Das '19 Maysis Stadyumu' ist ein Stadion der guten alten türkischen Ranz-Schule. Ein recht abgewohntes Teil für etwas mehr als 19tsd Zuschauer mit einer zerfledderten Laufbahn und bröckelnden Stufen. Auch die Korrosion an den Trägern und Dach ist nicht zu übersehen. Und dennoch oder gerade deswegen ein sehr charmantes Ding. Jedenfalls allemal begehrenswerter als zum Beispiel die neuen Arenen von Gala und Fener, die mich mal so gar nicht reizen. Wie erwartet hielt sich die Zuschauerzahl in Grenzen. Knapp 5tsd hatten den Weg gefunden, was zwar immer noch eine Steigerung von beinahe 500% bedeutet, wenn man bedenkt, dass Genclerbirligi teilweise nur eintausend Besucher begrüßt, aber so oder so ein ganz, ganz schwaches Bild zeichnet, vor dem Hintergrund, dass Ankara fünf Mio Einwohner hat, Gencler das einzige Erstliga-Team der Hauptstadt ist und sich dazu noch einer der Vorzeige-Clubs des Landes vorstellt. Aber ist halt nicht das hiesige Lieblingsteam. Dieses ist eigentlich Ankaragücü, das nach finanziellen Querelen mittlerweile auf drittklassiges Niveau abgesunken ist, aber trotzdem regelmäßig mehr Zuschauer begrüßen darf als der Ortsrivale. Natürlich trägt auch die neue Fan-Karte zu den mageren Zuschauerzahlen bei. Komischerweise traf diese bei den Fans nicht auf Gegenliebe und viele entschieden sich, keine Fußballspiele mehr zu besuchen sondern z.B. die Basketball-Abteilung des betreffenden Vereins zu unterstützen. Bei manchen Clubs sind die Zuschauerzahlen um die Hälfte zurückgegangen. Bleibt abzuwarten, ob sich die Situation verbessert.
Die Karte wird den Kampf aber wohl in jedem Falle überdauern. Auf der Gegengeraden versammelte sich ein gar nicht mal so kleiner Heim-Mob. Vernünftige Lautstärke brachten die Jungs aber nur die ersten Minuten zustande. Unverständlich, da ihr Team gegen den hohen Favoriten die Initiative ergriff und mehrere gute Möglichkeiten zur Führung besaß. Gästefans waren zunächst gar keine auszumachen.
Gala hatte wegen irgendwelcher Vorkommnisse drei Spiele Auswärtssperre bekommen. Aber ein Club wie Gala hat ja im ganzen Land Anhänger. Nach wenigen Spielminuten, gab es in einem Kurvenblock einzelne Anfeuerungen und aus dem Nichts strömten plötzlich gut fünfhundert Leute aus der ganzen Kurve in den Block und formierten sich zum Gäste-Mob, der dann auch trotz pomadigem Spiel des Galatasaray-Teams die deutlich bessere Stimmung machte. Wie das dann so ist, wenn der Underdog seine Möglichkeiten nicht nutzt, reichte der favorisierten Mannschaft ein einziger guter Angriff zur Führung. Am Kräfteverhältnis änderte das nichts, aber die Anzeigetafel lügt ja nie. Nach dem Wechsel konnte Gala den Kick für eine Viertelstunde mal kontrollieren, dann übernahm Gencler wieder die Zügel. Als ich eine Viertelstunde der Meinung war, dass die Gastgeber aus ihrer spielerischen Überlegenheit und den guten Torchancen kein Kapital schlage können, netzte ein Akteur doch eine Flanke zum mehr als verdienten Ausgleich ein. Das schien Gencler aber zu reichen, denn fortan zog man sich zurück und setzte auf Konter. Gala hatte in den letzten Minuten noch ein paar gute Chancen, auch einen echten Tausendprozenter - meine Fresse, war das ne Beule - konnte den siegbringenden Treffer aber nicht mehr erzielen. Tabellenführung verfehlt. Ich wollte nur noch zurück ins beheizte Zimmer, weil es mittlerweile knackig kalt geworden war. Aber die Kebab-Griller, diese Drecksäcke, hatten ihre Grillstände nun direkt vor den Blockausgängen positioniert. Kam ich natürlich wieder nicht schadlos dran vorbei. Im Zimmer goss ich mir dann noch in Ruhe drei wohlverdiene 'Efes' aufs Gemüt und kam viel zu spät in den Schlaf.
Sa. 27.12. 13:30 - Kardemir Karabükspor vs Balikesirspor 1966 0:1 (Süperlig), 3.000 Zuschauer (100 Gäste)
Denn um zehn vor acht klingelte schon wieder der Wecker, so dass das Aufstehen echte Mühe bereitete. Nach der kurzen Nacht vor dem Abflug, wäre ein wenig mehr Erholung schon gerechtfertigt gewesen. Das Frühstück wurde glatt verfehlt und mit der Metro fuhr ich von der Station 'Ulus' mit einmaligem Umsteigen zum 'ASTI'. Eine Fahrt kostet, egal ob mit oder ohne Umstieg, 2,60 Lira, also nicht einmal einen Euro. Das Bus-Terminal kam mir heute noch riesiger vor als gestern. 147 Bussteige sprechen für sich. Aber wen wundert's. In einem Land, in dem der Eisenbahnverkehr nur eine untergeordnete Rolle spielt und beinahe jedes Dorf mit dem Fernbus erreichbar ist, muss bei der Vielzahl von Anbietern in einer Millionen-Metropole wie Ankara ja für eine entsprechende Infrastruktur gesorgt werden. Pünktlich ging es los.
Zunächst über die durchgehend dreispurige Autobahn Richtung Istanbul, die Vorzeigestrecke des Landes. Wir schraubten uns ganz ordentlich in die Höhe, das Wetter wurde kälter uns schlechter,
so dass zwischendurch eine dichte Schneedecke rechts und links der Fahrbahn zu sehen war. Nach zwei Dritteln der Strecke verließen wir die Autobahn ab und hatten dann nach weniger als zweieinhalb Stunden die 240 Kilometer bewältigt. Am Stadtrand passiert man eine unheimlich vor sich hin qualmendes monströses Stahlwerk. 'Kardemir A.S.' heißt der Schuppen und ist Namensgeber für den örtlichen Fußballclub und der größte Arbeitgeber der Region. Man kann wohl sagen dass Karabük ohne das Werk keinerlei Bedeutung hätte. Viel mehr hat die Stadt mit ihren 100tsd Einwohnern auch nicht zu bieten. Ich latschte nur ein wenig durch die Gegend, machte bei nur leicht bewölktem Himmel mit viel Sonne und guten fünfzehn Grad Staatsgründer Atatürk meine Aufwartung und lief dann in Ruhe zum Stadion hoch.
Das 'Dr.Necmettin Seyhoglu Stadi' bietet Platz für circa 7.500 Zuschauer und ist ein richtig schön enges reines Fußballstadion mit steilen Doppelstock-Tribünen. Eigentlich Kategorie Hexenkessel, aber aus bereits erläuterten Gründen füllte sich die Bude nur mäßig. Überrascht war ich vom der circa hundert Köpfe starken Away-Mob.
Das ist zwar jetzt kein brachialer Mob, aber Balikesir ist knapp 600 Kilometer von Karabük entfernt und Verein ist mit nur acht traurigen Pünktchen abgeschlagen Tabellenletzter. Dementsprechend hatte ich mit null Gäste-Supportern gerechnet und durfte mich nun an einem schön beflaggten Block und 97minütigem durchgehendem Away-Support erfreuen. Daumen hoch dafür. In der Heim-Kurve sammelten sich knapp 150 supportwillige Gestalten, die zwar ein paar Mal das ganze Stadion zum Mitmachen animieren konnten, aber bei weitem nicht so eine Party veranstalteten, wie die Gäste. Diese ließen sich dann nicht lumpen und feuerten zu Spielbeginn ein paar Böller ab. Ich bin da zwar grundsätzlich kein Freund von.
Böller können im Prinzip nix und sind nur laut und gefährlich. Unter sinn- und verantwortungsvollem Einsatz von Pyrotechnik verstehe ich etwas anders. Aber vor dem Hintergrund, dass man in den aktuellen Tagen der türkischen Fankultur eigentlich gar nichts erwarten darf, nahm ich die Kracher positiv zur Kenntnis, zumal die Teufelsdinger nicht in andere Blöcke oder auf das Spielfeld geworfen, sondern lediglich in unbesetzten Reihen des eigenen Away-Bereichs gezündet wurden. Für die eigene Mannschaft war dieses nicht die Initialzündung. Die Stahlkocher nahmen sofort das Heft in die Hand und erspielten sich mit dem Ex-Braunschweiger Domi Kumbela in den Reihen einige gute Möglichkeiten. Aber wie am Vortag wurden beste Torchance versiebt.
Es war sozusagen dortmundiös. Torlos ging es in die Pause und nach dieser genauso weiter, wie in Hälfte eins. Aber - Achtung, Floskel! - das Runde wollte einfach nicht ins Eckige. Die Eisenmänner erhöhten die Schlagzahl und Balikesir kamen nun zu einigen Kontermöglichkeiten. Aber langsam wurde klar, dass hier und heute kein Tor fallen würde. Zu ungestüm und übereifrig die Gastgeber. Zu harmlos die Gäste. Es lief die dritte Minute der Nachspielzeit, deren drei hatte es auch schon in der ersten Hälfte gegeben, und Karabük raffte sich zu einem letzten Angriff auf um die sicher einkalkulierten Zähler einzufahren und sich von den Abstiegsrängen ein wenig abzusetzen. Fehlanzeige! Ballverlust, endlich mal ein gescheiter Angriff der Gäste, feines Zuspiel - 0:1!!! Kollektives Ausrasten im Away-Sektor. Hundert Mann gingen ab wie tausend. Kurz wurde die Partie noch einmal angepiept, dann war es vorbei. Auswärtssieg! Mag sein, dass die Mannschaft Schrott gespielt und nur hinten drin gestanden hat. Aber für die treuen und sangeswütigen Fans, die alles ihnen Mögliche getan haben, um die Mannschaft in aussichtsloser Lage zum bitter nötigen Sieg zu treiben, war dieser Sieg mehr als verdient.
Da ich die Lage vercheckt hatte und mir vor der Abfahrt am Morgen bereits für 15:30 Uhr den Return nach Ankara gekauft hatte, um nicht zu spät zurück zu sein - völlig unnötig, denn es fahren beinahe jede Stunde Busse in die Hauptstadt - war nun ein kleiner Spurt zum Otogar nötig, der aber nur ein paar hundert Meter vom Ground entfernt liegt. Den Bus erreichte ich so grad eben und um zwanzig nach sechs war ich wieder in Ankara.
Mit der Metro fuhr ich zur Umsteigestation 'Kizilay' - es gibt nur zwei Linien - und lief von dort mal zur nahen 'Kocatepe-Moschee', der größten der Stadt. Zwar ganz schön beleuchtet, aber auch nicht der Oberkracher. Der Magen drückte nun, aber in diesem Viertel war die halbe Stadt auf den Beinen und alle noch so gut aussehenden Kebab-Tempel bis auf den letzten Platz gefüllt. Ich fuhr zurück in die Gegend um mein Hotel und gönnte mir dort ein Lamm-Kebab in dünnes Fladenbrot gewickelt mit Salat. Als ich dann ein wenig die Straße runter lief um neue Lira-Penunsen zu ziehen, stand ich plötzlich vor dem Alkohol-Shop, zu dem mich gestern alle schicken wollten. Na also, geht doch. So viel billiger als im Hotel war der Stoff dann aber gar nicht. Bier in der Türkei ist nicht wirklich günstig. Fünf Lira, also 1,85 Euro kostet die Halbliter-Dose. Beschissen wurde ich auch nicht. Die unverbindliche Preisempfehlung ist aufs Weißblech aufgedruckt. Ab ins Hotel, ein wenig Internet, ein wenig Bericht schreiben und dann ab ins Reich der Träume.
So. 28.12. 13:30 - Torku Konyaspor U21 vs Besiktas Istanbul U21 3:7 (U21-Süperlig), 100 Zuschauer (40 Gäste)
So. 28.12. 19:00 - Torku Konyaspor vs Besiktas Istanbul 1:2 (Süperlig), 39.672 Zuschauer (1.500 Gäste)
Obwohl ich recht geräuschempfindlich bin, vor dem Hotel fast rund um die Uhr viel Verkehr und Rumgemokel ablief und gegenüber eine riesige Moschee errichtet wird, ratzte ich wie ein Baby. Hatte wohl noch etwas Schlafmangel. Der Wecker bimmelte um 8:00 Uhr.
Ich hatte eigentlich vor, heute meinen zweiten Basketball-Länderpunkt zu machen. Ist ja nicht so mein Sport, aber in Konya liegen Halle und Stadion direkt nebeneinander und vor dem Abend-Kick sollte um 16:00 Uhr um Körbe gerangelt werden, da kann man da ja mal hin stratzen. Seit drei Jahren verkehren zwischen Istanbul und Ankara sowie Ankara und Konya Hochgeschwindigkeitszüge. Diese fahren mehrmals täglich und lassen sich online buchen. Ich entschied mich für die Schaukel mit Abfahrt um 11.15 Uhr, nur um zwei Klicks später festzustellen, dass der Verband die Basketball-Partie einen Tag nach hinten gelegt hatte. Tolle Sache. Und um noch was von Ankara zu sehen, stand ich nun recht früh auf.
Seit drei Jahren verkehren zwischen Istanbul und Ankara sowie Ankara und Konya Hochgeschwindigkeitszüge. Diese fahren mehrmals täglich und lassen sich online buchen. Ich entschied mich für die Schaukel mit Abfahrt um 11.15 Uhr, nur um zwei Klicks später festzustellen, dass der Verband die Basketball-Partie einen Tag nach hinten gelegt hatte.
Tolle Sache. Und um noch was von Ankara zu sehen, stand ich nun recht früh auf. Kurzes Frühstück mit türkischer Wurst, weißem Käse und Oliven und dann stiefelte ich bei blauem Himmel den direkt hinter dem Hotel liegenden Festungshügel hinauf. Die 'Ankara Kalesi', deren Ursprünge 2tsd Jahre alt sind.
Das Festungsgelände ist recht weitläufig, wie eine kleine eigene Stadt. Das Viertel ist zumindest zum Teil gut gepflegt und man sieht viele gut erhaltene Häuser im osmanischen Stil. Vom höchsten Punkt hat man einen phantastischen Rundum-Blick über die Millionen-Metropole. Den Hügel hinunter nahm ich einen anderen Weg und stattete der 600 Jahre alten 'Haci-Bayram-Moschee' noch einen Besuch ab. Zu dem Komplex gehören ein Mausoleum und der Augustus-Tempel aus dem zweiten Jahrhundert. Es ging nun auf halb elf zu. Also Sachen aus dem Hotel geholt und 'Güle Güle' - ich muss weiter. Zum Bahnhof war es nur ein Fußweg von einer Viertelstunde. Um den YHT-Schnellzug zu entern muss man eine Sicherheitskontrolle durchlaufen. So oberflächlich wie diese von statten geht, könnte man sie aber auch ganz knicken. Weil ich es ja habe, hatte ich mir einen Sitz in der 'Business Class' erworben, was der besten Klasse entspricht. Dafür mussten dann mit 33,50 Lira (ca 12 Euro) sage und schreibe sechs Lira mehr entrichtet werden, als für die zweite Liga. Ist ja Wahnsinn! Bordservice wie im Flugzeug ist inklusive und so fliegt man mit 250 Sachen durch die recht eintönige Feld- und Wiesenlandschaft. Der Zug hat nicht die Laufruhe eines ICE aber man benötigt für die 306 km nur ein dreiviertel Stunden, statt dreieinhalb Stunden mit dem Bus.
Ziemlich genau um 13.00 Uhr waren wir am Ziel und ich betrat konyanischen Boden. Da das 'Atatürk Stadymu', der alte Ground von Konyaspor, in unmittelbarer Nähe zum Bahnhof und außerdem auf dem Weg zum Hotel lag, wollte ich diesem einen Besuch abstatten. Um das heutige Süperlig-Spiel darin zu sehen, war ich ein halbes Jahr zu spät. Seit Saisonbeginn zockt der Verein in der neuen Arena und das 'Atatürk' soll demnächst abgerissen werden. Schade, aber man kann sich die Bude ja mal von außen ansehen.
Am Stadion sah ich dann an den Eingängen zur Haupttribüne geschäftiges Treiben in Person von Polizei und Ordnern. Die Nachfrage ergab, dass in wenigen Minuten die Begegnung der U21-Teams von Konyaspor und Besiktas angepfiffen würde. Volltreffer!! Klar, die Spiele des Nachwuchses finden in der Regel am selben Tag wie die Spiele der 'Süperlig' statt. Daran hatte ich aber gar nicht mehr gedacht und erst recht nicht hätte ich damit gerechnet, dass diese Partie im alten Rund über die Bühne geht. Sehr schön. So bekam ich unverhofft die Möglichkeit, einen Kick in diesem schönen alten, im typisch türkischen Stil erbauten Oval zu sehen. Die Geraden sind überdacht, die Kurven ungedeckt.
Alles ist schwer in die Jahre gekommen und es ist nicht mehr jede Sitzschale an ihrem Platz, aber diese Spielstätten versprühen einfach den Charme des grundehrlichen, vorkommerziellen Fußballsports. Eigentlich gehören Besuche von Nachwuchsrunden-Spielen nicht zu meinen bevorzugten Freizeit-Aktivitäten. Aber wenn man dabei so ne schicke Hütte mitnehmen kann, mach ich doch gerne eine Ausnahme. Im Laufe der ersten Hälfte kamen bei freiem Eintritt immer noch Leute ins Stadion, so dass sich letztlich circa einhundert Personen das Spiel gaben. Darunter befanden sich auch etwa zwanzig Leute der 'Carsi Konya', also der Konya-Sektion der Besiktas-Ultras, die ein paar Chants zum Besten gaben. Die Konya-Nachwuchs legte ganz ordentlich los und erspielte sich direkt zwei, drei Chancen. War aber dann wie bei den Großen. Besiktas reichte ein schneller Konter zur Führung. Schockte die Gastgeber erst mal nicht - es ging munter weiter in Richtung Besiktas-Schnapper. Bis zum zweiten Konter, der auch saß. Zwei weitere Minuten und ein Missverständnis zwischen Verteidiger und Torwart später lag die dritte Kirsche im Netz. Hier drohte ein Debakel. Bis zur Pause hatte das Resultat Bestand. Mit frischem Mut kamen die Konya-Bubis aus der Kabine und gaben nochmal Gas. Aber alles beim Alten, Besiktas markierte zwei schnelle Treffer, womit das Ding natürlich endgültig gelaufen war. Um die 70.Spielminute verließen die ersten Fans desillusioniert das schöne, alte Rund. Genauer gesagt ein Zuschauer. Noch genauer gesagt: ich. Ich wollte mich noch ein Stündchen im Hotel aufs Öhrchen legen und dann vorm Abendspiel in Ruhe was essen gehen. Der frühe Vogel fängt den Wurm. manchmal verpasst der frühe Vogel, aber auch noch ein paar Tore, wenn er das Stadion zwanzig Minuten vor Ende verlässt. Weitere fünf Kirschen fielen in dieser Partie noch, allerdings mit etwas anderer Verteilung. 3-7 hieß es am Ende.
Auf dem Weg zum Hotel konnte ich noch ein paar minarettbestückte Sights unter die Lupe nehmen.
Nur einen Block von meinem Hotel entfernt lagen die 'Selimiye-Moschee' aus dem 16.Jahrhundert und das 'Mevlana-Türbesi' aus dem 13. Jahrhundert, ein Mausoleum, das heute als Museum dient.
Sah in der spätnachmittäglichen Dämmerung ganz gut aus. Wirklich viel mehr hat die Stadt trotz auch nicht zu bieten, obwohl sie riesengroß ist. Im 'Deluxe Otel' war der Name leider nicht Programm. Aber das Preis-Leistungs-Verhältnis wurde mit 16 Euro für das Einzelzimmer mit Bad trotzdem übertroffen. Alles war sauber, nicht unmodern und in ordentlichem Zustand. Nach einer Riesenportion Kebab, Reis, Pommes und Salat, war es Zeit, sich zum Stadion aufzumachen. Der Sohnemann des Rezeptionisten zeigte mir den richtigen Dolmus, der mich knapp vierzig Minuten später an der Arena, die ganz im Norden liegt. Gerade mal 1,75 Lira wurden dafür aufgerufen. Für 60 Cent ging es also quer durch die Stadt. Da war schon gut was los.
Von außen sieht das Teil wie eine verkleinerte Ausgabe des Münchener Allianz-Schlauchboots aus. Konyaspor spielt normalerweise vor 10-11tsd Zuschauern. Da sich heute unisono der Tabellenführer und einer der beliebtesten Clubs des Landes vorstellte, hoffte ich auf 20tsd. Als ich dann die Nase ins Stadion steckte, sah es aber dreißig Minuten vor Kick-off schon gut gefüllt aus. Aus dem Gästeblock in einer der Ecken unter dem Dach schallten schon erste Gesänge.
Machte Hoffnung auf mehr. Zu Spielbeginn traute ich dann meinen Augen kaum. Beinahe ausverkauft durfte vermeldet werden. Damit hatte ich niemals gerechnet. Der Away-Sektor war mit circa 1.500 Besiktas-Fans gut gefüllt. Die aktiven Heim-Fans teilten sich in drei(!) Gruppen hinter den Toren und auf der Ost-Geraden. Vor allem die Gruppen hinter den Toren machten gut Alarm. Die Wechselgesänge knallten gut durch den Laden und alle paar Minuten stieg das ganze Stadion in die Gesänge ein. Die Gäste gaben auch durchgehend alles. Das war hier ein richtig gutes Ding. Konyaspor spielte auch gar nicht wie eine graue Tabellenmaus, sondern legte ordentlich los. Aber es lief wie einige Stunden zuvor - Besiktas reichte eine gute Möglichkeit zur Führung. Danach stabilisierten sich die Gäste und bis zur Pause blieb es ausgeglichen.
Nach der Pause bemühte sich Konya weiter um den verdienten Ausgleich. Nach einer Ecke ballerten die Gastgeber per Volley-Abnahme vom Sechzehner eine Rakete an die Querlatte, dass das Gebälk beinahe auf die Tribüne kippte. Das Scheppern hat man wohl selbst auf dem Mond noch gehört und die Seismographen in aller Welt haben die Vibration aufgezeichnet. Gut, dass der Schnapper die Hand nicht mehr an den Ball bekommen hat, da wäre wohl nur noch Knochenmehl übrig gewesen. Im direkten Gegenzug fiel der zweite Treffer für die Schwarz-Weißen. Konyaspor machte wütend weiter und hatte nun mehrfach gute Gelegenheiten zum Anschluss. Dafür musste aber erst zehn Minuten vor dem Ende ein zweifelhafter Elfer herhalten. Da es im Zuge dieser Entscheidung massive Proteste seitens Besiktas gab und sich ein Spieler die zweite Gelbe und damit einen Platzverweis eingefangen hatte, spielte die Heim-Mannschaft nun in Überzahl und gab nochmal alles. Am Ende reichte es aber nicht und die Gäste untermauerten ihre Meisterschafts-Ambitionen. Klasse Spiel, klasse Stimmung, richtig Schwein gehabt. Unter der aktuellen Bedingungen habe ich sicher eines der bestbesuchten und stimmungsvollsten Spiele der Saison gesehen. Die Fahrt zum Hotel war dann eine Geduldsprobe. Den richtigen Mini-Bus zu finden war kein Problem. Nur waren die Dinger natürlich alle zum Bersten gefüllt. Dauerte gute zwanzig Minuten bis ich zusteigen konnte. Auch wenn die Dinger noch so voll sind, käme niemand auf die Idee schwarz zu fahren und den Fahrer zu bescheißen. Egal wie groß das Gedränge ist - jeder reicht artig seine paar Schekel nach vorne, da ist der Türke grundehrlich. Find ich gut. Im Hotel gab es noch die üblichen 'Gute Nacht-Efes'.
Mo. 29.12. 20:00 - Trabzonspor vs Eskisehirspor 1:4 (Süperlig), 10.000 Zuschauer (40 Gäste)
Konfuzius sagt: Willst Du Trabzon sehen, musst Du früh aufstehen! Die Nacht endete also um Viertel nach sechs und war damit wieder viel zu kurz. Schlaf war auf dem ganzen Trip mal wieder nicht so Trumpf. Zwanzig Minuten Fußweg waren es zum Abfahrtpunkt des Airport-Shuttle. Dieser benötigt gut vierzig Minuten zum Havalimani und kostet nur zehn Lira. Also 3,50 Euro. Fairer Kurs, wenn man bedenkt, was mit den Airport-Shuttles mancherorts für ne Abzocke betrieben wird. Dort war ich dann um zwanzig vor acht, eine Stunde vor dem planmäßigen Abflug. Der Flieger kam dann aber erst um 9:25 Uhr rein, was ein wenig Nervosität herauf beschwor, da ich in Istanbul nur eine gute halbe Stunde Puffer bis zum Boarding für den Anschluss nach Trabzon hatte.
Wäre zwar grundsätzlich das Problem von 'Pegasus' gewesen, aber unnötiger Stress und unnötige Hektik wird ja gern umschifft. Immerhin waren wir um kurz nach zehn in der Luft. Beim weiten Bogen über die Stadt konnte man das neue Stadion nochmal von oben betrachten. Der Anflug auf 'Sabiha Gökcen' gestaltete sich aber mega-unruhig, weshalb der Captain wohl das Tempo drosseln musste und ich letztlich erst um 11:25 Uhr aus der Maschine kam. Hier ging dann mal die Welt unter. Heftiger Regen bei stürmischem Wind. So wurde man auf den zwanzig Metern vom Flieger zum Bus beinahe vollkommen durchnässt. Schnell durch das Terminal gehetzt und kurz nach Eintreffen, startete auch schon wieder das Boarding. Ankunft Trabzon dann gegen 14:00 Uhr Uhr bei angenehmen 15 Grad. Als ich so nach dem richtigen Shuttle in die City suchte, sprach mich eine Person in der von mir am besten beherrschten Sprache an. Bene aus Bielefeld fahndete auch nach dem passenden Gefährt und war in gleicher Mission unterwegs wie ich. Für den letzten Tag hatte sich die Reisegruppe also um einhundert Prozent vergrößert. Für gerade mal fünf Lira ging es die paar Kilometer vom Airport in die City. Wieder mal ein fairer Preis. Am zentralen Platz des Zentrums wurden wie vom Fahrer aus dem Bus komplimentiert.
Keine Ahnung, ob der den siebten Sinn hatte, aber das 'Demirgrand Otel', das Bene zufällig ebenfalls gebucht hatte, war nur etwa 500 Meter Fußweg entfernt. Mit 25 Euro kostete es wieder etwas mehr, aber das passte schon. Große vernünftige Zimmer mit eigenem Bad. Neben uns war auch die Gast-Mannschaft aus Eskisehir in dem Teil abgestiegen. Der Plan war nun, eine der wenigen bescheidenen Sights zu begutachten. Ich hatte die Festung dazu auserkoren. Bene schloss sich mir an. Dort angekommen, war der Marsch auf den Hügel umsonst. Einen Eingang konnten wir nicht sichten. Vielleicht gab es auch keinen, denn das Gemäuer sah auf Bildern deutlich interessanter und geräumiger aus, als aus der Nähe.
Also drauf geschissen und wieder runter in die Stadt, die mal so gar nicht gefiel. Eng, laut, hektisch, viele leer stehende vor sich hingammelnde Häuser und viele Schuttberge, wo wohl mal leer stehende vor sich hingammelnde Häuser gestanden haben. Die Luft war von den die Straßen verstopfenden Fahrzeugen abgasgeschwängert. Wenn man sich hier länger als drei Tage aufhält, dürfte man eine chronische Lungenkrankheit bekommen haben oder erstickt sein. So lange wollte ich aber auch nicht bleiben. Die Grundlage eines erweiterten Aufenthalts würde gegen 21:50 Uhr entzogen sein.
Am besagten Platz widmeten wir uns in einer Kebab-Grill der Nahrungsaufnahme. Ich hatte mir blind ein Gericht geordert, dass sich als leckerer Rindfleisch-Kartoffel-Gemüse-Durcheinander-Eintopf herausstellte. Die türkische Fresskultur ist für mich jedenfalls mit weitem Abstand das absolute Highlight des Landes. Zurück im Hotel verschwand Bene in seinem Gemach, während ich mich kurzentschlossen zum Berber aufmachte. Ich lasse mir ja gern mal von fachkundiger Hand die Gräten aus dem Gesicht schaben. Als einziger Kunde war ich für die beiden anwesenden Messer-Jockels ein gefundenes Fressen. Ohne eine gemeinsame sprachliche Basis zu haben, führten wir eine lebhafte Unterhaltung. Natürlich kam umgehend das Thema Fußball unter das Rasiermesser und ein paar Spielernamen, drei Vokabeln und viele Gesten machten eine gepflegte Fach-Unterhaltung möglich. Nach der Rasur gab es noch eine Creme-Maske für das zarte Antlitz und eine Rückenmassage. Hatte ich nicht bestellt und dachte erst, die Kollegen würden den ahnungslosen Touri als willkommenen Gold-Esel betrachten, aber für meinen 45minütigen Aufenthalt wurden nur fünfzehn Lira verlangt. Etwas mehr als fünf Euro. Beinahe unglaublich.
Nun wurde es aber Zeit für die wichtigen Dinge im Leben. Gegen zwanzig nach sechs starteten wir Richtung 'Hüyesin Avni Aker Stadi'. Mit dem Dolmus waren wir nach fünf Minuten wor Ort, wo sich unsere Wege trennten. Bene kämpfte sich auf die Gegentribüne, ich wollte mein Glück auf der Haupttribüne versuchen. Die Hütte liegt wunderbar eingeklemmt zwischen Wohnhäusern. Teilweise passt kaum eine Maus zwischen Stadion und Wohnbebauung durch.
Doch auch hier wird bald der letzte Ball gerollt sein. Das neue, moderne Stadion ist schon im Bau. Beim Landeanflug konnte man einen Blick auf den Ist-Zustand werfen. Der Rohbau am westlichen Stadtrand direkt am Meer ist weit fortgeschritten. Restbauzeit multipliziert mit dem Türkei-Faktor möchte ich einen Nutzungsbeginn zur Saison 2015-16 prophezeien. Interessierte heute aber noch nicht. An diesem lauschigen Winter-Abend - das Wetter wurde immer milder - wurde noch im alten Kabachel gekickt. Reiner Fußball-Ground mit recht steilen Tribünen. Bei ausverkauften Spielen sicherlich ein Hexenkessel mit eingebauter Sieg-Garantie. Mit einer Audience von knapp 10tsd Zuschauern wurden meine geringen Erwartungen sogar noch ein wenig übertroffen. Leider teilt sich der sangeswillige Teil der Fans in je circa zweihundert Mann hinter jedem Tor auf.
Warum bekommen die es nicht hin, sich zusammen zu gruppieren, um in diesen schwierigen Zeiten das Maximum an Unterstützung rauszuholen. Zwei, drei Mal ließ die Menge zumindest erahnen, was hier möglich ist, wenn sich mal das ganze Stadion aufraffte. Die Leute schienen mir fast noch heißblütiger zu sein als bei anderen Clubs des Landes.
Man spürt sowieso, dass die Stadt ihren Verein lebt und wenn man es nur daran fest macht, dass manche Straßen-Randsteine in weinrot-hellblau gestrichen sind. Im undankbar angelegten Gästeblock fanden sich knapp vierzig Away-Fans ein, die man beinahe nie hören konnte, die aber wohl auch keine großen Anstrengungen unternahmen. Der Bär steppte dort oben jedenfalls nicht. Trabzon war als Fünfter gegen den Viertletzten klarer Favorit, was die Realität auf dem satten Grün aber nicht wiederspiegelte. Eskisehirspor spielte unglaublich clever und konterte pfeilschnell. Dazu hatten die Gastgeber nicht unbedingt den besten Tag erwischt. Unglaublich viele Fehlpässe, Flanken hinters Tor, Seitenwechsel ins Aus - grauenhaft. Folgerichtig gingen die Gäste irgendwann in Führung. Nach dem Wechsel änderte sich das Bild. Und zwar spielte Trabzonspor noch miserabler, Eskisehir noch geschickter. Die Gäste hatten die Partie trotz weniger Ballbesitz völlig im Griff. Das zweite Tor zwanzig Minuten vor Ende war einfach eine logische Folge. Kurz darauf fiel aber der unerwartete Anschlusstreffer, was einen ganz netten Jubel-Orkan gab.
Geile Akustik in dem alten Bau. Und das, obwohl drei Seiten ungedeckt sind. Wenn sich demnächst Napoli in der Europa League-K.O.-Runde hier vorstellt, fliegt hier bei günstigem Spielverlauf das nicht vorhandene Dach weg, da bin ich mir sicher. Die Hoffnung währte aber nur kurz, denn das Gäste-Team erkonterte sich Treffer Numero drei und damit ganz sicher die Entscheidung. Auf den Tribünen knallten nun die Sicherungen etwas durch. In Stress-Situationen ist der Osmane an sich nun mal etwas emotional. Rund um den Gästeblock kam es zu Provokationen und auch im wichtigen Bereich auf der Haupttribüne kam es zu Scharmützeln. Nicht im Kader stehende Gästespieler 'unterhielten' sich handfest mit Offiziellen der Gastgeber, dass sogar die Polizei-Ottos in den Ehrenbereich einrücken musste. So wurde das vierte Tor für Eskisehir beinahe zur Nebensache. Die Gäste verbuchten also einen unerwarteten Auswärtserfolg und damit wichtige Zähler im Abstiegskampf. Mit Bene hatte ich mich blind an der Ecke zwischen Haupt- und Nordtribüne verabredet. Dumm nur, dass es die Ecke quasi nicht gab. Die Wohnbebauung liegt dort so eng am Stadion, dass der Bereich nicht öffentlich zugänglich ist. Eine kurze Runde drehte ich ums Stadion gedreht, aber der Teilzeit-Gefährte konnte nicht gesichtet werden. Mit einem Dürüm-Döner bewaffnet bewegte ich mich per pedes zum Hotel zurück. Dort traf dann auch Bene kurz danach ein. Ein Stündchen laberten wir noch und tranken ein, zwei Biere zusammen, dann musste ich mich in mein Gemach zurückziehen, da ja die Nacht wieder nur ein paar Stunden dauern sollte.
Di. 30.12. - Heimreise
Diese endete um zwanzig nach fünf. Genauer gesagt, um 5:00 Uhr, als der Muezzin seine Schäfchen das erste Mal zum Gebet aufforderte. Danach konnte ich nicht mehr pennen. Kurz vor fünf stand das am Vorabend georderte Taxi bereit. Um die Uhrzeit dauert die Fahrt zum Airport nur sechs, sieben Minuten. Viel los war da noch nicht. Schön, dass ich nun wieder bei der deutlich besseren der beiden großen türkischen Airlines Platz nehmen durfte. So ging die Heimreise schnell herum. Knapp zwei Stunden bis Istanbul-Atatürk, weitere zwei Stunden Aufenthalt und dann noch mal gute drei Umdrehungen des großen Zeigers bis nach DUS. Zweite Teilstrecke am Notausgang - so geht's. Gegen 14:00 Uhr durfte mich die Herzdame dann am Mülheimer Bahnhof einsammeln und das Fußballjahr 2014 war beendet.
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