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11.04.-30.04.2013 --- Bei den Gauchos
Die Vorgeschichte zu dieser Reise hat schon nen ziemlichen Bart, denn daran, diese in die Tat umzusetzen, arbeite ich ja schon zwei Jahre. Der Wunsch, dieses vermeintliche Paradies für Fußballsüchtige zu bereisen, besteht also schon länger. Alleine reisen kam nicht in Frage, so dass ich mich zunächst in Ruhe um einen geeigneten Mitreisenden kümmern wollte und daher gezielt in Frage kommende Personen ansprach. Dieses zunächst allerdings einigermaßen erfolglos, bis ich Nobbi eher in einem Nebensatz über mein Vorhaben in Kenntnis setzte und ihn fragte, ob er sich vorstellen könne, mit mir zusammen auf die andere Seite des Erdballes zu reisen. Konnte er und wir begannen vorsichtig unsere Vorstellungen und Ansprüche an eine derartige Reise anzupassen. Problematisch war die Zeitschiene, da Nobbi (im Gegensatz zu mir) beruflich bedingt relativ unflexibel war und wir daher nur einen engen zeitlichen Spielraum hatten. Da zumindest der Rahmen-Spielplan für Argentinien schon bekannt war, hatten wir dadurch relative Klarheit, dass wir dort leider keinen wirklich brisanten Clasico zu sehen bekämen. Nachdem also nun der mögliche Reisezeitraum feststand, begannen wir sporadisch nach Flügen zu schauen. Anfang Dezember war es dann soweit. Nobbi wies mich auf ein passendes Angebot von TAM hin und wir konnten für äußerst faire EUR 635,-- den Gabelflug Frankfurt-Sao Paulo-Buenos Aires und zurück Santiago-Sao Paulo-Paris über Expedia buchen. Zu Beginn des neuen Jahres wurden dann noch der Zubringer mit der Bahn nach Frankfurt und der Return per Lufthansa von Paris nach Düsseldorf günstig geschossen und so war die An- und Abreise-Logistik in trockenen Tüchern. Im Laufe des Januars sprang noch Tobias auf den Zug bzw das Flugzeug auf. Er buchte zwar andere Flüge als wird, jedoch waren An- und Abreisetag identisch. Nach der Flugbuchung warteten wir natürlich gebannt auf die Spielpläne für die übrigen anvisierten Länder und Mitte Januar hatten wir Klarheit. Der absolute Kracher war nicht dabei, allerdings war das für mich auch kein Primär-Kriterium. Das erstmalige Bereisen dieses Kontinents empfand ich als spannend genug, um die Fixtures so zu nehmen wie sie waren.
In den Wochen vor der Abreise flogen dann haufenweise Emails zwischen Mönchengladbach, Aachen und Essen hin und her, um Vorstellungen und Wünsche annähernd in Einklang zu bringen, was ja letztlich auch gelang und um das was an Hostels vorab buchbar war, in trockene Tücher zu bringen. Zwei Wochen vor Abreise flocht sich dann noch Grüni aus dem Westfalen-Lande teilweise ins Gefüge ein, was uns eine kleine Kontroverse hinsichtlich der zu buchenden Unterkunft einbrachte. Aber auch diese konnte relativ zügig gelöst werden. Weiteren Stress bereitete mir dann noch meine Flugbuchung. Die erste Etappe der Rückreise, der Flug von Santiago nach Sao Paulo wurde gecancelt, was eine Umbuchung seitens der Airline zur Folge hatte. Während Nobbi folgerichtig auf den nächstfrüheren Flug gebucht wurde, buchte man mich mal einfach entspannt auf den Folgetag. Das war natürlich totaler Blödsinn, da ich dadurch den Anschluss in Sao Paulo verpassen würde. Hätte die TAM eigentlich selber merken müssen. Hier leisteten die Servicekräfte von Expedia aber wirklich gute Arbeit und buchten mich auf dieselbe Maschine wie Nobbi, obwohl diese nach ursprünglicher Aussage in meiner Buchungsklasse bereits ausverkauft war. Jetzt blieb nur noch zu hoffen, dass nicht plötzlich wieder irgendwer auf die Idee kam zu streiken, aber es lief es alles glatt. Ein paar gesundheitliche Problemchen bereiteten mir ein paar Tage vor der Abreise noch Sorgen, aber der Corpus fing sich wieder. Am Donnerstag schoss ich mit dem durchgehenden ICE, der Köln nur über den Deutzer Bahnhof bedient, in der äußerst zügigen Fahrzeit von 1:45 Stunden die Strecke von Essen zum Frankfurter Flughafen und traf dort Nobbi. Ein kleiner Begrüßungstrunk und zeitig konnten wir die Maschine entern. Diese war zu unserer Freude nicht mal halbvoll. Fast pünktlich um kurz nach 22:00 starteten wir, bald darauf kam das Nachtmahl und danach konnte ich mich über vier Sitze lang machen und pennte entspannte acht Stunden, was mir im Sitzen niemals gelungen wäre. Mit ein wenig Verspätung nach zwölf Stunden Flug dann die Ankunft um 5:30 Ortszeit (Brasilien und Argentinien haben minus fünf Stunden zur MEZ) am Terminal 2 in Sao Paulo. Dort machte uns die mangelhafte Beschilderung ein wenig Mühe. Von alleine fanden wir zwar noch raus, dass der Anschlussflug von Terminal 1 gehen sollte, nur wie man dorthin gelangt, wird dem werten Passagier nicht angezeigt. Klappte dann aber doch einfacher und schneller als befürchtet und pünktlich um kurz nach halb neun ging es weiter nach Buenos Aires. Dort kamen wir am größeren der beiden Airports, dem 'Ezeiza International', an. Bei Nobbi gab es kleinere Probleme bei der Einreise (irgendwas war mit seinem Reisepass) aber es ging dann am Ende alles glatt.
Fr. 12.04. 17:00 – CA Huracan vs Olimpo de Bahia Blanca 1:2 (Primera B Nacional), 12.000 Zuschauer (120 Gäste)
Fr. 12.04. 21:15 – Argentinos Juniors vs Atletico Rafaela 0:0 (Primera Division), 7.000 Zuschauer (150 Gäste)
Die erste Herausforderung bestand darin, Münzen aufzutreiben. Die Taxi-Mafia wollten wir nicht füttern und auch der Express-Bus ist relativ teuer, so dass wir mit dem Linienbus die 30 Kilometer in die Stadt bewältigen wollten. Im Bus kann man aber nur mit einer Prepaid-Karte zahlen, die für Bus, Metro und Vorortzüge verwendet werden kann, oder eben mit Monetas. Münzen sind in Argentinien ein hohes Gut, da verhältnismäßig wenige im Umlauf sind. Nachdem einem Automaten ein paar Banknoten entlockt worden waren, brachte der Kauf von Schokoriegel und Pfefferminzdrops an einem Shop im Flughafen den erhofften Erfolg. Die Stadt Buenos Aires hat 'nur' 2,8 Mio Einwohner. Mitsamt der Agglomeration leben im Ballungsraum der gleichnamigen Provincia aber über 13 Mio Menschen. Diese wollen bewegt werden. Das Nahverkehrs-System des Großraums stützt sich auf die oben genannten Verkehrsträger. Die Kosten hierfür halten sich in Grenzen. Die U-Bahnkostet nur 2,50 Pesos (etwa 40 Euro-Cent) und für Zug und Bus zahlt man je nach Entfernung, aber nie mehr als umgerechnet einen Euro. Das Zugnetz ist gut verzweigt und die meisten Verbindungen werden alle paar Minuten bedient. auch hier fallen entfernungsbedingt meist nur drei bis fünf Pesos an, was etwa zwischen 40 und 80 Cent entspricht. Für den Stadtbereich empfiehlt sich das ebenfalls gute U-Bahn-Netz. Und die Busse, die 'Colectivos' fahren oft und überall hin. Liniennetz- oder gar Fahrpläne sucht man aber vergebens. Einfach warten und irgendwann kommt schon das passende Beförderungsmittel. Im Zweifelsfall dem Fahrer irgendwie begreiflich machen wo man hin will und man bekommt dann in der Regel schon die benötige Info. Vom 'Ezeiza'’ zu einem der drei großen Bahnhöfe, dem 'Constitucion’ soll die Linie 51 fahren. Also warteten wir an der Haltestelle und ständig kamen irgendwelche Busse, nur keine Nummer 51. Als diese dann nach etwa 45 Minuten endlich auftauchte, verneinte der Fahrer aber die Frage nach unserem Ziel. Wir stiegen trotzdem ein und ein weiblicher Fahrgast, der ein paar Brocken Englisch sprach, erklärte uns, wo wir aussteigen sollten. Als der Bus an der Zugstation 'El Jaguel' hielt, verließen wir das Gefährt also und nahmen den nächsten Zug der 'Linea Roca' zum Bahnhof 'Constitucion'. Das Zugnetz der Provinz Buenos Aires teilen sich mehrere Bahngesellschaften. Diese bedienen von den drei großen Bahnhöfen der Stadt Buenos Aires die Vororte in der Provincia. Grob kann man sagen, dass vom südlichen Bahnhof 'Constitucion' der Süden, vom circa mittig liegenden 'Once' der Westen und vom nördlichen 'Retiro' der Norden und Nordwesten bedient werden. Für den Osten braucht es nix. Da hilft nur ein Boot, denn östlich der Stadt liegt bekanntermaßen der Rio de La Plata. Außerdem gibt es noch einige kleinere wenig frequentierte Bahnhöfe. Am 'Retiro' befindet sich auch das große Bus-Terminal, das durchaus die Ausmaße eines kleineren Flughafens annimmt. Vom Bahnhof bewältigten wir den letzten Kilometer zu Fuß und erreichten gegen 14:00 Ortszeit das 'Circus Hostel' in dem ein Dreier-Zimmer mit eigenem Bad zum Preis von circa EUR 45,- je Nacht die nächten Tage unsere Heimat werden sollte. Tobias war wie erwartet bereits eingetroffen und empfing uns direkt mit einer schlechten Nachricht. Die Anstoßzeiten in der Primera waren getauscht worden, so dass heute nicht Independiente im späten Spiel antrat, sondern die Argentinos Juniors. Kurz wurde überlegt, nur ein Spiel zu machen aber die Entscheidung fiel zugunsten des Eröffnungs-Dopplers. Viel Zeit blieb nicht. Kurz das Gepäck im Zimmer abgestellt, etwas frisch gemacht und dann wollte das erste Spiel schon besucht werden.
Da es mittlerweile haufenweise Print- und Online-Berichte zu Fußball-Touren nach Buenos Aires gibt, wollte ich eigentlich darauf verzichten auf die Eigenheiten der argentinischen Fanszenen und der Besonderheiten der Fan-Gruppen einzugehen, aber da es ja auch Besucher meiner Website gibt, die nicht so in der Fußball-Szene verwurzelt sind, will ich ein paar vereinfachte und recht allgemein gehaltene Erläuterungen geben.... Der normale Fußballfan wird in der Regel 'Hincha' genannt. In Korrelation dazu wird die Gesamtheit der Anhänger eines Clubs als 'Hinchada' bezeichnet. Diese teilt sich - analog zur europäischen Struktur - in einzelne Gruppierungen auf, wie auch an den vielen verschiedenen Gruppenfahnen zu erkennen ist, die meist nur den Namen des Ortes tragen, aus dem die Gruppe stammt. Die Fankurven in den 'Canchas' (Cancha = Stadion) unterliegen einer strengen inneren Hierarchie. Jede Hinchada wird von einer führenden großen Gruppe beherrscht, die als 'Barra Brava' - frei übersetzt: 'Wilde Horde' - bezeichnet wird. Dazu muss zunächst erläutert werden, dass die Barras nicht allein für die Anfeuerung der Mannschaft zuständig sind. Die Verehrung des Vereins und die persönliche Hingabe, alles darauf ausgerichtet, durch den eigenen Einsatz dem Team und damit dem Herzensclub zu größtmöglichem Erfolg zu verhelfen, ist und bleibt der Hauptexistenzgrund einer Barra. Über die Anwesenheit im Stadion hinaus sind die Aktivisten aber längst über das legale Ziel hinaus geschossen. Nicht nur, dass die Gruppen Einfluss auf die Vereinspolitik nehmen und dieses auch mit teilweise sehr zweifelhaften Methoden. Die Barras sind mittlerweile auch in hochkriminelle, mafiöse Machenschaften verstrickt. Mittels Geldwäsche, Drogenhandel, Tickethandel und ähnlichen Delikten werden hohe Geldsummen eingestrichen. Und da das Gesetz der Straße nun mal ist, dass derjenige die meiste Kohle 'erwirtschaften' kann, der auch die größte Macht hat, kommt es zwischen und auch innerhalb der Barra Bravas immer wieder zu Machtkämpfen. Man muss also nicht meinen, dass nur zwischen rivalisierenden Barras unterschiedlicher Vereine um Einfluss in bestimmten Stadteilen und Gegenden gekämpft wird. Sondern es kämpfen auch Gruppen innerhalb einer Barra um die Vorherrschaft und die größtmögliche Macht. Nicht selten mit tödlichem Ausgang. Es kommt sogar zu regelrechten Exekutionen. Diese unbestritten vorhandene schwerkriminelle Energie trägt immens zu der verbreiteten Meinung bei, der Besuch eines Fußballspiels in Argentinien bedeute absolute Lebensgefahr. Das ist natürlich völliger Blödsinn, da sich die kriminellen Vorkommnisse nahezu ausschließlich abseits der Stadien und außerhalb der Spieltage abspielen. Denn am Spieltag selbst hat man in der Regel keine Zeit für Konflikte, da alle Energie in die Unterstützung des Teams zu stecken ist. Sofern man sich also nicht in die Mitte der Kurve stellt und der führenden Gruppe den Platz streitig macht, hat man in einer Cancha nichts zu befürchten. Auch hier heißen die Schlagwörter Freundlichkeit, Respekt, Achtsamkeit. Man findet in den Stadien jede Alters- und Gesellschaftsschicht. Wie auch in Deutschland spiegelt das Publikum die soziale Struktur wieder. So wird man in 99,9% aller Fälle Leute um sich haben, denen es einfach um die Identifikation mit dem Verein geht, die den Club leben und lieben und für 90 oder auch 93 Spielminuten ihre Alltagssorgen vergessen und einfach nur Spaß und Freude erleben wollen. Und das deutlich intensiver und ungezwungener als wir Deutschen mit unserer steifen Mentalität. Es ist einfach unglaublich, wenn um einen herum das ganze Stadion von einer immensen Energie ergriffen wird und alles lacht, singt und hüpft, egal ob jung oder alt. Der knittrige Opa zur linken, der plötzlich in einen Jungbrunnen gefallen zu sein scheint. Oder der vierjährige Stöpsel rechts, der auf den Schultern seines Vaters sitzend, jede dessen Bewegungen nachahmt. Es ist eigentlich unmöglich, diesen Enthusiasmus, diese Hingabe angemessen und realitätsgetreu zu beschreiben. Muss man mal selbst erlebt haben.
Da die Zeit ein wenig drängte, fiel die Wahl auf ein Taxi. Der erste Fahrer wollte uns noch bescheißen, der zweite erfüllte unseren Wunsch den Taxameter zu benutzen. Totales Rätsel warum die Karre noch fuhr. Kupplung völlig durch, Öl-Warnlampe an, Tankanzeige auf Null. Egal. Nach einer Viertelstunde waren wir am 'Estadio Tomas Adolfo Duco'. Und das auch noch viel zu früh. Viel los war jedenfalls noch nicht. Also erst einmal in die Pizzeria nebenan, ein Sandwich gegessen und endlich das erste 'Quilmes'! Huracan hat mal ein richtig, richtig geiles Stadion. Über 48tsd Menschen passen in das beeindruckende Oval. Der Zahn der Zeit nagt deutlich, aber das intensiviert nur den Charme, den die in den Clubfarben Rot und Weiß gehaltene Hütte versprüht. Eine Viertelstunde vor dem Anstoß war die Cancha noch recht leer, aber zu Beginn und auch noch während der ersten Hälfte kamen noch reichlich Leute rein. Die Hütte ist komplett unüberdacht und bietet schön steile Ränge Die östliche Kurve ist eine reine Stehplatztribüne und Heimat der heimischen Barra 'La Banda de la Quema'. Diese zog etwa fünf Minuten nach Beginn mit Pauken und Trompeten fahnenschwingend in die Kurve ein, genauso wie es sich für Argentinien gehört. Als die Kurve in der Mitte endlich ansprechend gefüllt war, entwickelten sich auch richtig schöne Gesänge, die aber leider aufgrund der Größe des Stadions nicht wirklich laut rüber kamen. Der Gastverein aus dem über 650 Kilometer entfernten Bahia Blanca wurde von zwei Busladungen begleitet, die auch ausdauernd supporteten, aber in ihrem Riesenblock etwas verloren wirkten. Begleitet von zwei Posaunen(!), einer Trompete und zwei großen Trommeln konnten sie sich aber durchaus ab und an etwas Gehör verschaffen. Den Einsatz von Blasinstrumenten kann ich persönlich allerdings mit Fußball-Support nicht so recht in Einklang bringen. Der Tabellendritte von der Atlantikküste legte ganz gut los. Huracán bekam die Partie aber bald in den Griff und ging durch einen Alles-oder-Nichts-Kracher in Führung. Das beflügelte natürlich die heimische Hinchada, die uns einen ersten Vorgeschmack der argentinischen Gesangskultur bot und Lust auf mehr machte. Olimpo glich aber zehn Minuten später aus, wodurch der Stimmungskern in der Heimkurve wieder auf die Hauptgruppe zusammenschmolz. Die Gäste hatten irgendwie mehr damit zu tun, ständig ihre Banner auf- und wieder abzuhängen, als sich um akustischen Support zu bemühen. Weiß der Geier was da abging. In Hälfte zwei verflachte die Partie spielerisch zusehends. In der letzten Viertelstunde gab Huracan noch einmal Gas, zeigte aber ausgeprägte Fähigkeiten im Vergeben großer Chancen. Und was passiert dann? Richtiiig – Olimpo erzielte fünf Minuten vor dem Ende den Siegtreffer und festigte den Platz in der Spitzengruppe. Damit wurden auch die Gäste-Gesänge wieder lauter. Nach dem Abpfiff ereilte uns die in Argentinien übliche Blocksperre. Bedeutet, dass die heimischen Zuschauer erst aus dem Stadion gelassen werden, wenn die Gäste abgereist sind, was je nach Größe des Gäste-Mobs mal fünfzehn Minuten, aber auch mal eine halbe Stunde dauern kann.
Wir liefen 500 Meter zur Hauptstraße zurück und stellten uns mal der Herausforderung mit dem Colectivo zur Cancha der Argentinos Juniors zu fahren, wo Atlético Rafaela sein Gastspiel abliefern durfte. Rafaela ist eine kleinere Stadt in der Provinz Santa Fe. In den ersten Bus der kam, sprangen wir rein und der Fahrer bejahte die Frage nach dem gewünschten Ziel. Zufallstreffer, aber umso besser. Hatten wir nun nur wieder das Münzenproblem. Irgendwann verstand der Fahrer, dass wir keine besaßen und ermöglichte uns gegen die Bezahlung mit einem Schein die Fahrt, in dem er seine eigene Prepaid-Karte für uns verwendete. Irgendwann nach einer gefühlten Ewigkeit bedeutete er uns, die Kutsche zu verlassen und drei Blocks weiter standen wir vor dem 'Estadio Diego Armando Maradona', denn – wie der geneigte Fußballinteressierte weiß – die Asociacion Atletica Argentinos Juniors war der erste Verein des Fußballgenies. Zu dessen Ehren wurde das Stadion nach ihm benannt. Nachdem die Eintrittsfrage geklärt war, suchten wir uns einen Stehplatz im unteren Bereich der Haupttribüne. Viel erwarteten wir nicht. Der Gegner versprach auch keine große Show und war dann auch mit maximal 150 Gestalten im recht groß dimensionierten Away-Bereich vertreten, wobei ich bezweifle, dass diese alle aus dem über 500 Kilometer entfernten Rafaela angereist waren. Die Barra 'La Banda de La Paternal' ('La Paternal' heißt der Stadtteil in dem sich die Cancha befindet) der AAAJ hat ihren Platz auf der recht niedrigen Hintertortribüne. Die Haupttribüne kann schon gefallen. Recht hoch und doppelrangig gebaut. Hinter dem anderen Tor gibt es keinen Ausbau. Insgesamt wirkt das Stadion schon ganz nett, hab ich schon Schlimmeres erlebt. Wie auch Huracán, ist der Ground vollkommen unüberdacht. Das Spiel ist schnell erzählt – es fand nämlich eigentlich keines statt. Es sah früh nach nem torlosen Remis aus und so kam es dann auch. Die Barra der Juniors war eigentlich immer bemüht und ab und an sprang der Funke auf den Stehbereich der Platea (=Tribüne) über. Insgesamt wirkten die Juniors eher wie der familiäre Club von neben an. Rafaela war nur ab und an mal zu hören. Mann des Spiels war aber der Typ der zehn Minuten nach dem Anpfiff kam, sich hinter uns stellte, eine wenig mitsang, sich einen ordentlichen Joint durchkloppte und zehn Minuten später zugedröhnt wieder verschwand. Hut ab. Mit dem Colectivo ging es wieder zurück zum 'Constitucion'. Und es stellte sich erneut die Münzenfrage. Der Bus war allerdings so voll, dass der Fahrer sich nicht groß dafür interessierte, dass wir nicht lösten. Also schön in den Bus geasselt und für Umme mitgefahren. Es sei aber bereits angemerkt, dass wir in den folgenden Tagen ausreichend Münzen sammeln sollten, um künftig als ehrliche Mitfahrer an Bord zu sein. Bei den niedrigen Preisen ist das 'Black-Ticket' auch absolut nicht notwendig und entsteht eben höchstens aus dem Münz-Notstand heraus. Die Fahrt dauerte ne gute Stunde und der lange Tag machte sich dahingehend bemerkbar, dass uns ständig die Augen zu fielen. Im Hostel waren wir dann schnell im Bett. Zum Kennenlernen argentinischer Fußballatmosphäre und Gepflogenheiten war Tag Nummer eins jedenfalls ganz brauchbar.
Sa. 13.04. 11:30 – CA Colegiales vs Club Villa Dalmine 1:0 (Primera B Metropolitana), 500 Zuschauer (30 Gäste)
Sa. 13.04. 18:10 – CA San Lorenzo de Almagro vs Racing Club de Avellaneda 1:4 (Primera Division), 32.000 Zuschauer (4.000 Gäste)
Viel zu früh aufgewacht. Zumindest gemessen an der Schlafquote in den letzten Tagen. Kleines Frühstück im Hostel, dann wurde die 'Olé' (die täglich erscheinende Sportzeitung) gekauft, um die Ansetzungen zu checken, und schon starteten wir, um die Basis hautnah zu erleben. Soll heißen: Primera B Metropolitana, Dritte Liga. Colegiales sollte es werden. Die wenigen im Netz zu findenden Bilder sahen jedenfalls ganz okay aus. Zu Fuß ging es drei Blocks auf die breite 'Avenida 9 de Julio', dort noch einmal zwei Blocks Richtung Norden und von dort mit der blauen Subte (Metro) zum 'Retiro'. An diesem brauchten wir ein bisschen um zu schnallen, dass der Zugbahnhof dreigeteilt ist, einmal in die Station für die 'Linea Metropolitana San Martin' die Station für die 'TBA Linea Mitre' und die 'Ferrovias Linea Belgrano'. Mein Interesse zog ein kleiner Grillstand auf sich und ich wagte mal eine 'Chori'. Diese geht als argentinisches Pendant zur tschechischen Klobasa durch und war auch ganz lecker. Eine zweite, die ich am nächsten Tag am selben Stand versuchte, war dagegen eine totale Katastrophe. Ein Döschen Quilmes rundete das Geschmackserlebnis angemessen ab. Die 'Linea Belgrano' brachte uns sechs Stationen bis 'Munro'. Dort angekommen kurz gefragt und dann latschten wir einige Blocks zur netten, kleinen Cancha mit Namen 'Estadio de Colegiales'. Schwer zu beschreiben, die kleine Schachtel. Ränge rundherum aber jede Seite sah irgendwie anders aus. Die Hintertortribüne der Barra 'La Banda del Tricolor' war hübsch geschmückt. Das ließ ein wenig hoffen. Zu Spielbeginn tat sich noch gar nichts, aber während der ersten zwanzig Minuten sammelten sich nach und nach einige Leute hinter dem Tor, die auch begannen zu supporten. Natürlich war es nicht brachial laut, aber die durchgehenden Gesänge machten den Spielbesuch definitiv wertvoller. Colegiales benötigte als Tabellenletzter dringend die Punkte und konnte diese in einem wahren Kampfspiel letztlich auch einsacken. Ungefähr in der 60. Minute fiel der erlösende wie verdiente Treffer für die Heimelf. Nach dem Abpfiff traten wir den Rückweg zum Bahnhof an. Nach etwas ausgiebigerer Suche fanden wir auch noch ein Etablissement zur Nahrungsaufnahme. Ein paar Cerveza und eine als Rindfleisch getarnte Schuhsohle später ging es mit dem Vorortzug wieder zum 'Retiro’.
Dort wieder in die gelbe Subte bis zur Endstation 'Constitucion', wo wir herauszufinden versuchten, welcher Bus nach San Lorenzo fährt. Erst einmal gab es ein paar Fehlversuche. Selbst ein Typ im San Lorenzo-Shirt wusste es nicht. Letztlich war die unwahrscheinlich scheinende, aber nicht unlogische Lösung die richtige. Die Frau am Zeitungsstand wies uns zielsicher auf die Linie 143 hin. Klar Mann, die steht jeden Tag da und weiß natürlich welche Möhre wohin fährt. Hätt man sich auch denken können. San Lorenzo also. Nach drei Mal Vorgeplänkel wurde es nun endlich ernst. Von diesem Kick versprachen wir uns einiges, da sowohl die Hinchada der Gastgeber als auch die von Racing einen ausgezeichneten Ruf genießen. Club Atletico San Lorenzo de Almagro. Hört sich irgendwie schon geil an. Als das 'Estadio Pedro Bidegain', das in Anlehnung an die frühere Cancha von CASLA auch 'Nuevo Gasometro' genannt wird, in Sichtweite war, verließen wir den Colectivo. Die 43tsd-Mann-Cancha sieht von außen schon klasse aus. Hohe, steile Ränge, die Hintertortribünen leicht gebogen und die Haupttribüne zweirangig und überdacht. Also rein in die gute Stube und das Ding ist wirklich Hammer. Wir hatten uns Plätze auf der Haupttribüne gesichert und einen hervorragenden Blick auf beide Hinchadas. Ein paar Minuten vor Spielbeginn zog die Barra von San Lorenzo, die 'La Gloriosa Butteler', trommelnd, singend, hüpfend, fahnenschwingend ein. Kannte man zwar schon aus dem Internet, aber natürlich einfach genial, das live zu erleben. Spätestens zu Spielbeginn, als das gesamte Heimpublikum mitmachte, erreichten die Gesänge eine ohrenbetäubende Lautstärke. Das Ganze natürlich untermalt von fettem Trommelsound. Ich will nicht übertreiben, aber es mag sein, dass ich noch nie einen derartigen Lärmpegel im Stadion erlebt habe. Auch die Griechen oder die Parteien des Belgrad-Derbys müssten sich wohl gewaltig strecken, um dieser Hinchada das Wasser zu reichen. Man kann auch nicht einfach ruhig sitzen bleiben. Unmöglich. Erst wippt man automatisch im Rhythmus mit den Füssen mit. Dann steht man auf, klatscht mit. Und schließlich möchte man am liebsten genauso ausrasten, wie die Umstehenden. Die Atmosphäre reißt einen mit, ob man will oder nicht. Absolute Droge! Kommen wir zu den Gästen. Der Gästebereich füllte sich spät, aber er füllte sich. Letztlich bis auf den letzten Platz, so dass noch einige Racing-Hinchas in den benachbarten Block eingelassen wurden. Es dürften wohl über 4tsd Personen gewesen sein. Die Barra 'La Guardia Imperial' zog nach etwa zehn Minuten mit vielen, gar nicht mal so kleinen, himmelblau-weißen Fahnen tanzend ein. Schönes Bild. Ich bin der Meinung, dass auch Racing einen richtig guten Auftritt hingelegt hat, aber man hatte natürlich große Mühe sich gegen San Lorenzo in Szene zu setzen. Erst gegen Ende der Partie, als der Away-Erfolg unter Dach und Fach war, waren die Blauen besser zu hören. San Lorenzo ging früh in Führung, musste aber kurz danach den Ausgleich und kurz vor der Halbzeit die Gäste-Führung hinnehmen. Nach dem Seitenwechsel wurde San Lorenzo richtig stark, scheiterte aber am gut aufgelegten Racing-Keeper. Wie in allen Spielen ließ der Schiri das Spiel großzügig laufen und pfiff beinahe englisch. Das gefiel mir sehr gut, da dadurch diese lästige Zeitschinderei durch vorgetäuschte Verletzungen beinahe nicht stattfindet. Auch Zeitspiel der Torhüter wird rigoros unterbunden. In den letzten Minuten machte Racing mit Treffer drei und vier alles klar und behielt im Vergleich Siebter gegen Neunter die Oberhand. Nachdem die Partie verloren war, entwickelte sich bei San Lorenzo eine Scheißegal-Einstellung und es wurde noch einmal gut laut. Dann war Schluss und die Tour hatte ihr erstes Highlight erlebt. Diese Kurve vermittelte eine unheimliche Energie, die kaum zu bremsen schien. Die Leute leben spürbar ihren Verein und versuchen diesen mit allem was sie aufbieten können zu unterstützen! Auch ein Straßenhund war derart begeistert, dass er das Feld stürmte und mitmischen wollte. Aufgrund der Anzahl der Gäste-Fans dauerte die Blocksperre eine ätzende halbe Stunde. Danach ergoss sich der blau-rote Strom in die Straßen. Hinter der Haupttribüne des 'Nuevo Gasometro' soll sich ja eines der übelsten Viertel der Stadt befinden. Zugegeben, optisch sieht es dort wirklich nicht toll aus. Ein favela-artig verschachteltes Viertel mit massig unverputzten und unfertigen Häusern. Wir trauten uns zumindest mal auf die andere Straßenseite, um an einem Kiosko ein 'Quilmes' zu erwerben. Todesmutig stürzten wir uns über den Mittelstreifen und machten Chuck Norris alle Ehre. Und genau wie er es getan hätte, überlebten wir das Selbstmord-Kommando. Im Ernst – man sollte dieses Barrio (= Stadtviertel) sicher nicht alleine oder im Dunkeln durchqueren. Aber nach einem Spiel mit mehreren tausend Leuten, die sich die Hauptstraße entlang bewegen, ist ein Getränkekauf sicher nicht zu riskant. Zufrieden und beseelt vom Erlebten schlurften wir die Straße entlang und kehrten in ein kleines Restaurant zur Stärkung und Tränkung der Durstigen ein. Danach fuhren wir mit dem 143er wieder zurück zum 'Constitucion’ und ein Stück darüber hinaus, um den Weg zum Hostel zu verkürzen. Nobbi zog es dort ermüdet ins Bett. Tobias forderte mich noch zu einem kleinen Pool-Billard-Contest heraus. Man muss nicht verheimlichen, dass der RWE den FC Köln in Grund und Boden spielte. Zur Beschwichtigung ließ ich ihn im anschließenden Mau Mau-Duell gewinnen. Zwischendurch ging es immer wieder zum Nacht-Kiosko um 'Quilmes' nachzuladen. Gegen 4:00 ging es viel zu spät und ordentlich angeschossen in die Falle.
So. 14.04. 14:15 – Estudiantes de La Plata vs Godoy Cruz 0:0 (Primera Division), 16.000 (300 Gäste)
So. 14.04. 20:15 – CA River Plate vs Arsenal FC 1:1 (Primera Division), 47.000 (800 Gäste)
Nur vier Stunden später klingelte uns der Wecker aus dem Schlaf und nur ein Drittel der Reisegruppe war ausgeruht. Half ja alles nix. Die 'Olé' wurde erworben und dann schoben wir ab zum 'Constitucion’. Von dort ging es mit der 'Linea Roca' nach La Plata. Die Schaukel benötigt für die Strecke eine Stunde und fünfzehn Minuten. Ich mag ja das Zugfahren in fremden Ländern. Man kann in Ruhe die Gegend begutachten und bekommt Eindrücke von Land und Leuten. Wie in allen Vorortzügen kamen auch hier alle paar Minuten Händler durch. Schlechtsituierte und Rentner die sich dadurch mühsam ihren Lebensunterhalt finanzieren. Von Schokoriegeln über Kaugummi bis zu Medikamenten(!) ist alles zu haben. Auch Hot-Dog-Verkäufer mit mobilem Umhänge-Hotdog-Brühgerät bieten ihre 'Super Panchos' feil. Nur auf die Idee mit dem Bier scheint noch keiner gekommen zu sein. Mal drüber nachdenken, ob ich in die Marktlücke nicht einsteige. An der vorletzten Station 'Tolosa’ stiegen wir aus und fragten ein paar Leute nach dem Weg. Auch hier mal wieder megafreundlich, die Menschen. Wir mussten noch ein paar hundert Meter parallel zur Bahnstrecke laufen und dann rechts auf die 'Avenida No. 32' abbiegen. La Plata ist eine Schachbrettstadt. Wer Mannheim kennt, weiß was ich meine. Eine gute Stunde spazierten wir in aller Ruhe zum 'Estadio Ciudad de La Plata'. Der 53tausender ist sicherlich eines der unschönsten Stadien des Landes. Es handelt sich Der 53tausender ist sicherlich eines der unschönsten Stadien des Landes. Es handelt sich um einen ovalen Arena-Neubau von 2003. Das weiße zeltartige Dach verfügt über eine etwas merkwürdige Stütz-Konstruktion. Estudiantes hatte einen verheerenden Saisonstart hingelegt und zierte mit drei Punkten das Tabellenende. Nicht zuletzt deshalb blieb das Rund spärlich gefüllt. Die Barra 'La Banda del Pincha' konnte sich auch nur selten ordentlich laut präsentieren. Auch die wenigen Gäste aus dem weit entfernten Mendoza brachten aufgrund der geringen Anzahl wenig zustande. Sehr spät kam Verstärkung in Form von Trommeln. Inwiefern die Godoy Cruz-Hinchas tatsächlich der Barra 'La Banda del Expreso' zuzuordnen waren, vermag ich nicht zu sagen. Auch hier darf vermutet werden, dass es sich größtenteils um Exil-Anhänger handelt. Auf dem Rasen passierte herzlich wenig. Estudiantes mit leichten Vorteilen. Godoy Cruz wurde als Fünfter der Favoritenstellung überhaupt nicht gerecht. Insgesamt wirkte das alles nicht sehr erstligareif und wir waren wirklich dankbar als das Getrümmer abgepfiffen wurde.
Um nicht in Zeitnot zu geraten, wollten wir per Taxi zum Busbahnhof und von dort mit dem Express nach Buenos Aires zum 'Retiro'. Der Expressbus kostet mit 30 Peso zwar das fünffache der Zugfahrt, braucht aber nur etwas mehr als halb so lang und man ist dann direkt am 'Retiro'. Der Zug endet ja am 'Constitucion’. Guter Plan also, nur die Umsetzung erwies sich als äußerst zähflüssig. Es dauerte über zwanzig Minuten, bis wir endlich eine Taxe ergattern konnten und am Busbahnhof waren die Abfahrten derart gut gefragt, dass wir erst in den dritten Bus einsteigen konnten. Glücklicherweise fahren diese alle fünfzehn Minuten, so dass wir zeitig in Buenos Aires waren und die zwei Stationen mit dem Zug ins Barrio 'Belgrano' zum Stadion mit dem sperrigen Namen 'Estadio Monumental Antonio Vespucio Liberti', im Volksmund einfach nur 'El Monumental' genannt. Über 65tsd Menschen finden hier Platz. 1978 fand hier das Finale um die Weltmeisterschaft statt. Mit River Plate sollte also heute das nächste Highlight folgen. Da mit Arsenal aus dem Stadtteil Sarandi ein eher unspektakulärer Gegner gastierte – auch wenn heute der Dritte den Vierten erwartete – hatten wir uns vorher nicht ansatzweise Sorge um die Ticketbeschaffung gemacht. Umso größer wurden dann die Augen, als wir feststellen mussten, dass es keine offenen Boleterias mehr gab. Wir mogelten uns durch einige Kontrollen, bis wir unmittelbar am Stadion waren. Dort fanden wir dann einen offenen Schalter. Die freundliche Dame konnte uns aber nur mitteilen, dass am Spieltag keine Tickets mehr verkauft werden und riet uns die Augen nach Schwarzmarkt-Händlern aufzuhalten. Eine von uns nur im absoluten Notfall befürwortete Variante. Sie sprach dann einen jungen Mann an, der gerade scheinbar zufällig an den Schalter trat. Dieser versuchte an einem Eingang für uns zu vermitteln, aber die Tür blieb für uns verschlossen. Also kurz bedankt und dann beschlossen wir den Versuch, uns irgendwie reinzuasseln. Bis zum Drehkreuz konnten wir alle Kontrollen überwinden, aber dort war definitiv Ende. Enttäuschung. In dem Moment, in dem wir eine neue Taktik überlegen wollten, tauchte der junge Typ wieder auf und sagte, wir sollten mitkommen, er hätte noch eine Idee. Er nahm uns mit zu einem anderen Eingang, winkte dort einem anderen Typen hinter der Absperrung, der uns dann in Empfang nahm. Eine blonde Frau kam dazu und sprach uns auf Englisch an und gab uns ein "Enjoy the game" mit auf den Weg. Nächste Station war ein gut gekleideter Mann direkt am Drehkreuz, der uns mit seiner allmächtigen Wunderkarte dreimal das Drehkreuz freischaltete und wir waren drin! Da hatte uns der Fußballgott eine ganze Armee von Engeln gesendet. Meine Fresse, was hatten wir denn bitte für ein Schwein!?! Völlig blauäugig am 'El Monumental' aufgetaucht und wie durch ein Wunder Einlass erhalten. Wo war die versteckte Kamera? Wir freuten uns verständlicherweise erstmal nen Ast ab und genossen den ersten Blick in diese beeindruckende Cancha. Ein riesiges unüberdachtes in rot und weiß gehaltenes, doppelrangiges Rund. Und 'Rund' entspricht in diesem Fall der Realität, da die Bauweise in der Tat beinahe einem Kreis entspricht. Das Stadion war schon recht ansprechend gefüllt und letztlich war das Teil ja auch zu 75% ausgelastet. River legte los wie die Feuerwehr und hätte in Führung gehen müssen, aber Arsenal erzielte mit dem ersten brauchbaren Angriff den Führungstreffer. Was ein Mist. Den Gästeblock bevölkerten zu diesem Zeitpunkt vielleicht 200 Leute. Erst einige Minuten vor der Halbzeit kam die Barra mit dem vielsagenden Namen 'La Mafia' herein und die Menge wuchs auf etwa 800 Mann (und Frau) an. River wehrte sich nach der Gästeführung wie ein gereizter Löwe und erzielte mit einem schönen Konter nur wenige Minuten später den Ausgleich. Der Jubelschrei hatte eine ohrenbetäubende Lautstärke. Die Gesänge der Heim-Hinchada um die Barra 'Los Borrachos del Tablon', was etwa 'Die Besoffenen von der Theke' bedeutet, schwollen manchmal zu einer wahrhaft berauschenden Lautstärke an, aber viel zu oft ebbte der Support ab, so dass nur noch die Gruppe um die Borrachos sang und trommelte. Der Arsenal Futbol Club oder auch Arsenal de Sarandi gilt übrigens als ziemlich sinnloser Verein, da er noch relativ jung ist (von 1957) und über keinen sehr zahlreichen Anhang verfügt. Zu den großen Clubs in Buenos Aires zählt er jedenfalls nicht, auch wenn man 2012 die Clausura gewinnen konnte. Die Vereinsgründer ließen sich bei der Wahl des Vereinsnamens natürlich vom englischen Vorbild inspirieren. Die Clubfarben himmelblau und rot 'klaute' man dagegen im Kollektiv von den beiden benachbarten Kontrahenten Independiente und Racing aus Avellaneda. Und nicht zuletzt, weil der aktuelle Präsi des argentinischen Fussi-Verbandes der erste Vereinsführer von Arsenal war, erfreut sich der Club wenig öffentlicher Beliebtheit. In Hälfte Zwei drängte River auf den Führungstreffer, etwa zwanzig Minuten vor dem Ende merkte man aber deutlich, dass die Jungs in Rot-Weiß Angst verspürten, die Partie durch einen Konter zu verlieren. Arsenal hatte sich längst mit dem Remis arrangiert und so endete die Partie ohne einen Sieger. Es war durchaus ein beeindruckendes Erlebnis, kam aber an San Lorenzo bei Weitem nicht ran. Nach Ende der Blocksperre schlurften wir in Ruhe die Straße zurück zur Bahnstation. Nobbi und ich gönnten uns noch eine gute 'Paty' (= Burger). Für Tobias stellte sich die Nahrungssuche in Buenos Aires schwieriger dar. Als Vegetarier hat man es in Südamerika nicht leicht. Am 'Retiro' fand dann auch er mit einer Pizza das Passende. Von dort blieb nur noch die Variante Taxi, da um diese Uhrzeit gegen Mitternacht partout kein passender Colectivo auftauchen wollte, aber der Preis hielt sich für die relativ kurze Tour nach San Telmo in Grenzen. Überhaupt sind die Taxen in Buenos Aires nicht sehr teuer, allerdings wird zu später Stunde ein Nachtzuschlag fällig.
Mo. 15.04. 19:15 – CA Banfield vs CA Nueva Chicago 3:1 (Primera B Nacional), 10.000 (40 Gäste)
Wir ließen es nach dem Aufstehen mal etwas ruhiger angehen. Nach dem obligatorischen 'Olé'-Kauf frühstückten wir in Ruhe, checkten ein paar Sachen im Internet und gingen dann auf eine kleine Sightseeing-Runde durch San Telmo. Nicht weit von unserem Hostel befindet sich die 'Plaza Dorrego', die als Zentrum des Stadtteils betrachtet werden darf. Das Straßenbild wird durch viele Altbauten aus dem 19.Jahrhundert geprägt. Da viele Gebäude unter Denkmalschutz stehen, finden nur wenige Neubauten Platz. Von der 'Plaza Dorrego' liefen wir ein bisschen kreuz und quer in Richtung Norden durch die Straßen bis wir auf die 'Plaza de Mayo' trafen, die als Herz der Stadt Buenos Aires gilt. Der Platz wird gesäumt von mehreren wichtigen alten Gebäuden. Da haben wir die Kathedrale von Buenos Aires mit ihren Ursprüngen aus dem 16.Jahrhundert, den ehemaligen Regierungssitz 'Cabildo' aus dem frühen 17.Jahrhundert, sowie das Rathaus und die 'Casa Rosada' (Rosa Haus), dem Präsidentenpalast, aus dem 19.Jahrhundert. Seinen Namen hat der Platz vom Mai des Jahres 1810, in dem sich die erste von der Kolonialmacht Spaniens unabhängige Regierung bildete. Der Platz erlangte durch die 'Madres de la Plaza de Mayo' traurige Berühmtheit. Bei den Madres handelt es sich um eine Organisation von Müttern deren Söhne in der Zeit der Militärdiktatur von 1976-1983 spurlos verschwanden. Erst im Laufe dieser Jahre kam ans Tageslicht, dass die Männer systematisch von der Regierung verschleppt, gefoltert und ermordert wurden, da es sich um politische Gegner der diktatorischen Machthaber handelte. Daraufhin trafen sich die furchtlosen Frauen vor dem Präsidentenpalast (erstmals Ende April 1977) und umrundeten eine halbe Stunde schweigend den Platz, da Proteste im stehen seinerzeit strafrechtlich verfolgt wurden. Bis heute setzt sich diese Mahnwache jeden Donnerstag fort. Von der 'Plaza de Mayo' spazierten wir die 'Diagonal Norte' zum vielleicht berühmtesten Obelisken der Welt, der mittig auf der 'Avenida 9 de Julio' steht. Der 67 Meter hohe Obelisk wurde zum Anlass des 400jährigen Stadtjubiläums errichtet und ist sogar von innen begehbar. Die 'Avenida 9 de Julio' ist benannt nach dem 9. Juli 1816, dem Datum an dem das Land endgültig seine Unabhängigkeit von Spanien erklärte. Die Avenida wird immer wieder als breiteste Straße der Welt benannt. Das ist nur oberflächlich richtig. Die Avenida verfügt über 'nur' sieben Fahrstreifen je Richtung. Durch die rechts und links parell laufenden jeweils dreispurigen Straßen, die aber über eigene Namen verfügen, kommt man auf insgesamt zwanzig Fahrspuren, woduch der Titel dann verdient wäre.
Mit dem Blick auf den Obelisken war das Sightseeing dann beendet, da wichtigere Ereignisse nach uns riefen. Dort stiegen wir dann in die rote Subte und fuhren vier Stationen bis nach 'Pueyrredon', wo wir die in die gelbe Linie umstiegen und bis 'Caseros' fuhren, nahe der Cancha von Huracan. Ziel war zunächst mal wieder ein unterklassiger Kick, dieses Mal in der 'Primera D Metropolitana', der fünften Liga. Eigentlich sollte Claypole den Zuschlag bekommen, weil die kleine Cancha optimal zum Abendspiel in Banfield liegt, aber diese Partie wurde noch kurzfristig verlegt. Die einzige machbare Alternative war der Kick von Paraguayo. Dieser fand aber im Ground des C-Ligisten CSyD Liniers statt, dem 'Estadio Juan Antonio Arias'. Es war ein wenig mühselig, die richtige Verbindung herauszufinden, aber wir meinten eine gute Anfahrt-Möglichkeit entdeckt zu haben. Erst einmal aßen wir etwas in einem 'bodenständigen' Lokal an der Ecke. Ehrlich – ein derartiges Etablissement hätte in Deutschland keine Chance, aber hier war es prallgefüllt und die Speisen waren auch reichhaltig und genießbar. Dann mussten wir uns beeilen. Am Stadion von Huracan vorbei gingen wir zur 'Estacion Buenos Aires'. Hört sich toller an als es ist. Der Bahnhof ist deutlich kleiner als der 'Retiro' oder 'Constitucion' und auch hier geht nur eine Vorort-Verbindung ab. Glücklicherweise ging sofort eine Bahn ab, die uns 40 Minuten später an der Station 'Mendeville' wieder ausspuckte. Eigentlich wollten wir dort ein Taxi auftreiben, aber wir waren schon wieder derart weit draußen, dass die Taxi-Dichte gen Null tendierte. Also mal jemanden gefragt, doch der gute Mann konnte nicht helfen. Dann in den nächsten Bus gesprungen, aber dem Fahrer war kein Ground in der Nähe bekannt. Also wieder raus aus dem Schrotthaufen und ein Auto angehalten. Doch auch der Fahrer wusste von nichts und unser kleinformatiger Google Maps-Ausdruck half nicht weiter. Selbst die genannte Adresse hatte noch niemand gehört. Ich war mir hundertprozentig sicher, dass wir maximal zwei Kilometer vom Ziel entfernt waren, aber das waren eben genau zwei Kilometer zu viel. Es war zum Verrecken, keine hilfreiche Information zu bekommen. Hilfreicher war dann schon der Kiosko an der nächsten Straßenecke, wo wir eine Büchse 'Quilmes' erworben und akzeptierten, dass der Versuch in die Hose ging. Hätten wir doch mal die betreffende Seite aus der 'Olé' mitgenommen oder sonstige Anhaltspunkte aufgeschrieben. Das verpasste Spiel war eigentlich nicht weiter tragisch, aber die produzierten (Anfänger-)Fehler nervten uns dann doch. Als ich die Örtlichkeit später anhand einer Karte überprüfte, stellte sich heraus, dass wir tatsächlich nur knapp 1,5 Kilometer vom Ziel entfernt waren. Unglaublich, dass wir nicht einen Menschen fanden, der uns dorthin lotsen konnte, geschweige denn, von der Cancha wusste. Half ja alles nix. Mund abputzen… ach nee, erstmal 'Quilmes' austrinken, dann Mund abputzen und weiter gings. Es rief ja noch der Club Atletico Banfield in der zweiten Liga. Die Idee war, nur zwei Stationen mit dem Zug zurückzufahren, dann einen Kilometer zur Station 'De Elia' zu laufen und von dort unten um die Stadt mit der 'Linea Sarmiento' bis in die Nähe von Banfield zu fahren. Die Idee war mal wieder super, aber an der Estacion mussten wir erfahren, dass die betreffende Strecke von lediglich einem kurzen Waggon-Gespann bedient wird, dass hin und her pendelt und von dem auch keiner weiß, wann es denn mal kommt. Nun wurde die Luft schon wieder dünn, denn wir waren weit entfernt von jedweder Taxi-Population. Ich wollte eigentlich versuchen, die Ruhe zu bewahren, aber meine Mitreisenden verfielen in leichte Panik und wir sprangen in den nächsten Bus. Zunächst sah das nach großem Schwachsinn aus, denn die Möhre gurkte kreuz und quer durch den nächsten Stadtteil, hielt hier, drehte dort, und schien nicht wirklich vom Fleck zu kommen. Die Aktion war dann aber doch ganz okay, denn wir sprangen an einer belebten Kreuzung aus dem Gefährt und fanden nach einer quälenden Viertelstunde ein Taxi. Noch waren gut fünfzig Minuten Zeit, was für knapp zehn Kilometer Berufsverkehr reichen sollte. Der Kutscher bejahte unsere Frage nach "Cancha de Banfield" auch souverän und fuhr zielsicher auf die Schnellstraße. Nach einigen Minuten und einem für mich nicht nachvollziehbaren Wechsel auf eine andere Avenida wurde mir die Sache spätestens zu bunt, als ich in einiger Entfernung das 'Nuevo Gasometro' ausmachen konnte. Auf meine energische Nachfrage und gleichzeitigem Wedeln mit dem Google-Maps-Ausdruck wurde der Fahrer ganz unruhig. Keine Ahnung ob er meinte, uns bescheißen zu können, und in diesem Moment feststellte, dass das nicht funktionierte oder ob er schlicht das falsche Ziel verstanden hatte. Auf jeden Fall war ihm klar, dass er sich was einfallen lassen musste. Also runter vom Highway. Aber nun mussten wir durch ganz Avellaneda und Lanus und dass auch noch im dichten Berufsverkehr. Alles Rasen und Rotlicht-Missachten brachte nix. Er musste in Banfield sogar noch einen Kollegen nach der Cancha fragen. Der Typ hatte schlicht komplett aber so was von völlig versagt, dass wir zwanzig Minuten zu spät im Stadion waren. Diskussionslos bekam er knapp zwei Drittel des auf dem Taxameter angezeigten Fahrpreises, was für diese erbärmliche Vorstellung noch zu viel war. Was für ein Voll-Horst!
Das 'Estadio Florencio Sola' fasst 35tsd Leute und liegt mitten in einem Wohngebiet. Hat ja fast was von England. Schönes enges, bereits etwas angezähltes reines Fußballstadion, das nur auf der Haupttribüne Sitzplätze bietet. Nur diese ist auch überdacht. Main Stand und Heimkurve sind doppelrangig angelegt. Kurz und gut: ein richtig geiles Ding!! Der Block der 'La Banda del Sur' war richtig schön geschmückt und der Mob darin tobte auch ganz ordentlich. Im Gästebereich verliefen sich lediglich zwanzig Mann. Von der Hauptgruppe 'Los Perales' weit und breit nichts zu sehen – vermutlich bestand ein Anreiseverbot. Die sportliche Lage bei der Partie Sechster gegen den abgeschlagenen Letzten war eindeutig und so lief auch die Partie. Kurz nach unserem Eintreffen fiel der Führungstreffer für Banfield und noch vor der Halbzeit wurde nachgelegt. Der Drops war gelutscht und die Wiese gemäht. Eigentlich zumindest. Nueva Chicago kam mit dem eigentlich einzigen konstruktiven Angriff zum Anschluss, wurde aber nicht mehr gefährlich und Banfield machte den Sack auch mit Treffer Nummer drei dann zu. Es hätte auch noch ein Debakel für die Gäste geben können, aber südamerika-like wurden die Konter einfach nicht zielstrebig zu Ende gespielt. Banfield hat 2009 noch die Apertura, die Meisterschaft der zweiten Jahreshälfte, gewonnen, danach ging’s abwärts. Dazu trug aber auch die etwas komplizierte Abstiegsregelung bei. Die Absteiger aus der Primera werden nämlich durch den Punkte-Durchschnitt der jeweils letzten drei Spielzeiten ermittelt. Theoretisch kann es dadurch dazu kommen, dass ein Verein, der die Meisterschaft erringt, gleichzeitig in die Primera B absteigt. Diese Regelung wurde geschaffen, um die großen Clubs davor zu schützen, dass sie nach einer 'ausnahmsweise' schwachen Saison direkt mit dem Abstieg bestraft werden. Trotzdem erwischte es River nach der vorletzten Saison. Der Club musste erstmals in die Primera B, nachdem die Relegation gegen Belgrano verbaselt wurde, was auch schwere Ausschreitungen zur Folge hatte. Zumindest konnte der Unfall umgehend korrigiert und der direkte Wiederaufstieg erreicht werden. In der laufenden Saison ist mit Independiente ein weiterer der großen Clubs vom Abstieg bedroht. Ich würde jedenfalls Banfield gönnen, dass sie bald wieder hochkommen, denn deren Hinchada gefiel mir richtig gut. Immer schön laut, guter Trommelsound und ständig in Bewegung. Konnte meinen Blick kaum abwenden und mein Bein wippte wie von allein im Takt mit. Es war nur ein Zweitligaspiel und die Cancha war nicht mal voll, aber es hat mir richtig gut gefallen. Die Trommeln wurden von einer Trompete unterstützt, was eigentlich gar nicht so mein Ding ist, aber hier war das irgendwie passend. Zum Wiederanpfiff gab es noch eine kleinere Pyro-Einlage mit kleinen Bengal-Fackeln. Alles sehr schön. Nach dem Abpfiff gingen wir sofort zum Bahnhof. Unterwegs wurden in einer Backstube noch ein paar Empanadas und an einem Kiosko das übliche Heimweg-Bier erworben und dann gings zum 'Constitución'. Nobbi machte die Sache noch unnötig spannend, da er es nicht rechtzeitig in den Zug schaffte und die Türe buchstäblich vor seiner Nase zu ging, aber da die Züge auf der 'Linea Roca' auch zu späterer Stunde noch alle paar Minuten fahren, war die Reisegruppe bald wieder vereint. Im Hostel verdrückte ich mit Tobias noch ein weiteres Bierchen und dann war Schlafen angesagt, da wir am nächsten Morgen ja äußerst früh aus den Federn mussten. Ziemlich verkorkster Tag. Offensichtlich hatten wir mit der Nummer beim gestrigen Match von River Plate unser Glück ziemlich verbraucht, aber der Banfield-Kick ging ja noch halbwegs gut.
Di. 16.04. 20:15 – Club Cerro Porteño vs Deportes Tolima 0:0 (Copa Libertadores), 3.000 Zuschauer (32 Gäste)
Um 4:30 klingelte der Handy-Wecker und per Taxi fuhren wir zum Ezeiza-Airport. Öffis waren zu so früher Stunde nicht möglich, so dass wir die 200 Pesos investieren mussten. Als wir Wochen vor der Abreise das grobe Gerüst für den Ablauf zusammenbauten war klar, dass wir drei Tage in Paraguay verbringen und von dort auch die Wässerfälle in Iguazu besuchen wollten. Da die Preise für die Fernbusse in letzter Zeit auch stark angezogen haben, und die Fahrzeit locker um die siebzehn Stunden dauert, bissen wir in den sauren Apfel und buchten für knapp 280 Euro viel zu teure Flüge nach Asuncion und zurück. Leider sind in Südamerika die Möglichkeiten, billige Flüge zu bekommen sehr begrenzt. Aerolineas Argentinas brachte uns in etwas mehr als neunzig Minuten in die Capitale Paraguays. Dort angekommen, stellte sich die Beschaffung von Barmitteln als Geduldsprobe heraus. Nach mehrfachen Versuchen beeindruckte unsere Penetranz den Geldautomaten dann doch und er kam mit ein paar Scheinen rüber. Wir fuhren mit dem Bus Nr. 30 für 3.000 Guarani (= ca 60 Cent) in Richtung Zentrum. In der Nähe des Stadions von Club Libertad stiegen wir aus, um schon einmal die Ticket-Frage für das Spiel am Donnerstag zu klären. Ein Mitarbeiter des Vereins erklärte uns dass alles easy sei. Kein Wunder. Libertad ist hinter Cerro Porteño und Olimpia maximal die Nummer Drei der Stadt, so dass wohl nicht mit einem ganz ausverkauften Haus zu rechnen sei, obwohl die Cancha nicht sehr groß ist. Okay, also erstmal weiter in die Stadt. . Wir hatten ja durch die Zeitverschiebung noch nicht einmal 10:00, da Paraguay noch mal eine Stunde früher dran ist als Argentina. Wir hielten einfach irgendeinen Bus an, stiegen dort wieder aus, wo es nach Zentrum aussah, und ließen uns in einem Restaurant mit 'free WiFi' nieder. Erstmal was gegessen und getrunken und im Netz noch mal über die Spielansetzungen vergewissert. Asuncion ist keine sehr sehenswerte Stadt. Hektisch, recht dreckig, und wirkliche Sehenswürdigkeiten gibt es eigentlich gar nicht. Vielleicht muss man sich aber auch einfach die durchschnittliche südamerikanische Großstadt so vorstellen. 500tsd Menschen bevölkern die Metropole. Mit dem Speckgürtel, der sich im Osten anschließt, leben im Ballungsraum allerdings knapp zwei Millionen Menschen. Wir liefen mal Richtung 'Rio Paraguay'. Als wir allerdings aufgrund der parallel zur Straße verlaufenden Kloake ohnmächtig zu werden drohten, brachen wir das Vorhaben ab. Das Wetter war wie an bisher allen Tagen prächtig. In der Sonne waren es gute dreißig Grad und wir nicht gerade ausgeruht. Also zurück Richtung City. Dort ließen wir uns wieder in einem Cafe nieder. So langsam artete der Tag in stumpfes Zeit totschlagen aus. Aber es gab ja auch nichts Sinnvolles zu unternehmen. Wir bewegten uns dann mal langsam in Richtung Stadion. Nochmal ein Stopp in einem weiteren Cafe und dann machte es endlich Sinn sich zum Stadion zu begeben. Als wir uns dem Stadion näherten, verspürte ich ein gewaltiges Brodeln. Sollte dort etwa doch der Mob toben? Ach nee, das Brodeln kam ja aus mir selbst! Der wenig appetitliche Burger vom Nachmittag hatte offenbar nur die Durchreise gebucht und zwang mich ausgerechnet im Stadion auf die Trommel. Zum Glück zeigten sich die Örtlichkeiten sauberer als es zu erwarten war und entgegen meiner Befürchtung war die Nummer auch mit einer Sitzung erledigt. Das wäre eine interessante Nacht im Bus geworden. Schwein gehabt. Auf den letzten Metern zum Ground kreuzte noch eine handtellergroße Spinne mit einem fürchterlich behaarten Arsch unseren Weg, die mich trotz der mich plagenden Not mit einer Mischung aus Faszination und Ekel in ihren Bann zog. Was für ein hässliches Vieh!
Cerro ist bei Spielen in der Copa Libertadores, dem Pendant zur europäischen Champions League, eigentlich eine Top-Adresse. Allerdings spielte der Club eine derart vernichtende Gruppenphase, dass er mit null Punkten aus fünf von sechs Partien bereits sang- und klanglos ausgeschieden war. In den weiten des Internet sind berauschende Videos zur Stimmung im 'Estadio General Pablo Rojas’'zu finden. Da es aber zu den Eigenarten der paraguyaischen und meisten südamerikanischen Fanszenen gehört, sich nicht mehr ins Stadion zu begeben, wenn es in der Copa um nichts mehr geht, erwarteten wir schlicht und ergreifend gar nichts. Umso überraschter waren wir, als sich in den Straßen ums Stadion zumindest ein wenig Fan-Leben offenbarte. Der Ground selbst ist ein herrlich verkommenes altes Oval im Ostblock-Stil mit einem Fassungsvermögen von 32tsd. Natürlich komplett unüberdacht bis auf ein paar VIP- und Presse-Boxen, aber genau das verpasst diesen Hütten ja diesen ganz besonderen und typischen Charme. Natürlich wählten wir die falsche Seite, als wir uns für rechts oder links entscheiden mussten und liefen damit einmal um die Cancha herum. Üble Gegend. Wenn kein Fußballspiel stattfindet und vor allem wenn man allein ist, sollte man diese Ecke im Dunkeln wohl eher meiden. Als wir das Ding gute vierzig Minuten vor Beginn betraten, war die heimische Kurve bereits richtig schön geschmückt. Das ließ ja zumindest auf ein bisschen Action hoffen. Bis zum Anpfiff versammelten sich unter den gespannten Bändern etwa 600 Aktive der 'La Plaza y Commando'. Insgesamt waren etwa 3tsd Menschen im Stadion, davon abgezählte 32 Gäste aus Kolumbien. Wir hatten mit maximal 200-300 Zuschauern gerechnet. Zum Anstoß wurden unsere Erwartungen dann noch mal übertroffen, als in der Kurve blaue und rote Rauchtöpfe gezündet wurden und kleine Feuerwerks-Raketen überall im Stadion abgeschossen wurden. Schönes Bild. Die Hinchada war auch gut drauf und legte einen ordentlichen Dauer-Support hin. Die Art und Weise, wie das Spiel von den Teams geführt wurde, irritierte uns. Während Cerro offensichtlich versuchte, sich noch einmal gut zu verkaufen, und die Hinchas im letzten Spiel versöhnlich zu stimmen, machten die Gäste fast gar nichts. Dabei hatten diese nach unserer Auffassung noch eine kleine Chance ins Achtelfinale einzuziehen, wofür aber ein Sieg zwingend nötig war. Die Heimmannschaft hatte einige gute Einschussmöglichkeiten, scheiterte aber an eigener Abschlussschwäche oder dem (wie bereits in allen vorher gesehenen Spielen beobachteten) für Südamerika typischen Fummelbuchsen-Gehabe. Vor dem Tor einfach mal noch n Haken oder noch n Doppelpass – und irgendwann bleibt die Murmel dann an einem Abwehrbein hängen. Der Auftritt der Barra hat mir aber gut gefallen und so wurde aus dem befürchteten Ananas-Kick doch noch ne ganz unterhaltsame Nummer. Will nicht ausschließen, dass ich Cerro irgendwann einmal mit einem brisanteren Kick bestätige. Da steckte definitiv Potential drin. Nach dem Schlusspfiff suchten wir uns ein Taxi und ließen uns zum Bus-Terminal chauffieren, dass etwa fünf Kilometer außerhalb des Zentrums liegt. Dort für 50tsd Guarani (= ca 10 Euro) einen der Nachtbusse nach Ciudad del Este klar gemacht. Wir ließen uns gegenüber dem Busbahnhof in einem kleinen Cafe nieder und tranken noch was und um 1:00 ging es dann los.
Mi. 17.04. – Cataratas del Iguazu
Der Bus war echt okay. Viel Beinfreiheit und die Sitze konnte man weit nach hinten klappen. Trotzdem hatten wir am falschen Ende gespart, da es kein 'Directo' war und die Möhre bestimmt zehn Mal anhielt, was meistens eine Schlafunterbrechung bedeutete. Für 88tsd hätten wir einen Direkt-Bus bekommen, der sicherlich erholsamer gewesen wäre. Hätte, wenn und aber – alles nur Gelaber. War halt nicht. Um kurz vor sechs kamen wir bereits am Bus-Terminal in Ciudad del Este an. Eine sehr gute Zeit, wenn man die vielen Stopps berücksichtigt. Nach kurzer Beratung entschieden wir, die drei Kilometer bis zur Grenzbrücke über den Rio Paraná zu laufen, da wir ja genügend Zeit hatten. Um diese Uhrzeit ist es schon hell in Südamerika und die zweitgrößte Stadt des Landes präsentierte sich eher als ziemlicher Moloch. Je näher man der Grenze kam, desto hektischer wurde das Ganze und an der Straße reihte sich Verkaufsstand an Verkaufsstand und Geschäft an Geschäft. Ein riesiges Gewusel aus Menschen, Waren und Fahrzeugen, das mich sehr an asiatische Großstädte erinnerte. Grund dafür ist, dass die Brasilianer die Grenze ohne große Formalitäten queren dürfen und in Paraguay viele Dinge günstiger zu kaufen sind als in Brasilien, z.B. Kleidung und Elektronik-Artikel. Also strömen Massen an Menschen morgens von Ost nach West über die Brücke 'Puente da la Amistad' oder auf portugiesisch 'Ponte da Amizade' oder der Einfachheit halber 'Brücke der Freundschaft', die Ciudad del Este mit dem brasilianischen Foz do Iguacu auf der anderen Seite des Rio Paraná verbindet, und nachmittags findet das ganze Spiel dann in umgekehrter Richtung statt. Als wir dieses Durcheinander hinter uns gelassen hatten, gab es den Ausreisestempel auf paraguayischer und den Einreisestempel auf brasilianischer Seite. Natürlich musste wieder ein lästiges wie nutzloses Zolldokument ausgefüllt werden, für das sich dann eh kein Schwein mehr interessiert. Nachdem wir rüber gemacht hatten, entschieden wir, nun auch noch die drei weiteren Kilometer bis zum gebuchten Hostel 'Pousada Natureza' zu laufen. Einchecken war dort leider um nun etwa viertel vor neun noch nicht, aber man war so nett, uns Handtücher zu geben und in der allgemeinen Dusche eine ausführliche Körperpflege ausüben zu lassen. Danach sah die Welt schon wieder anders aus und wir buchten mit Hilfe des Hostel-Wirts ein Taxi zur argentinischen Seite der Wasserfälle und zurück für 160 Real (1 Real = EUR 2,50), also etwa 60 Euro. Nicht billig aber wir hatten wenig Lust und Zeit zu feilschen. Also wieder rüber nach Argentinien, was die nächsten Stempel und Formulare bedeutete. Was ein Grenz-Stress! Etwa 40 Minuten dauert die Fahrt bis zum Nationalpark, wo unverschämte 170 Pesos Eintritt fällig wurden, also knapp 25 Euro. Dafür gab es allerdings ein wirklich beeindruckendes Naturerlebnis zu bestaunen.
Die Wasserfälle von Iguazu sind, gemessen an der Länge der Fallkante, die größten der Welt. Mit kleinen Unterbrechungen dehnt sich die Kante, über die die Wassermassen bis zu 82 Meter in die Tiefe stürzen, über 2700 Meter aus. Herz der Fälle ist der Teufelsschlund ('Garganta del Diablo'), eine 700 Meter lange Schlucht, die ein 'U' bildet, in dass sich das Wasser tosend ergießt, und aus der ständig Gischt aufsteigt. Da die Wege in dem ausgedehnten Gelände recht lang werden können, sind die einzelnen Aussichtspunkte mit einer Bimmelbahn verbunden. Man kann an verschiedenen Stellen über teilweise mehrere hundert Meter lange Stegbrücken bis an die Fallkante heran, was ein ebenso nasses wie beeindruckendes Spektakel ist. Der Nationalpark ist unglaublich artenreich. So konnten wir auch einen Alligator entdecken, der, tief im Wasser liegend, argwöhnisch und wahrscheinlich voller Hoffnung die über ihm auf den Stegen laufenden Menschen beobachtete. Massenhaft Schmetterlinge flattern durch die Luft. Verschiedene Vogelarten sind an jeder Ecke zu sehen. Und ein undefinierbares etwa katzengroßes Pelztier saß auf einmal auf dem Bahnsteig neben uns. Definierbar waren allerdings die Herden von Nasenbären, die sich die Anwesenheit des Menschen zu Nutze machen und die Mülleimer nach Essbarem durchforsten. Wir verbrachten mehrere Stunden im Nationalpark. Unser Taxi-Mokel holte uns zur vereinbarten Zeit wieder ab und nun waren wir nach der Lauferei und der wenig erholsamen letzten Nacht so richtig ausgelatscht. Im Hostel nur kurz auf ein Bier hingesetzt, im SB-Restaurant des nahen Supermercado noch gegessen und dann gingen Tobias und Nobbi um 20:00 in die Falle, während ich noch ein wenig an diesem Schmirgel hier schrieb, damit nicht alle Eindrücke vergessen wurden.
Do. 18.04. 18:45 – Club Libertad vs CA Tigre 3:5 (Copa Libertadores), 6.000 Zuschauer (32 Gäste)
Einigermaßen früh um 7:00 wuchteten wir uns aus dem Bett. Kurzes Frühstück, Check-Out und dann ab der Fisch. Wir wollten die Strecke bis zum Bus-Terminal von Ciudad del Este mit dem Linienbus zurücklegen. Diese fahren auch alle paar Minuten rüber. Das Problem für uns war, dass wir das Grenzprozedere zu erledigen hatten, während alle anderen Fahrgäste dieses eben nicht müssen. Auf keinen Fall durften wir den Einreisestempel für Paraguay verpassen, denn das könnte bei der Ausreise große Probleme bedeuten, da einem die illegale Einreise unterstellt werden würde. Am brasilianischen Grenzposten rauschten wir schon mal vorbei. Nicht schlimm. Auf der anderen Seite der Brücke hielt der Fahrer dann an und wir konnten den Kram erledigen. Natürlich wartete der Bus nicht. Also die glücklicherweise zurückhaltenden Angebote der Moto-Taxi-Mafia abgelehnt (kennt man aus anderen Ländern auch anders), erneut die 4 Real bzw 9.000 Guarani entrichtet und mit dem nächsten Bus zum Terminal. Dort nahmen wir direkt das erste Angebot über 50.000 Guarani (= EUR 9,50) für die Fahrt um 9:00 nach Asuncion an. Eigentlich ein Anfängerfehler aber günstiger ist es auch nicht zu bekommen und der Bus wurde als 'Directo' angepriesen, also die Fahrt ohne Halt. Letztlich stoppte der 'Directo' aber etwa 30 Mal. Den Vogel schoss dabei der erste richtige Stopp (eigentlich stieg an gefühlt jeder Straßenecke jemand zu) an einer etwas größeren Haltestelle, als für die bis dato etwa fünfzehn Fahrgäste ungefähr zwanzig Verkäufer den Bus stürmten und über Getränke, CDs, Sonnenbrillen und Socken beinahe alles anboten, was es gibt. Das geschriebene Wort kann diesem Auftritt einfach nicht gerecht werden. Es war Situationskomik. Eigentlich versuche ich diesen Menschen Respekt entgegenzubringen und einfach nur höflich abzulehnen, da sich diese ja auch nur mühsam ihren Lebensunterhalt sichern wollen, aber dieses Mal war das einfach nur die pure Komik. Spätestens als eine Verkäuferin dem Nobbi mit einem Paar Socken vor der Nase rumwedelte, brachen alle Dämme und wir lachten Tränen. Was für eine Show! Die Busfahrt hätte eigentlich nervig sein müssen, aber der Bus wurde nicht richtig voll und wir hatten alle drei einen Doppelsitz für uns. Die Sitze können weit nach hinten geklappt werden und die Beinfreiheit war auch top – kein Vergleich mit europäischen Bussen. Ich schlummerte erst ein wenig, las dann etwas und stopfte mir schließlich die Musik-Knöppe in die Ohren. So fuhren wir durch die Landschaft und ich fühlte mich mega-entspannt. Da war es wieder, dieses beinahe unbeschreibliche Gefühl der Leichtigkeit, dass mich manchmal auf meinen Reisen beschleicht und ich hätte auf der Stelle eine Weltreise beginnen können.
Um 15:30 kamen wir am Bus-Terminal von Asuncion an. Per Colectivo fuhren wir ins Zentrum und aßen erst einmal etwas. Dann war es auch schon Zeit, zum 'Estadio Dr. Nicolas Leoz' zu fahren. Wir wussten nicht so recht, was uns dort erwartete. Libertad war Zweiter der Gruppe und benötigte nur ein Remis zum Achtelfinal-Einzug. Tigre musste siegen, um in die nächste Runde einzuziehen. Die kleine Cancha fasst 9tsd Menschen. Nach unserer Auffassung sollte es also recht voll werden. Am Stadion fingen uns direkt die Schwarzmarkt-Händler ab. Die ließen wir aber links liegen und fanden deutlich günstiger Einlass. Die offizielle Zuschauerzahl hieß ‚ausverkauft’, aber reell waren maximal 6tsd Leute zugegen. Tigre wurde von abgezählten 39 Menschen unterstützt. Angesichts der Bedeutung des Spiels und der (gemessen an auf Copa-Ebene möglichen Strecken) geringen Entfernung eine echte Enttäuschung. Die kleine Fangemeinde von Libertad war jedenfalls heiß, hatte den Block ein wenig mit Bändern geschmückt und zeigte zum Einlauf der Mannschaft eine große Blockfahne und warf ein paar Kassenrollen. Das Heim-Team legte davon beflügelt auch gut los, aber Tigre erzielte bald mit einem Sonntagsschuss die Führung. Libertad glich umgehend aus, aber dann nahm das Schicksal seinen Lauf. Tigre ging erneut in Führung und kurz darauf gab es gegen Libertad eine Rote Karte und Elfmeter, der zum 3:1-Vorsprung für die Gäste führte. Die Gastgeber reagierten richtig wütend, erzielten sofort den Anschluss und auch den Ausgleich, aber der offenbar völlig zugekokste Linienrichter entschied auf Abseits. Eine unglaublich falsche Entscheidung, die einen fast an der Rechtmäßigkeit der Dinge zweifeln ließ. Der Kamerad wurde mit weiteren Lust- und Laune-Entscheidungen eh zum Mann des Spiels. Unfassbar, dass so ein Lappen internationale Spiele winken darf. Selbst der Plüsch-Affe daheim auf meinem Bett hätte die Aufgabe sorgfältiger erledigt! Dazu machten sich die Gäste-Spieler mit ihrer Art auch nicht gerade beliebt. Scheiß-Verein! Wir hofften, dass die Gastgeber nach der Pause noch einmal richtig Gas geben würden, aber die Luft ging recht schnell aus und Tigre setzte mit den Treffern vier und fünf jeglichem Hoffen ein Ende. Für Libertad reichte es nur noch zum Ehrentreffer, dann war der Kick aus. Die heimische, recht kleine Hinchada um die Barra 'La Escolta' nahm es gelassen. Im Gegensatz zu den Besuchern der Haupttribüne, die sich beim von einer Gruppe Polizisten mit Schildern geschützen Schiri-Gespann mit einem Hagel von Kunststoff-Flaschen und anderen Wurfgeschossen für die Beihilfe zum Auswärtssieg bedanken. Wir mussten nun zu unserem Hostel 'El Nomada'. Dafür wählten wir bewusst eines der absolut schrottreifen Taxis, von denen es in Asuncion reichlich gibt – einen uralten Peugeot 504. Krasses Teil. Die Beifahrertür konnte der Fahrer nur von innen mit Gewalt aufdrücken, die Lenkung war nach dem Mond ausgerichtet und die Hinterachse völlig krumm. So eierten wir mit Tempo 30 in Richtung Hostel. Das einzige was an dem Schrotthaufen gut funktionierte war der Taxameter und der lief viel zu schnell. Daher machten wir dem Fahrer nach Ankunft auch begreiflich, dass wir nur zwei Drittel des Preises bezahlen würden, worin er sich auch notgedrungen fügte. Im Hostel waren wir die einzigen Gäste. Schien auch nicht gut frequentiert zu sein. Das Gästebuch zeigte, dass wir die ersten Besucher seit drei Tagen waren. Dabei war das Ding ganz okay. Gut gepflegt und ein nettes Inhaber-Paar. Es gab noch ein paar 'Pilsen' auf die Leber und dann gings in die Falle.
Fr. 19.04. 19:00 – Velez Sarsfield vs Newell’s Old Boys 1:3 (Primera Division), 16.000 Zuschauer (4.000 Gäste)
Um 6:00 war Aufstehen angesagt. Als erstes musste ich feststellen, dass ich die Warnung der Wirtin ("We have mosquitos here!") besser ernst genommen hätte. Meine Fußknöchel waren halb aufgefressen. Tage später sollten die dicken roten Flatschen ihre Farbe erst in blau und dann in lila ändern. Was für kranke Stechmücken leben denn hier? Die brauchen doch nen Waffenschein! Der Hostel-Wirt brachte uns für viel zu teure 90.000 Guarani (etwa 18 EUR) die 45 Minuten zum Airport. Staubedingt kamen wir dort im wahrsten Sinne des Wortes in letzter Minute am Check-in an. Das wäre beinahe schief gegangen. Zu allem Überfluss durften wir uns die Maschine auch noch mit den Jungs von Tigre teilen und eines der Defensiv-Module saß auch noch neben mir. Hätte ihn am liebsten auf die empörende Wettbewerbsverzerrung vom Vorabend angesprochen, aber abgesehen von absehbaren Sprachbarrieren hätte mich der Typ wahrscheinlich in der Mitte durchgerissen und an Stelle des mampfigen Kuchens verspeist, der an Bord gereicht wurde. Aerolineas Argentinas flog uns zurück in die argentinische Hauptstadt. Dieses Mal landeten wir am anderen (zentrumsnahen) Flughafen der Stadt, dem 'Aeroparque Jorge Newbery'. Von dort brachte uns der Collectivo Nr. 45 direkt vor die Hostel-Tür. Heute würde Grüni zu unserer Gruppe dazu stoßen. Ursprünglich war geplant an diesem Wochenende einen Ausritt nach Montevideo zu unternehmen. Da aber die Kosten für den Transfer recht hoch sind und kein wirklich interessantes Spiel anstand, hakten Tobias und ich den Ausflug relativ schnell ab. Nur um das legendäre 'Estadio Centenario' zu erleben, war uns der finanzielle Einsatz zu hoch. Da wir Südamerika sicherlich nicht das letzte Mal bereisen würden, lief uns das ja nicht weg. Auch Grüni hatte aus der Ferne den Verzicht signalisiert. Nur Nobbi wollte eisern an seinem Vorhaben festhalten. Während Tobias und ich also an den Spielplänen des Wochenendes rumhampelten, versuchte Nobbi verzweifelt einen günstigen Transfer zu ergattern und musste bald enttäuscht feststellen, dass der Plan nicht aufging. Also legte auch er Montevideo zu den Akten. Nahrungsaufnahme war nun angesagt. Ich wollte nach dem ganzen Hamburguesa- und Empanada-Beschuss der letzten Tage endlich mal ein gutes Steak essen. Für Tobias als Vegetarier natürlich unpassend. Für ihn war es hier eh immer wieder eine Herausforderung, etwas Passendes zum Essen zu finden. Nobbi wollte auch nicht, also zog ich alleine zum zwei Blocks weiter befindlichen 'La Brigata', einem der etwas besseren Steak-Häuser. Der Laden wir innen drin über und über mit Fußball-Trikots und Fan-Schals bestückt. Alles was Rang und Namen hatte, war vorhanden. Auch Deutschland war mit dem BVB und Dynamo vertreten. Wie aber ein FK Pirmasens-Schal hierhin gefunden hat, bleibt rätselhaft. Ich orderte ein 'Bife de Lomo’ mit 'Papas fritas provencial', also ein Steak aus der Lende mit Knofel-Pommes. Als Vorspeise noch eine 'Chorizo' also die etwas feinere, argentinische Variante der tschechischen Klobasa. Dazu nach dem ganzen Dosenbier endlich mal ein Gezapftes. Mit 200 Pesos (= 30 EUR) wurde der Spaß relativ teuer. Aber das war mir vorher klar und das war es mir auch wert. Und dann näherte es sich, das begehrte Stück Fleisch. Wie auf einer Sänfte getragen, schwebte es auf einem Teller heran. Rosig lachte mich das medium gebratene Lendensteak an und winkte mir fröhlich zu. Sämtliche Kellner des Lokals standen mit brennenden Bengalos um meinen Tisch herum, als ich den ersten Bissen in den Mund steckte. Die übrigen Gäste applaudierten jubelnd! Natürlich nicht. Aber ich übertreibe nicht, wenn ich behaupte, dass ich das beste Steak meines Lebens vorgesetzt bekam. Ein wahres kulinarisches Feuerwerk. Das Teil war so dermaßen zart, dass man das Messer beinahe nur auflegen musste und es glitt von allein durch das Fleisch. Wenn ich daran denke, was ich in Europa schon für Schuhsohlen vorgesetzt bekommen und vor allem selber gebraten habe, dann war dieses eine Steigerung um 250 Prozent.
Als ich wieder im Hostel ankam, war auch Grüni eingetroffen. Zwar etwas zerschossen von der Anreise, aber bereit für seinen ersten Argentina-Kick. Mit der Subte fuhren wir zur Estacion 'Once’ und von dort mit der 'Linea Sarmiento' fünf Stationen nach Liniers. Dort war schon ganz gut was los und es schien eine gute Menge Gäste angereist zu sein. Kein Wunder. Die Old Boys aus Rosario reisten als Tabellenzweiter an und wollten dieses auch mindestens bleiben. Bis ins letzte Jahr, wurde die Meisterschaft in Argentinien, wie in vielen anderen Ländern Latein-Amerikas auch, zweimal jährlich vergeben. Die Runde des ersten Halbjahres hieß 'Clausura', die der zweiten Jahreshälfte 'Apertura'. Zu dieser Saison gab es eine kleine aber feine Änderung. Zwar werden weiterhin zwei voneinander getrennte Runden ausgetragen, die nun 'Torneo inicial' (= Apertura) und 'Torneo final' (= Clausura) heißen. Es gibt aber nur noch einen Meister pro Jahr, der in einem Finalspiel nach dem Ende des 'Torneo final' zwischen den Siegern der beiden Runden ermittelt wird. Velez, Meister des 'Torneo inicial', befand sich im unteren Drittel des Tabellen-Mittelfelds. Das 'Estadio Jose Amalfitani' fasst knapp 50tsd Leute und ist ein echter Hammer-Ground. Zwar wiederum komplett unüberdacht, aber die Geraden doppelstöckig und wahnsinnig hoch und steil gebaut. Absolut begeisterndes Teil! Aus Rosario waren gut 4tsd Hinchas gekommen, die angeführt von der Barra 'La que nunca abandona' ordentlich Stimmung machten. Die Velez-Kurve blieb lange spärlich bestückt. Die 'La Pandilla de Liniers' (Pandilla = Bande oder Gang) rückte für meinen bescheidenen Geschmack viel zu spät an. Und dadurch, dass dieses Stadion für diesen Verein viel zu groß dimensioniert scheint, offenbarte der Heim-Bereich noch einige Lücken. Vorab sei gesagt, dass die Partie stimmungsmäßig klar an Newell’s ging. Kein Wunder. Obwohl Velez in den letzten Jahren sportlich durchaus erfolgreich ist, kann man hinsichtlich Anzahl der Anhänger und auch in Sachen Stimmung mit den Großen noch lange nicht mithalten. Auch im Spiel waren heute die Kräfteverhältnisse klar verteilt. Zwar konnte Velez die frühe Gäste-Führung noch in der ersten Halbzeit ausgleichen, aber die Old Boys gewannen die Partie durch zwei weitere Tore in der zweiten Hälfte völlig verdient. Nach dem Schlusspfiff gabs dann noch eine Schrecksekunde. Ein Spieler von Velez brach plötzlich zusammen und bei den folgenden panikartigen Reaktionen von Spielern, Offiziellen und Betreuern, waren wir uns unsicher, ob diese Situation nicht mit dem größtmöglichen Unglück endete. Während den auf dem Feld durchgeführten Erste-Hilfe-Maßnahmen feierte die Gäste-Hinchada weiter den Auswärtssieg, was ich zunächst als äußerst pietätlos empfand. Im Nachhinein bin ich aber nicht sicher, ob die durchdrehende Menge die Sachlage überhaupt realisiert hatte. Wenn man mal die Energie und Bewegung im Block in Betracht zieht, bin ich der Meinung, dass der Großteil gar nicht mehr auf das Geschehen auf dem Feld geachtet hatte. Da wir uns direkt neben dem Gästeblock einquartiert hatten, konnten wir die Blocksperre endlich mal umgehen und waren gegen kurz nach 22:00 wieder im Hostel, wo der Abend bei Mau Mau, Billard und Bier ausklang.
Sa. 20.04. 13:00 – Almirante Brown vs Deportivo Merlo 2:0 (Primera B Nacional), 10.000 Zuschauer (700 Gäste)
Sa. 20.04. 18:10 – All Boys vs CA San Martin de San Juan 1:1 (Primera Division), 7.000 Zuschauer (120 Gäste)
Sa. 20.04. 21:00 – Estudiantes de Buenos Aires vs CA Temperley 2:0 (Primera B Metropolitana), 5.500 Zuschauer (50 Gäste)
Heute sollte Historisches angegriffen werden. Der erste 'Vierer' meines Lebens schien zum Greifen nah und Buenos Aires war dafür ein durchaus angemessener Ort. Vorab sei gesagt: es klappte nicht. Dazu später mehr. Da Almirante recht weit draußen spielt, quälten wir uns um halb neun aus den Federn und starteten um halb zehn mit dem Taxi zur 'Estacion Buenos Aires'. Aus dem Internet und der 'Olé' war zu erfahren, dass der Spieler von Velez 'nur' einen epileptischen Anfall erlitten hatte und auf dem Wege der Besserung war. Gut so. Hatte schlimmeres befürchtet. Von der Estacion fuhren wir (wie am letzten Montag) mit der 'Linea Belgrano Sur' etwa 50 Minuten bis zur Station ‚Isidro Casanova’. Aus dem Bahnhof raus und immer geradeaus und nach einer Viertelstunde Fußweg steht man vor dem 19tsd Zuschauer fassenden 'Estadio Fragata Presidente Sarmiento'. Dieses mutet etwas abenteuerlich an, da auf der Gegengerade zwei kleine, recht hohe aber völlig voneinander getrennte Tribünen stehen, von denen die eine (äußere) wirkt, als ob sie dem Stadion irgendwie zugelaufen sei und sich nicht mehr abschütteln ließe. Sieht irgendwie merkwürdig aus. Es war schon ganz gut was los und die Cancha füllte sich auch ganz ordentlich. Auch ein guter und motivierter Gäste-Mob um die 'Banda de Merlo' war angereist. So brüteten wir bei 30 Grad auf der Haupttribüne, denn die ganze Hütte war natürlich mal wieder unüberdacht. Anders als bei den bisher erlebten Spielen gibt es bei Almirante zwei große Gruppen. Zum einen die 'Banda de Almirante' auf der Hintertor-Tribüne und auf einer der angesprochenen Tribünen auf der Gegengeraden die 'La Banda Monstruo'. Beide Gruppen brauchten eine Ewigkeit um ihre Tribünen fertig zu schmücken, so dass die Barras erst nach mehr als zwanzig gespielten Minuten einzogen. Dann wurde es aber richtig, richtig gut, was wir so nie erwartet hatten. Die 'Banda de Almirante' glänzte mit einer schönen Blockfahne. Zum Zeitpunkt des Einzugs waren die beiden Tore des Tages aber bereits gefallen. Ist auch irgendwie sinnfrei, trommelnd und trompetend und singend hinter dem Block zu warten und die Tore der eigenen Mannschaft zu verpassen. Dafür gaben die beiden Gruppen nun richtig Vollgas und es wurde schön laut. Andauernde Gesänge, ständige Bewegung – man hatte kaum noch Gelegenheit mal aufs Spiel zu achten, weil die Blicke ständig auf die Ränge abschweiften. In der zweiten Hälfte kam Merlo, Vorletzter der Tabelle, gegen den Neunten besser zurecht und war dem Anschlusstreffer sehr nah, aber es sollte nicht sein. Auf der Gegenseite verdaddelte Almirante beste Konterchancen. Auf den Rängen zeigten sich beide (bzw alle drei) Seiten weiter gut aufgelegt. Es war zwar ein ziemlicher Trommel- und Sangesbrei, der entstand, da ja nicht nur zwei, sondern mit den Gästen drei Gruppen ihr Bestes gaben, aber das war wirklich eine sehr kurzweilige Geschichte. Nach dem Ende wurde es sportlich. Einerseits hatten wir bereits dem 'Cheffe Executivo' der Staatsmacht klar gemacht, dass wir wichtig sind und keine Blocksperre brauchen können, was auch gelang, und zum anderen hatten wir mit dem direkt am Stadion befindlichen 'Remis' – eine Art Taxi-Service – einen Wagen klar gemacht. Zu unserem Leidwesen hielt sich das Unternehmen nicht an die Absprache und unser Fahrer tauchte erst nach zehn Minuten auf. Dadurch gerieten wir in den Abfahrtsstau der Gäste-Hinchada, was uns weitere wertvolle Zeit kostete. Dafür durften wir die stylische Abreise der Merlo-Hinchas beobachten. Bis zum anvisierten zweiten Kick bei Ferrocarril Oeste waren es gute fünfzehn Kilometer, die nur unter günstigsten Bedingungen im vorhandenen Zeitpolster von 40 Minuten hätten bewältigt werden können. Irgendwann mussten wir einsehen, dass der Kick nicht zu schaffen war. Unseren Chauffeur hatten wir mittlerweile durch unser nervöses Gesabbel an den Rand des Wahnsinns getrieben. Wir leiteten den Mann zur Cancha der All Boys um und ich denke er war froh, als er uns endlich los war.
Dort hatten wir nun noch ein wenig Zeit totzuschlagen und dann enterten wir das 'Estadio Islas Malvinas', also das 'Falkland-Inseln-Stadion'. Passend dazu protestierten in der Halbzeit auf dem Rasen einige Veteranen mit Transparenten gegen das kürzlich erfolgte Referendum auf den Malvinen, in dem sich 99,8% der Inselbevölkerung für den Erhalt des Status als britisches Überseegebiet aussprachen. Der Konflikt um die Inseln, der ja 1982 in den etwa zweimonatigen Krieg ausartete, schwelt bis heute. Argentinien beansprucht die Inseln seit jeher für sich. Das Vereinigte Königreich rückt allerdings vom eigenen Anspruch, u.a. zum Wohle der auf den Falkland-Inseln lebenden britisch-treuen Menschen nicht ab. 16.500 Leute finden im Stadion Platz. Benötigt werden alle Plätze beinahe nie. So auch heute, als der Club Atletico All Boys den eher uninteressanten Gegner Club Atletico San Martin aus San Juan im äußersten Westen Argentiniens empfing. Der 12. gegen den 18. – das machte den Kick nicht exklusiver. Auch aus diesem Grunde fanden wohl nur 7tsd in die Cancha. Grundsätzlich empfand ich die All Boys wie die Argentinos Juniors. Der freundliche 'local club' aus der Nachbarschaft, der seinen Anhang eben nur aus den umliegenden Barrios rekrutiert. Ein kleines, extrem enges und dadurch ganz sympathisches Stadion ist die Hütte. Der Kick war allerdings oberlangweilig. Fehlte nicht viel und ich wäre eingepennt. In der zweiten Hälfte schienen beide Teams einzusehen, dass es nicht das Ziel sein kann, dass ich auf der Tribüne einschlafe und machten zumindest ein bisschen mehr Alarm. Die Gastgeber gingen durch einen völlig unberechtigten Elfer in Führung und die Freude währte zurecht nicht lang, da San Martin quasi im Gegenzug per Kopfball ausglich. Es gab noch weitere Chancen aber es blieb beim gerechten Remis. Die Trommeln der auf der Gegenseite platzierten heimischen Barra 'La Peste blanca' kamen sehr laut rüber und verschluckten fast alle Gesänge. Nee, das war hier heut nix. Aber man kann ja auch nicht nur Highlights erleben.
Also weiter nach Caseros. Dazu verließen wir wieder die Cuidad Buenos Aires und fanden Eintritt in die Provincia, was man natürlich in keiner Weise merkt, da der ganze Großraum zu einer riesigen Metropole zusammen gewachsen ist. Da wir schnell ein Taxi fanden und es nur fünf Kilometer von Cancha zu Cancha waren, standen wir rechtzeitig vor dem 'Estadio Ciudad de Caseros'. Die Gegend um den Ground wirkte nicht sehr einladend. Alles recht asselig hier. Die Dunkelheit tat ihr übriges und da wir dummerweise vor dem Eingang, den auch die Barra nutzte, aus dem Taxi sprangen, zogen wir argwöhnische Blicke und Fingerzeige auf uns. Also schnell auf die andere Seite und ab auf die Haupttribüne. Dort wirkte auch alles deutlich entspannter und geselliger. Die Cancha besteht aus der Haupttribüne und einer großen Stehtribüne auf der anderen Seite, natürlich alles unüberdacht. Geschützt saßen nur die Wichtig-Männer in den verglasten VIP-Boxen des neu wirkenden Gebäudes hinter einem Tor. Irgendwie Belgien-Style, das Ding. Dritte Liga also. Estudiantes hat als Zweiter beste Aufstiegschancen (ein paar Tage später sollte das große River Plate im Pokal gegen Estudiantes scheitern) und wollte mit Temperley heute einen der Verfolger weiter distanzieren. Die Gäste hatten nur knapp 40 Hinchas im Schlepptau, die auch keinen Mucks von sich gaben und eher wie normale Sympathisanten wirkten. Keine Ahnung ob da möglicherweise ein Verbot bestand. Die ‚Barra de Caseros' machte dagegen richtig gut Party. Auch der Block war hübsch geschmückt. Das hat mir mal wieder super gefallen. Scheint aber ne schöne Kiffer-Szene zu sein, wenn man das Design von Zaun- und Schwenkfahnen beachtet. Die Cannabis-Pflanze herrschte jedenfalls deutlich vor. Der Mann mit der Trompete schien einen besonders tiefen Zug aus der Tüte genommen zu haben. Unfassbar wie der abging. Auch das Spiel war berauschend und Estudiantes gab Gas und gewann die Partie durch zwei wirklich sehenswerte Treffer. Nach dem Schlusspfiff hauten wir umgehend ab und verließen das Stadion-Umfeld schnellen Schrittes zur 'Estacion Caseros'. Als wir so am Bahnsteig auf den Zug warteten, ertappte ich mich mal wieder dabei, wie ich im Takt wippend die Melodien der Hinchadas vor mich hinsummte. Der Sound geht echt ins Ohr und bleibt dort gut hängen. Die 'Linea San Martin' brachte uns zum 'Retiro'. Um diese Uhrzeit half von dort nur noch ein Taxi. Die Collectivos fahren zwar, wie bereits angeführt, auch in der Nacht, aber natürlich nicht in der Frequenz wie tagsüber. Fazit des Tages: Der Primera-Kick blieb um Längen hinter den beiden unterklassigen Spielen zurück. Eine höhere Spielklasse ist bekanntermaßen nun mal nicht immer Garantie für gute Atmosphäre.
So. 21.04. 13:00 – CA Los Andes vs Club Almagro 1:3 (Primera B Metropolitana), 2.500 Zuschauer (30 Gäste)
So. 21.04. 18:10 – Boca Juniors vs CA Belgrano 0:0 (Primera Division), 35.000 Zuschauer (4.000 Gäste)
Endlich mal ein halbwegs entspannter Morgen. Zwanzig nach neun aus dem Bett, kurz gefrühstückt, ein bisschen Internet und dann ab zum 'Constitucion'. Von dort mit der Linea General Roca’ bis Lomas de Zamora und dann per pedes eine knappe halbe Stunde zum 'Estadio Eduardo Gallardon’' Wieder an die 30 Grad heute, da geht man schon mal etwas langsamer. Die Cancha hat ein Fassungsvermögen von über 33tsd. Recht weitläufige Schüssel, aber nicht ohne Charme. Zum Glück konnten wir einige der wenigen Schattenplätze ergattern. Die 'Banda de Lomas' machte sich auf der fetten Gegentribüne breit und verpasste dem Spiel den mittlerweile gewohnten Sound. Aufgrund der relativ geringen Zuschauerzahl war die ganze Geschichte natürlich eine recht entspannte Angelegenheit. Die Gäste aus Almagro ließen als Achter der Tabelle beim stark abstiegsbedrohten Achtzehnten keinen Zweifel am Kräfteverhältnis aufkommen und nahmen direkt das Heft in die Hand. Nach dreißig Minuten stand es 3:0 für die Besucher und die Messe war gelesen. In Hälfte zwei gelang Los Andes zehn Minuten vor Ende noch der Anschluss und lieferte danach ein paar wütende Angriffe ab, die durchaus noch zum Ausgleich hätten führen können, aber es fehlte irgendwie das entscheidende Quäntchen Glück. So ist das wenn man unten drin steht. Nach dem Ende nahmen wir direkt ein Taxi bis zum Bahnhof und fuhren zurück zum 'Constitucion'. Von dort liefen wir etwa zwanzig Minuten bis zum 'Estadio Alberto Jacinto Armando', oder kurz: zur 'Bombonera', der 'Pralinenschachtel', wie der Tempel ja im Volksmund wegen seiner Enge genannt wird.
Nun wurde es also ernst. Es galt, das wohl größte Ticket-Problem der Tour zu lösen. Bei den Boca Juniors gehen nur selten Karten in den freien Verkauf. Der größte Teil ist durch 'Abonos' (Dauerkarten) belegt und Restkarten werden 'Socios' (Mitgliedern) vorbehalten. Dementsprechend war unsere Nachfrage am Ticketschalter negativ. Also hieß die Lösung 'Schwarzmarkt'. Wir schlörten unsicher durch die Gegend, das erste Angebot von 250 Pesos pro Ticket lehnten wir ab. Die eigentliche Problematik ist ja, dass massig gefälschte Tickets im Umlauf sind. Man hat also richtig gute Chancen, viel Geld für ein wertloses Stück Papier hinzulegen. Nun hatten wir am Morgen zwei Belgrano-Hinchas gesehen, die ebenfalls im 'Circus Hostel' abgestiegen waren und die Tobias direkt mal auf Tickets anquasselte. Wir bekamen aber nur einen nutzlosen Rat. In einer Gasse im Boca-Viertel kreuzten die beiden dann zufällig unseren Weg und fragten, ob wir Tickets erwerben konnten. Nach Verneinung fingen die beiden an zu telefonieren und plötzlich waren vier Boletos zum Preis von je 110 Pesos, also knapp 20 Euro, klar gemacht. Hammer! Sehr genial, und ich wäre auf der Stelle zum Belgrano-Hincha mutiert, wenn mich nicht die Vereinsfarben massiv daran gehindert hätten. Wir waren den Jungs natürlich sehr dankbar. Nobbi und Grüni strebten direkt zum Stadion, Tobias und ich mussten auf die glückliche Fügung erst einmal ein Zapfbier trinken. Drei Körper- und eine Fingerabdruckkontrolle später stiegen wir gefühlte tausend Treppenstufen hinauf zum Gästeblock, der sich im dritten Rang befindet und auch schon gut gefüllt war, so dass wir mit Ach und Krach brauchbare Plätze fanden. Der Block ist eine Katastrophe. Das darunter befindliche Tor kann man, wegen Zäunen, Fangnetz und der steilen Tribüne kaum erkennen. Getränkestände gibt’s nicht, nur ein paar Heinis, die mit Bauchladen im Block verkaufen. Die sanitären Anlagen hab ich mir besser gar nicht erst angesehen. Vom Event an sich hatte ich grundsätzlich nicht viel erwartet. Dass 4tsd bis 5tsd Gästefans anwesend waren, war schon mal absolut positiv überraschend. Es ist aber nicht so einfach für Gäste, in der 'Bombonera' richtig gute Stimmung zu entfachen, da die Lage des Blocks im dritten Rang natürlich äußerst bescheiden ist. Belgrano war aber ständig bemüht und einige Male richtig gut drauf. Boca kam nach dem Einmarsch der Barra 'La 12' oder auch 'El Jugador No.12' – frei übersetzt: 'Der 12. Mann' – richtig gut und steckte das ganze Stadion an, allerdings verebbte der Sound nach wenigen Minuten. Danach war nur noch die Barra mit Mittel- und Unterrang der Kurve am aktiven Support beteiligt. Die erste Hälfte war recht enttäuschend. In der ersten Minute hatten die Gastgeber aber direkt eine Riesenszene, in der meiner Meinung nach der Ball auch schon die Torlinie überquert hatte, aber die Referees waren anderer Meinung. Die Zeitung bestätigte meinen Eindruck allerdings am nächsten Morgen. Boca spielt eine saumäßige Runde mit nur einem Sieg aus zehn Spielen, während Belgrano im sicheren oberen Mittelfeld stand. Die zweite Hälfte war ausgeglichener und die Stimmung war von beiden Seiten deutlich besser. Vor allem 'La 12' konnte des öfteren des ganze Stadion mitreißen. Auch Belgrano um die 'Los Piratas Celestes de Alberdi' gab zwischendurch gut Gas und ich fühlte mich gar nicht mal so unwohl im Away-Sektor. Immer wieder faszinierend, was die Statik so drauf hat, wenn ein Rang bei Hüpfeinlagen ordentlich ins Schwingen kommt. Wenn man dann noch das Alter und den optischen Zustand des Stadions hinzuaddiert, kann man durchaus ins Schwitzen kommen. Aber das taten wir aufgrund der Temperaturen und der Enge im Block ja sowieso. Eigentlich hört man in den Canchas immer dieselben Melodien, aber Belgrano hatte mindestens zwei Chants, die ich noch nicht kannte, die richtig gut kamen und mir für die nächsten Tage als Ohrwurm in der Birne festsaßen. Es gab einige Minuten, in denen es von beiden Seiten so laut war, dass ich diesen Eindruck gern einmal unten auf dem Rasen erlebt hätte. Trotzdem bestätigte sich meine Meinung, dass der Stellenwert der Boca Juniors maßlos überschätzt wird. Belgrano schien dem Sieg lange Zeit näher, aber in den letzten Minuten gab Boca noch mal Stoff und hatte zwei richtig gute Einschussmöglichkeiten. Aber es blieb torlos. Ende, aus, Micky Maus. Hätte gern nen Treffer – für wen auch immer – gesehen, aber das Spiel hat nun mal seinen eigenen Kopf. Zufriedenheit stellte sich trotzdem ein, da der Ground an sich einfach ein Erlebnis ist. Nach dem Spiel kamen wir als große Belgrano-(Gäste-)Fans um die Blocksperre herum und konnten direkt raus. Nun wurde es aber richtig krass, da die oberen verwinkelten Gänge und Treppen in der 'Bombonera' unbeleuchtet sind. Und da es mittlerweile Abend geworden war, tauchte man ins Stockfinstere ab. Bizarre Szenerie. Tausende tasteten sich vorwärts wie in einer dunklen Höhle und fassten dem Vordermann an die Schulter, um zu erahnen, wo die nächsten Schritte hinführen. Sicherheitsbestimmungen? Nie gehört. Und bei uns regt man sich auf, wenn mal ein Handlauf fehlt... Nobbi und Grüni fanden wir in dem Getümmel nicht und bewegten uns zu Fuß zum Hostel. Natürlich nicht, ohne unterwegs ein paar Kioskos um Gerstensäfte zu erleichtern. Im Hostel angekommen, waren unsere Belgrano-Freunde schon da und wir gaben erst einmal ein Bier aus. Nobbi und Grüni trafen auch irgendwann unversehrt ein, und der Abend klang bei Bier und Billard aus.
Mo. 22.04. 13:00 – Club El Porvenir vs General Lamadrid 2:2 (Primera C Metropolitana), 200 Zuschauer (15 Gäste)
Mo. 22.04. 15:30 – CS Dock Sud vs Deportivo Laferrere 1:1 (Primera C Metropolitana), 400 Zuschauer (30 Gäste)
Mo. 22.04. 20:30 – CA Tigre vs Argentinos Juniors (Primera Division)... dann aber doch nicht
Ursprünglich war für heute nur geplant, Dock Sud und am Abend den Primera-Kick von Tigre zu besuchen. Da aber das Spiel in Gerli noch gut vor Dock Sud passte, entschieden wir uns, den Dreier anzugehen. Wir latschten einmal mehr zum Bahnhof 'Constitucion' und fuhren mit der 'Linea Roca' drei Stationen. Von dort waren es nur wenige Minuten Fußweg zum 'Estadio Gildo Francisco Ghersinich'. Vor dem Spiel klärten wir noch an einem Remis ein Taxi ab, dass wir direkt nach dem Spiel für den Transfer zu Dock Sud brauchten. Dann noch zwei Empanadas im Imbiss an der Ecke geholt, zur Cancha geschlurft und in die vierte Liga abgetaucht. Auch hier war der Heim-Block gut geschmückt, aber irgendetwas war anders. Die Fahnen hingen alle auf dem Kopf. Offensichtlich war die Stimmung zwischen Hinchas und Team nicht die beste. Zwei abstiegsbedrohte Tabellen-Nachbarn trafen aufeinander. Fußball am Montag-Mittag – hat man auch nicht alle Tage. Es dauerte ein wenig bis alle aktiven Fans hinter den Bändern und Fahnen versammelt waren, aber dann legte man los. Dummerweise gelangen den Gästen in der ersten halben Stunde zwei Treffer, so dass die Atmosphäre immer vergifteter wurde. Nach der Halbzeit stellte die Barra den Support endgültig ein und begann die eigenen Spieler und Offiziellen lautstark zu beschimpfen. Auch die beiden Tore zum Ausgleich konnten die Meute nicht mehr versöhnlich stimmen. Zehn Minuten vor dem Ende gab es einen Platzverweis gegen die Gäste und El Porvenir mobilisierte noch einmal alle Kräfte. Kurz vor Ende die Riesenchance zum Sieg, aber der betreffende Spieler brachte es tatsächlich fertig, die Kugel aus einem(!) Meter Entfernung vor dem leeren(!) Tor in den blauen Himmel zu jagen. Unfassbar! Die Cancha besteht aus befestigten Tribünen auf Haupt- und Hintertorseite und Stahlrohr auf der Gegenseite. Die verbleibende Hintertorseite ist unausgebaut. 14tsd Menschen sollen rein passen. Kommt mir ein wenig viel vor. Offiziell waren 200 Leute zugegen. Ich denke aber, dass es einige mehr waren. Leider hatten wir keine Zeit, das Szenario weiter zu beobachten, da wir ja zu Dock Sud wollten.
Mit dem Taxi klappte dieses mal alles und wir erreichten rechtzeitig das 6.500 Personen fassende 'Estadio de los Inmigrantes', das unmittelbar an das Hafengebiet grenzt. Auch nicht gerade die beste Gegend. Bisschen versifft, bisschen ghetto-like, aber im Hellen alles halb so wild. Auch hier lügt die offizielle Angabe von 250 Zuschauern. Es waren eher doppelt so viele bei diesem Viertliga-Vergleich anwesend. Die Cancha ist wieder etwas speziell und wirkt total zusammen geschustert. Dazu wird noch weiter gebaut, da fragt man sich wozu. Der Club Sportivo Dock Sud war als Vorletzter gefordert und hatte mit dem Tabellendritten nicht gerade Fallobst zu Gast. Die Gäste gingen auch schnell in Führung, die Partie war aber spielerisch völlig offen. Nach etwa zehn Minuten zog die 'Barra del Docke' ein und schmückte den Block. Während des Einzugs gab es allerdings irgendwie Stress untereinander. Der Grund war für uns nicht ersichtlich, aber schließlich mussten die betreffenden Parteien durch eine Polizei-Kette getrennt werden. Die Barra legte für die vierte Liga einen ganz ordentlichen Support hin und noch vor dem Pausentee fiel der verdiente Ausgleichstreffer. Das Publikum wirkte insgesamt eher den schwächeren sozialen Schichten zugehörig. In der zweiten Hälfte waren die Gastgeber das engagiertere und bessere Team, aber das Leder wollte einfach nicht mehr ins Netz. Allerdings waren die Fähigkeiten auch begrenzt. Ein paar Minuten vor dem Ende packte die Barra in Windeseile alles zusammen und verschwand geschlossen aus dem Stadion, was die Staatsmacht in Alarmbereitschaft versetzte. Der Capo sprach dann aber mit dem Befehlshaber und nach 'shake hands' entspannte sich die Lage. Trotzdem eine sehr merkwürdige und für uns schwer einzuschätzende Situation. Also nach dem Abpfiff sofort weg aus der Ecke. Wir mussten nun quer durch den gesamten Ballungsraum um das Spiel von Tigre zu erreichen.
Der Fußmarsch zur 'Estacion Sarandi' war mit dreißig Minuten länger als eingeschätzt und der Zug zum 'Constitucion' ließ auch ungewöhnlich lang auf sich warten. Von dort mit der Subte zum 'Retiro'. Kohldampf war angesagt und wir nahmen zwei Pizzen für unterwegs mit. Die 'Linea Mitre' war dann zur Feierabendzeit voll mit Pendlern und wir mussten mit Stehplätzen vorlieb nehmen. Die Leute im Zug werden sich gefreut haben, dass wir Pizza mampfend in dem Gedränge zwischen ihnen standen, aber irgendwat is ja immer. Die Bahn kam kaum vom Fleck. Über eine längere Strecke fuhren wir mit maximal 30 km/h und kamen so erst nach über einer Stunde in Victoria an, wo man den Zug verlassen muss, um die verbleibenden Meter zu Fuß zum 'Estadio Jose Dellagiovanna' abzuspulen. Als wir dort eintrudelten waren es nur noch wenige Minuten bis zum Anstoß und das Unheil nahm seinen Lauf. Die Ordner schickten uns von rechts nach links und dann wieder zurück. Als wir günstig in den Gästeblock Einlass finden wollten, hängte man sich an unseren einfachen Digital-Kameras auf und verbot uns, mit diesen den Away-Sektor zu betreten. Hallooo? Jedes Handy hat mittlerweile eine bessere Kamerafunktion. Was sollte also der Scheiß? Aber alles Diskutieren half nichts. Da blieb nur die Haupttribüne. Der Kick lief nun aber bereits seit zehn Minuten und für die 'Platea' (= Haupttribüne) wollte man völlig überzogene 170 Pesos, also fast 30 Euro haben. Nee Danke. Nicht für eine Partie mit dem Stellenwert Wolfsburg gegen Augsburg. Also verzichteten wir und zogen ab. Ich fand diesen Club schon beim Gastspiel in Asuncion scheiße und dieser Eindruck vertiefte sich hiermit deutlich. Mit diesem Rumgehampel hat sich Tigre endgültig zu meinem persönlichen Hass-Verein in Argentinien gemausert. Also wieder eine gefühlte Ewigkeit zurück zum 'Retiro'. Der Vorteil war, dass nun die U-Bahn noch fuhr und man um die späte Uhrzeit die letzten Bahnen kostenlos nutzen kann, da die Ticketschalter schon geschlossen sind. Im Hostel bereiteten wir dem Tag das übliche Ende mit Cerveza und Billard.
Di. 23.04. 19:05 – Chacarita Juniors vs CSyD Flandria 1:3 (Primera B Metropolitana), 10.000 Zuschauer (39 Gäste)
Heute konnte man endlich mal so richtig auspennen. Fussi erst abends und vorher hatten wir lediglich mal die Busse in Richtung Rosario und weiter nach Santiago zu klären. Also um 11:00 aus der Pofe geschält. Eigentlich hätte man sich ja auch noch mal ein wenig in der Stadt umsehen können, aber ich kam irgendwie nicht so aus den Hufen und hing im Internet, um noch ein paar Sachen für das anstehende Chile-Wochenende herauszufinden und ein wenig an diesem Bericht hier zu basteln. Nobbi und Grüni wollten sich noch einmal ausführlich das Viertel 'La Boca' ansehen und Tobias verbrachte die Mittagszeit mit Essen und Schlafen. Um 15:00 starteten wir dann mit der Subte zum 'Retiro', dieses Mal zum Bus-Terminal. Dort wurden wir erst einmal von knapp 200 Schaltern der einzelnen Busgesellschaften erschlagen. Da aber viele Anbieter identische Strecken offerieren, ist es beinahe egal wo man mit der Erkundung anfängt. Dazu hacken sich die Krähen die Augen nicht gegenseitig aus und rufen identische Kurse auf. Man trifft die Auswahl also eher nach der Abfahrtszeit oder der Bus-Qualität. Nobbi hatte am Vorabend schon ein wenig im Internet gesucht und daher wussten wir, wo wir hin mussten. Für 130 Pesos (ca 23 Euro) sicherten wir uns Plätze in einem 'Semi-Cama'-Bus, bedeutet, dass man die Sitze halb nach hinten klappen kann, wie in den bereits in Paraguay genutzten Fahrzeugen. Als das geklärt war, brachen wir in das Barrio 'Villa Maipu' auf, einem Distrikt des 'Partido' (Verwaltungsbezirk) General San Martin. Dort tragen die Chacarita Juniors im gleichnamigen 'Estadio Chacarita Juniors' ihre Heimspiele aus. Wie am Vortag war die extrem langsame 'Linea Mitre’ das benötigte Verkehrsmittel, wenn auch auf einer anderen Strecke. Änderte nix an der Langsamkeit des Seins. Nach ungefähr einem Jahr kamen wir in San Martin an.
Die Gegend um das Stadion ist eine der eher weniger ansprechenden Ecken von Buenos Aires. Sonderlich sicher fühlt man sich dort auch bei Tageslicht nicht. Aber wenn man Augen und Ohren offen hält, geht das schon. Der Ground von Chaca ist deutlich jünger als die anderen Stadien der Stadt. Grund dafür ist, dass die Bude 2005 geschlossen und von Grund auf neu errichtet wurde. In den Jahren des Neubaus musste die Mannschaft ihre Heimspiele in anderen Canchas von Buenos Aires austragen. Diese Tatsache wurde von der eh nicht mit dem besten Ruf behafteten Barra 'La Famosa Bande de San Martin' dazu genutzt, die fremden Stadien regelmäßig in ihre Einzelteile zu zerlegen. Zermürbt vom jahrelangen 'Vertrieben-Schicksal' bekam die Rückkehr in die eigene Cancha im Jahre 2011 fast eine historische Bedeutung und intensivierte die Identifikation mit dem eigenen Stadion und dem Verein ins Unermessliche. Wahrscheinlich sind die Chacarita Juniors auch aus diesem Grunde mit dem Mythos der 'besonderen Atmosphäre' behaftet. Der Verein hat für die Cancha auch noch gewaltige Ausbaupläne. Bis dahin wird aber sicherlich noch reichlich Zeit vergehen, wenn es nicht sogar komplette Illusion bleibt. Das Stadion besteht aus drei hohen, unüberdachten Tribünen, einer Sitzplatztribüne und zwei Stehtribünen hinter den Toren. Die Gegenseite ist völlig unbebaut und gibt, da der Stadtteil etwas höher liegt, einen Panorama-Blick auf die entfernte Downtown frei. 24.300 Menschen passen hinein. Wir erwarteten uns von der Atmosphäre ein bisschen was, da Chacarita zwar einen etwas asseligen aber eben doch sehr guten Ruf genießt. Die Cancha füllte sich bis zum Anpfiff auch ordentlich und die Hinchada legte gut los. Man spürte wieder hautnah, welche Energie in dieser Kurve steckt und dass die Support-Uhren hier völlig anders gehen als in Europa. Der Club Altletico Chacarita Juniors ist stark aufstiegsgefährdet und empfing als Vierter den Vierzehnten, den Club Social y Deportivo Flandria aus Lujan, einem westlichen Vorort in der Provincia. Eigentlich hatte ich erwartet, dass Chacarita gut loslegt, aber genau das Umgekehrte war der Fall. Flandria spielte eine richtig gute Partie, kampf- und laufstark, ganz im Gegenteil zu den Gastgebern, die überhaupt nicht in Tritt kamen. Durch zwei Treffer in Halbzeit eins schien die Partie dann auch gelaufen, aber Chacarita gelang direkt in den ersten Minuten der zweiten Hälfte der Anschlusstreffer. Natürlich war nun weiter Feuer unter dem nicht vorhandenen Dach, aber der Funke sprang nicht so recht von den Rängen auf den Rasen über. Flandria brachte die Nummer sicher und ganz bestimmt nicht unverdient über die Zeit. Nach dem Ende verließen wir das Stadion und die Gegend drumherum zügig, da es mittlerweile dunkel war und wir in dieser Ecke nicht länger als nötig verweilen wollten. Die Bimmelbahn brachte uns zurück zum 'Retiro', dieses Mal nicht nur wieder unendlich lahm, sondern auch übertrieben herunterklimatisiert. Schockgefrostet kamen wir wieder im Stadtzentrum an. Mit der Subte ging es wieder kostenlos (weil wieder sehr spät) zurück zum Hostel. Dort noch ein bisschen Bier und zum letzten Male Billard (ich weiß, die Abendgestaltung wiederholt sich) und der Tag wurde für beendet erklärt. Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass der glorreiche RWE von den gefühlten eintausend im 'Circus Hostel' gespielten Pool-Partien lediglich zwei verlor. Eine davon auch noch absichtlich, um den Ehrgeiz des beleidigten FC Köln ein wenig zu kitzeln. Dieser und die Borussia von 1900 stritten sich abgeschlagen darum, wer Letzter werden darf. Wenn es doch im wahren Fußballleben auch so laufen würde....
Mi. 24.04. 21:15 – Newell’s Old Boys vs Velez Sarsfield 0:1 (Copa Libertadores), 37.000 Zuschauer (0 Gäste)
Um halb neun standen wir auf und packten unsere Sachen. "Leaving Buenos Aires" war heut angesagt. Zum letzten Mal in die Subte. Zum letzten Mal zum 'Retiro'. Wir entschieden uns für den Anbieter 'Costera Criolla' – warum auch immer. Vielleicht, weil die kleine Maus hinter dem Schalter so süß ihre paar Brocken Englisch hervor kramte. 12:15 war Abfahrt. Allein, den Ballungsraum Buenos Aires zu verlassen ist schon eine zeitraubende Aufgabe. Als der Fahrer dann am Rande der Agglomeration noch ein kleines Busterminal ansteuerte, um das die umliegenden Straßen völlig chaotisch verstopft waren, schien die geplante Fahrzeit von viereinhalb Stunden nach Rosario reine Utopie. Beinahe ein Wunder, dass wir unser Ziel nur etwa eine halbe Stunde verspätet erreichten. Als wir erst einmal aus Buenos Aires raus waren und über die schnurgerade Autopista durch die Felder fuhren, befiel mich Musik hörend wieder diese angenehme Reiseleichtigkeit. Ein Gefühl, dass ich total genieße. Rosario, mit 900tsd Einwohnern die drittgrößte Stadt des Landes, ist der Geburtsort des aktuell besten Fußballers der Welt. Bis zu seinem achten Lebensjahr spielte Lionel Messi bei einem kleinen Vorort-Club, ehe er zu den Newell's Old Boys wechselte. Den Verein verließ er allerdings im Alter von dreizehn Jahren wieder bzw musste ihn verlassen, da seine Eltern aus wirtschaftlichen Gründen ins spanische Barcelona auswanderten. Die weitere Geschichte ist bekannt. Ein anderer berühmter Bürger der Stadt ist Ernesto Guevara de la Serna, besser bekannt als Che Guevara. Der Geburtsort Rosario entsprang allerdings eher dem Zufall, da er 1928 während eines Zwischenstopps einer Schiffsreise seiner Eltern zur Welt kam. Im Alter von vier Jahren verließen seine Eltern mit ihm die Stadt bereits wieder. Mit 25 Jahren verließ er Argentinien endgültig und trat seine schillernde 'Karriere' als Revolutionär an, die im Alter von 39 Jahren in Bolivien schließlich gewaltsam tödlich endete. Am 'Terminal de Omnibus Mariano Morena', klärten wir direkt die Weiterfahrt nach Cordoba im Anschluss an das heutige Spiel, schauten um 17:30 Ortszeit die letzten Minuten des Lewandoski-Festspiels gegen Real Madrid und machten uns dann mit dem Taxi auf zu dem von Grüni für diese Nacht gemieteten Apartment. Nach dem Kick sollten sich unsere Wege für knapp 40 Stunden trennen. Wir traten die gewünschte, weil sehr beeindruckende Busfahrt über die Anden an, während Grüni, der sich erst spät entschieden hatte, ebenfalls für das kommende Wochenende nach Santiago zu reisen, sich die ganze Sache von oben aus ansehen und am Freitag mit dem Flugzeug anreisen würde. Aber erstmal war Fusek angesagt. Unser Gepäck lagerten wir in Grünis Bleibe ein, gingen dann noch was essen, und näherten uns dann dem 'Estadio Marcelo Bielsa'. Vom heutigen Spiel erwarteten wir uns einiges. Am Freitag hatten wir dieselbe Paarung ja noch umgekehrt im Liga-Betrieb gesehen und uns ein durchaus positives Bild von Newell’s gemacht. Heute waren zwar keine Gäste erlaubt, da die Velez-Hinchas beim Gruppenspiel in Montevideo randaliert hatten, so dass bis zum eventuellen Halbfinale ein Reiseverbot bestand. Das trübte die Vorfreude auf dieses Achtelfinal-Hinspiel aber keineswegs und wir waren bereits 90 Minuten vor dem Anstoß am Stadion. Dort war schon eine Menge los. Die Newell’s-Hinchas wirkten äußerst motiviert. Der Club wird auch als 'La Lepra' und seine Anhänger als 'Los Leprosos' bezeichnet. Das geht auf eine Wohltätigkeitsveranstaltung in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts zurück. Verein und Hinchada haben diesen Spitznamen angenommen und bezeichnen sich gern selbst als Lepra ('Soy leproso!').
Die Cancha besteht aus einem rundherum verlaufenden Rang. Die Platea ist hier ausnahmsweise sogar überdacht. Auf die Gegenseite und die südliche Hintertortribüne, dem Domizil der Barra 'La que nunca abandona' ist jeweils ein recht großer zweiter Rang aufgesetzt, der nach oben hin stufig abschließt. Schon ein etwas spezieller Ground, der aber sehr gut gefällt! 38tsd Zuschauer passen hinein und die Kiste füllte sich sehr gut. Es lag ein absolutes Knistern in der Luft. Konnte gut werden heut Abend und mit jeder Minute, der der Anstoß näher rückte, wuchs unsere Anspannung und die Lust auf den Kick. Die ersten Gesänge hallten durch die Bude und es wurde schon angenehm laut. Kurz vor Beginn zog die Barra mit mehreren brennenden Bengalos singend und tanzend zügig ein und man merkte, wie heiß alle auf dieses Spiel waren. Das Stadion war beinahe ausverkauft und ganz in die Clubfarben rot und schwarz gehüllt. Das Gäste-Team wurde mit einem gellenden Pfeifkonzert empfangen. Als die Gastgeber den Rasen betraten wurde ein beachtlicher Lärmpegel erreicht. Der Unterrang der Gegentribüne war mit roten und schwarzen Banderolen behangen, auf denen jeweils einzelne Buchstaben prangten, die den Vereinsnamen ergaben. Im Oberrang wurde eine Blockfahne heruntergelassen und am unteren Geländer waren Leute mit großen Schwenkern platziert. Der Unterrang der Hintertortribüne war im Bereich der Barra wie üblich geschmückt. Im Oberrang wurde ebenfalls eine Blockfahne gezeigt und viele kleine Fahnen geschwenkt. Dazu wurden mehrere hundert Kassenrollen geworden. Ein sehr schönes Bild. In den ersten Minuten stieg auch immer das ganze Stadion auf die Gesänge ein. Absolute Gänsehaut machte sich breit und die Nackenhaare stellten sich auf. So muss sich ein Brennstab vor der Kernschmelze fühlen. Hier musste heut unbedingt ein Tor für die Heim-Mannschaft fallen, das würde die Hütte komplett explodieren lassen, da war ich mir sicher. Die Vorzeichen standen ja gut. Der aktuelle Tabellenzweite der Primera empfing die relativ graue Maus aus dem unteren Tabellendrittel und hatte diese wenige Tage vorher in deren Bau klar beherrscht. Allerdings hatte Velez den deutlich besseren Start auf dem Feld und zog der Atmosphäre damit erst einmal ein wenig den Zahn. Der Ex-Gladbacher Insua auf Seiten der Gäste zog hinter den Spitzen ganz gut die Fäden. Es dauerte eine Viertelstunde bis sich die Old Boys sortiert hatten, die Partie in den Griff bekamen und stärker wurden. Dadurch wurde auch das Publikum außerhalb der Barra wieder aktiver und stieg auf die Gesänge ein. Zwingende Chancen ergaben sich nur wenige. Allerdings war man mit zwei Lattenschüssen dem Ziel schon recht nah. Velez Sarsfield hielt den Kick aber recht offen, wenn man sich auch kaum mal eine Chance erspielen konnte. So ging es in die Halbzeit. Es war noch genügend Zeit aber irgendwie beschlich mich ein mieses Gefühl. Zum Beginn der zweiten Hälfte gaben die Hinchas wieder alles. Absolut geile Atmosphäre, wenn das ganze Stadion voller Inbrunst die Melodien sang. Die Mannschaft schien das aber eher zu lähmen, denn zu beflügeln. Irgendwie verkrampfte diese mehr und mehr und spielte immer seltener durchdacht und zielstrebig nach vorne. Allerdings hielt Velez auch weiterhin gut dagegen. Die Zeit lief also mehr und mehr davon. Ich habe mir in einem eigentlich neutral betrachteten Spiel selten so sehr ein Tor für die Heim-Elf gewünscht, wie in diesen Momenten. Und dann passierte es. Ein wiederum ungenaues Zuspiel von Newell’s in die Spitze, das von der Velez-Defensive locker abgefangen wurde und plötzlich ging alles ganz schnell. Über zwei schnelle Stationen landete das Leder bei Insua, der mit einem Geistesblitz einen seiner Stürmer mit einem cleveren Pass einsetzte. Dieser ließ noch einen Verteidiger aussteigen und dann dem Schnapper abgeklärt keine Chance. 0:1. Ich denke, ich war in diesem Moment nicht weniger gefrustet als der Rest des Publikums. In der Folge versuchte es Newell’s mit wütenden Angriffen, die aber selten gefährlich wurden. Dazu übten sich die Gäste nun in noch nervigerem Zeitspiel als vorher. Aber wenn der Referee nichts dagegen unternimmt, würde ich in dieser Situation dasselbe machen. Die Minuten rannen, die Hinchada trieb die Mannschaft mit letzter Kraft an. Wie schon mehrfach in den Tagen vorher erlebt wurden auch hier manche Lieder minutenlang lautstark durchgezogen. Das gefällt mir an der Stimmung Argentinien auch richtig gut. Irgendwann waren die 90 Minuten voll. Der vierte Mann zeigte fünf Minuten Nachspielzeit an. Fünf Minuten Hoffnung. Letzte verzweifelte lange Bälle flogen in die Velez-Hälfte, doch alles half nix. Kein Tor für die Heim-Mannschaft. Schluss, Ende, Aus! Scheißdreck! Wir hatten bisher während der ganzen Tour nicht besonders viel Glück mit den Ergebnissen gehabt, aber bisher hatte ich mich nicht so enttäuscht wie gefühlt, wie in diesem Moment. Ein wenig konsterniert liefen wir eine Dose Frustbier trinkend zu Grünis Bude, holten unser Gepäck und fuhren mit dem Taxi zum Bus-Terminal. Zu allem Überfluss erreichte mich noch die Nachricht, dass sich der Verein meines Herzens bis auf die Knochen in Hönnepel-Niedermörmter blamiert hatte und aus dem Niederrhein-Pokal geflogen war.
Do. 25.04. – On the road again
Um 1:00 bestiegen wir den Bus der Gesellschaft 'Urquiza', die uns für 235 Pesos (ca. 38 Euro) fünf Stunden durch die Nacht nach Cordoba bringen sollte. Wir hatten uns für einen 'Cama'-Bus entschieden. Soll heißen, dass dieser mit breiteren Sitzen mit mehr Sitzfläche ausgestattet war, die man dazu noch fast in die waagerechte Liege-Position klappen kann. ähnlich der 'Business Class' im Flugzeug. Zwei Dosen 'Quilmes' halfen mir in den Schlaf. Erholsam war die Nacht natürlich nicht, zumal sie noch kürzer ausfiel, da wir früher als geplant in Cordoba, zweitgrößte Stadt Argentiniens und Schauplatz der Schmach von 1978, eintrafen. Dort buchten wir uns für 7:30 den Anschluss nach Mendoza. 380 Pesos (knapp 63 Euro) kostete der Spaß in der 'Semi-Cama'-Klasse. Zwar fahren um diese Zeit mehrere Anbieter diese Strecke. Aber zum einen offerieren alle zum selben Preis und alle dieselbe Busklasse. Daher konnte wir eben nur 'Semi-Cama' ergattern. Aber auch hier lassen sich die Sitze ganz ordentlich zurückklappen und ausreichend Beinfreiheit ist auch vorhanden. Wir konnten wieder die vorderen Plätze im oberen Deck buchen. Das kann je nach Sonnenstand zwar recht warm werden, aber dafür hat man hervorragende Aussicht. Wir verbrachten die folgenden elf Stunden Fahrt durch die platte Pampa lesend, schlafend, quatschend. Manchmal kam es vor, dass wir zwanzig Minuten nur geradeaus fuhren ohne eine einzige Kurve, so weitläufig ist die Landschaft im Westen Argentiniens. Um kurz nach 18:00 kamen wir in der 1,1-Mio-Einwohner-Metropole Mendoza am Fuße der Anden an. Mit dem Taxi fuhren wir zum Hotel. Zumindest fast bis dahin, denn kurz vor dem Ziel war die Straße abgesperrt und exakt auf der Kreuzung vor unserer Bruchbude probten zwei Dutzend überwiegend dunkelhäutige Menschen den Aufstand, in dem sie undefinierbares Zeug abfackelten und irgendwelche Sprüche skandierten. Für was und gegen wen die protestierten, erschloss sich uns aber nicht. Sachen ins Hotel, dann noch kurz etwas essen und mit Nobbi ein kurzer Spaziergang durch das Zentrum. Danach passierte nicht mehr viel, da die Reserven zu Ende waren. Den Jungs auf der Kreuzung war auch die Luft oder der Brennstoff ausgegangen, denn es herrschte mittlerweile Ruhe. Im Zimmer war es unfassbar warm, aber todmüde kam ich irgendwie in den Schlaf.
Fr. 26.04. 20:00 – Union Española vs O’Higgins (Primera Division), 6.385 Zuschauer (2.000 Gäste)
Früh klingelte der Wecker. Es gibt mehrere Gesellschaften, welche die Strecke über die Anden fahren. Wir hatten uns für den Anbieter 'Andesmar' entschieden, der bereits um 6:30 eine Abfahrt anbietet. Sieben Stunden sollte die Fahrt dauern, so dass wir also circa um 13:30 in Santiago de Chile eintreffen sollten. Wir hatten uns extra die vorderen Plätze auf dem oberen Deck gesichert, um eine optimale Aussicht auf die Landschaft zu haben. Als wir am Bus-Terminal eintrafen, war aber weit und breit nix von einem entsprechenden Beförderungsmittel zu sehen. Auf Nachfrage am Schalter der Busgesellschaft, bekamen wir die Info, dass der Pass über die Anden gesperrt sei und man nicht wüsste, wann dieser frei gegeben wird. Deshalb wurde der 6:30-Bus mit dem um 7:30 zusammengelegt. Die Nummer stank zum Himmel. Wahrscheinlich waren beide Busse zu schwach gebucht und es sollten Kosten gespart werden. Allerdings fuhren auch die Busse der anderen Gesellschaften verspätet los, so dass es zumindest im Bereich des Möglichen war, dass man so früh noch nicht über den 'Paso Libertadores’ konnte. Durch die 'Aus zwei mach eins'-Aktion waren nun einige Plätze doppelt vergeben. Natürlich auch unsere begehrten Sitze direkt an der Frontscheibe. Ein junges Latino-Pärchen und ein amerikanisches Ehepaar in den Fünfzigern waren unsere Mitbewerber. Da uns das Problem aber frühzeitig klar wurde, waren wir vorbereitet. Während Nobbi unser Gepäck unten abgab, blockierten Tobias und ich die Plätze oben. Das junge Paar ging die logische Konfrontation dann besonnen und diplomatisch an. Der Mann des Ami-Paares gebärdete sich aber als Riesen-Arschloch und Vollidiot und wollte die Plätze mit Unverschämtheit und Aggressivität erobern, die die Drecks-Amis auch in der Weltpolitik an den Tag legen. Er musste dann aber einsehen, dass wir nicht weichen. Die Ami-Frau petzte daraufhin beim Busfahrer. Der kam, prüfte die Tickets, zuckte mit den Schultern... und ging wieder. Großer Auftritt. Da Norbert dann doch der ruhende Pol unserer Reisegruppe ist, bot er den Kompromiss an, dass wir nach der Grenze tauschen. Ich bin grundsätzlich ein Freund von Kompromissen, aber dieser dämliche Yankee hatte das eigentlich nicht verdient. Um den Stress aus der Situation zu nehmen, willigten dann aber auch Tobias und ich ein. Der Ami konnte seine Niederlage aber nicht verkraften und war weiterhin bockig und provozierte auch während der Fahrt noch weiter, so dass von unserer Seite irgendwann ein eindeutiger Hinweis nötig war, um den Typen ein wenig einzuschüchtern und ihm unmissverständlich klarzumachen, dass er sich entspannen muss, wenn er nicht seine Grenzen aufgezeigt bekommen wollte. Hat jedenfalls gewirkt.
Gegen halb neun waren wir gestartet. Hinter Mendoza zeigten sich auch direkt die ersten Erhebungen. Massen an Lkw ziehen die Passstraße hoch, die vom Busfahrer aber souverän und relativ risikofrei überholt wurden. Guter Mann. Die Strecke wurde dann nach und nach immer atemberaubender und die Gegend immer rauer. Den Anstieg vom auf 800 Metern liegenden Mendoza nimmt man indes kaum wahr. Dabei liegt der höchste Punkt der Straße immerhin auf 3.500 Metern. Nachdem der Scheitelpunkt, der in einem drei Kilometer langen Tunnel (die ADAC Tunnel-Prüfer würden bei Besichtigung dieses Bauwerkes wahrscheinlich Schnappatmung bekommen) liegt, passiert wurde, ging es einige hundert Meter wieder bergab und dann erreichten wir die Grenze zu Chile. Vor dem Grenz-Gebäude werden die Lkw, die etwa 90% des Pass-Verkehrs ausmachen, von der Straße auf ein Kontroll-Gelände geleitet. Pkw und Busse werden nacheinander durch eine Halle geleitet, in der die Kontrollen stattfinden. Mir war bekannt, dass es bis zu zwei Stunden dauern kann, bis man diese passiert hat. Vor uns standen bereits vier Busse und warteten auf Abfertigung. Das Ganze lief dann so… zunächst stiegen die Passagiere aus und gingen in den Bereich, in dem die Passkontrolle durchgeführt wird. Immerhin war man so clever die chilenischen Schalter unmittelbar neben dan argentinischen zu platzieren, so dass man nur einmal anstehen muss. Bei Nobbi gab es die üblichen Probleme, die wir bisher bei jeder Grenzkontrolle mit argentinischer Beteiligung erleben durften. Mithilfe eines des Englischen mächtigen Mannes konnten wir aber nun endlich den Grund erfahren. In der argentinischen Datenbank ist Nobbis Ausweis als gestohlen gemeldet. Warum man diesen Eintrag nicht entfernt, da ja offensichtlich immer wieder bestätigt wurde, dass doch alles okay ist, bleibt ein Rätsel. Nach den Ausweiskontrollen, darf man wieder in den Bus steigen und genervt darauf warten, dass es endlich weiter geht. Die Abfertigung eines Busses dauert etwa dreißig Minuten. Irgendwann fuhr dann auch unser Bus in die Halle ein. Dort durfte man dann wieder aussteigen und mit seinem Handgepäck in einen Raum gehen in dem man sich in Dreier-Reihen aufstellen musste. Ein Beamter mit einem Spürhund schritt dann langsam die Reihen ab. Alle Passagiere mussten das Handgepäck auf ein Band legen, das durch ein Durchleuchtungsgerät, wie man es von Flughäfen kennt, lief. Verdächtiges Gepäck wurde aussortiert und die Besitzer aufgerufen. In deren Beisein, wurde dann das Gepäck geöffnet, während alle anderen an ihrem Platz stehen bleiben mussten, bis alles geklärt war. Es ist verboten tierische und pflanzliche Produkte privat nach Chile einzuführen. Also feierten die Zöllner jede gefundene Apfelsine wie die Entdeckung einer Atom-Bombe. So ein überzogener Scheiß. Ich will mit meinem Vergleich nicht zu weit ausholen, aber es hatte schon was von Verladung zur Deportation. Danach wird das große Gepäck von ein paar Hampelmännern aus dem Kofferraum des Busses auf das Band geladen und ebenfalls durchleuchtet. Dann durften alle wieder einsteigen und es ging nach über zweieinhalb Stunden endlich weiter. Wir hatten uns gewundert, dass uns auf der ganzen Strecke noch keine Fahrzeuge entgegen gekommen waren. Des Rätsels Lösung offenbarte sich dann auf chilenischer Seite. Nicht weit hinter der Grenze beginnen die Serpentinen, die vom Pass herunter führen. Das Gefälle auf chilenischer Seite ist deutlich steiler als in Argentinien. Und eben diese kurvige Strecke wird derzeit saniert und ausgebaut. Aus diesem Grunde läuft der Verkehr nur einspurig. So schlängelt sich ein Lindwurm von Lkw, dazwischen mal ein Bus oder ein Pkw, den Berg hinunter. Ab dem Punkt, wo die Baustelle endet (oder beginnt) hatte sich dann eine unfassbar lange, mehrere Kilometer lange Schlange aus wartenden Fahrzeugen (wiederum Lkw und Busse/Pkw getrennt) gebildet, die den Pass in die andere Richtung bezwingen wollen. Ich vermute, dass der Pass immer für einige Stunden in jede Richtung geöffnet wird, was auch unsere verspätete Abfahrt erklären könnte. Jedenfalls muss es für die Lkw-Fahrer eine Quälerei sein, diese Strecke zu überwinden, da sicherlich mehrere Tage Wartezeit dafür erforderlich sind. Die Strecke ist auf chilenischer Seite nicht weniger beeindruckend als auf der argentinischen. Immer neue Ausblicke auf wilde Gipfel und zerklüftete Täler werden frei. Über Los Andes erreichten wir dann nach etwa drei Stunden um kurz nach 18:00 Santiago.
Am Bus-Terminal erwartete uns das blanke Chaos. So ein heilloses Durcheinander hab ich nicht einmal in Asien erlebt. Busse standen kreuz und quer und alles wuselte umher. Das Terminal war mit diesem Aufkommen komplett überfordert. Zu allem Überfluss akzeptierte keiner der vorhandenen Geldautomaten unsere Karten. Eine Wechselstube schaffte Abhilfe. Da die Zeit bis zum Spiel langsam knapp wurde, fuhren wir mit dem Taxi zum gebuchten Hostel 'La Chimba'. Der erste Eindruck von der Stadt war positiv. Santiago wirkte sauberer, aufgeräumter und fortschrittlicher als Buenos Aires. Anders als in Argentinien, fahren auch keine Schrottkarren durch die Gegend, sondern überwiegend neue Modelle. In der Metropolregion um Santiago leben über sechs Millionen Menschen, das sind knapp 40% der Bevölkerung Chiles. Santiago selbst hat eigentlich nur 200tsd Einwohner, denn lediglich die innere Gemeinde trägt diesen Namen. An der Hostel-Rezeption erwartete uns ein völlig verpeilter Rasta-Typ, der kaum was auf die Kette bekam. Die Einstellungsvoraussetzung war offenbar, zugekifft zu sein, kein Englisch zu sprechen und von nix ne Ahnung zu haben. Unfassbare Gestalt. Überhaupt waren wir wohl im klassischen Traveller-Hostel gelandet, aber die beiden Doppelzimmer waren okay und die sanitären Anlagen neu und sauber. Kurz die Klamotten aufs Zimmer und dann per Taxi zum 'Estadio Santa Laura' zum Topspiel zwischen Tabellenführer Club Deportivo Union Española, von spanischen Einwanderern gegründet, und dem direkten Verfolger Club Deportivo O’Higgings de Rancagua. Der Club kommt an seinen interessanten Namen, da die Stadt Rancagua in der 'Region del Libertador General Bernado O’Higgins' liegt. Letzterer war ein führender Unabhängigkeitskämpfer im Befreiungskrieg des frühen 19. Jahrhunderts und später chilenischer Präsident. Obwohl es sich aufgrund der Tabellensituation um ein absolutes Spitzenspiel handelte, fanden sich nur knapp über 6tsd Zuschauer im Ground ein. Normalerweise verlaufen sich aber deutlich weniger Fans zu den Spielen von Española, das nun mal nicht zu den großen Clubs der Stadt gehört. Die Gäste wurden von knapp 2tsd Anhängern unterstützt. Da die in den Clubfarben von Union Espanola gehaltene Hütte mehr als 28tsd Zuschauer fasst, blieben natürlich große Lücken. Der Ground ist aber durchaus ansehnlich, auch wenn es sich überwiegend um Stahlrohr-Konstruktion handelt. Leider sind ja in Chile nach wie vor jegliche optischen und akustischen Stilmittel verboten. Zaun- und Schwenkfahnen, Konfetti, Trommeln – alles nicht erlaubt. Pyro sowieso. Da in den letzten Jahren die Gewalt immer mehr eskalierte, traf der Verband diese für die Barras bittere Entscheidung. Die chilenischen Szenen starteten darauf Aktionen und warben dafür, zumindest wieder ihre Fahnen verwenden zu dürfen, da diese mit dem Gewaltproblem nicht in Zusammenhang stehen. Aktuell ist aber keine Änderung zu erwarten. Mit dem Generalverbot wird den Kurven natürlich die Seele geraubt und es fehlt auch einfach irgendwas beim Stadionbesuch. Die einzige mögliche Art der Anfeuerung sind Gesänge und Schlachtrufe. Kleine Schwenkfähnchen werden geduldet. Ebenso längliche Luftballons, die eher Plastiktüten sind, und die zum Anstoß in die Luft geworfen werden. Optisch bieten die Kurven also ein eher trostloses Bild. Die zu hörenden Melodien sind weitestgehend identisch mit den in Argentinien und Paraguay gehörten, was ja auch nicht weiter überrascht. Die Gastgeber legten gut los und hatten nach wenigen Minuten einen Lattentreffer. Weitere Chancen folgten. Den Führungstreffer erzielte aber O’Higgins mit einem blitzsauberen Konter. Danach wurde die Partie ausgeglichener. In Hälfte zwei zunächst dasselbe Bild. Española machte Druck und O’Higgins den Treffer. Es folgten zwar verzweifelte Bemühungen seitens der Heim-Elf, die aber am gegnerischen Torwart oder am Aluminium endeten und am Wechsel an der Tabellenspitze nichts mehr änderten. Die Gäste veranschaulichten dagegen aus dem Lehrbuch, wie man beste Konterchancen verdaddeln kann. Nach dem Schlusspfiff trafen wir dann auch wieder mit Grüni zusammen, der am Morgen per Flugzeug in Santiago angekommen war. Mit dem Taxi ging’s zurück in die Hostel-Gegend, wo wir uns noch was zu Essen suchten und danach der Müdigkeit Tribut zollten.
Sa. 27.04. 12:30 – CD Everton de Viña del Mar vs Santiago Wanderers (Primera Division), 5.996 Zuschauer (3.500 Gäste)
Sa. 27.04. 19:30 – Universidad Catolica vs Deportes Iquique (Primera Division), 10.000 Zuschauer (80 Gäste)
Um viertel nach sieben standen wir schon wieder auf. Der ‘Clasico Costeño' bat um Beachtung. In diesem trafen der Aufsteiger Everton aus Viña del Mar auf die Santiago Wanderers aus Valparaiso. Die Wanderers sind der älteste, noch existierende chilenische Fußballverein. Der Clubname ist etwas irreführend, könnte man doch meinen, dass der Verein auch aus der Hauptstadt stammt. Dem ist aber nicht so. Leider entziehen sich die Hintergründe über die Herkunft des Namens meiner Kenntnis. Nicht weniger irritierend ist der Name der Gastgeber. Der Verein wurde von englischen Einwanderern gegründet, was die Namenswahl natürlich erklärt. 'Oro y Cielo' ist der Spitzname von Everton, also die 'Gold-Blauen'. Beide Clubs tragen ihre Heimspiele derzeit im 40 bis 50 Kilometer entfernten Quillota in einem flatschneuen Arena-Teil aus, da die eigenen Stadion für die 'Copa America 2015' (also das Nationen-Kontinental-Turnier) modernisiert werden. Vom Bus-Terminal ‚San Borja’, das direkt neben dem wenig frequentierten Bahnhof liegt, fuhren wir in knapp zwei Stunden ins etwa 130 Kilometer entfernte Quillota. Das ‘Estadio Bicentenario Lucio Fariña' ist ein komplett überdachtes, nur mit Sitzplätzen versehenes Stadion und fasst knapp 7.700 Zuschauer. Es ist gebaut wie ein 'U'. Eine Hintertorseite wird nur durch ein Funktionsgebäude und die Anzeigetafel geschmückt. Wenn diese Seite identisch mit der gegenüberliegenden wäre, stände dort quasi eine Miniatur-Ausgabe des Nürnberger 'Frankenstadions’, da dann ein Achteck komplett wäre. Wie klein die Hopping-Welt ist, durften wir dann feststellen, als Tobias zufällig zwei Bekannte aus der Kölner Szene im Stadion traf. Pierre, den ich auch mal während eines Fluges nach Portugal kennen gelernt hatte, und Jojo waren bereits seit Januar für fünf Monate in Südamerika unterwegs. Ich hatte auf eine ausverkaufte Hütte gehofft, aber es blieben genug Plätze leer. Die eigentliche Gastmannschaft wurde von der Mehrheit der Anwesenden unterstützt. Die Stimmung war nahezu enthusiastisch. Zum Intro gab es die gleichen Luftballons wie gestern zu sehen. Durch das vorhandene Dach verschwanden die Gesänge hier auch nicht ohne Widerhall, sondern schallten ordentlich zurück. Von beiden Seiten ein sehr guter und unermüdlicher Auftritt. Die Wanderers waren aufgrund mehr Masse der lautere Anhang. Objektiv fällt die Beurteilung aber schwer, da wir auch näher an diesen positioniert waren. Everton als Tabellen-Zwölfter bestimmte die Partie gegen den Sechsten. Die Wanderers bekamen kaum etwas Produktives auf die Reihe. Auch kämpferisch waren die Gastgeber überlegen und gingen folgerichtig in Führung und ließen kurz darauf das zweite Tor folgen. Schöner Tor-Roar, der von der Gegenseite zu uns herüber hallte. Nach einer guten Stunde fiel Treffer Nummer drei für die Jungs aus Viña del Mar und spätestens jetzt war das Ding auch endgültig versiegelt. Der Anhang der Wanderers ließ sich aber nicht beirren und gab weiterhin alles. Nach einigen Böllerwürfen aus der Gästekurve stand die Partie dann in der Schlussphase kurz vor dem Abbruch. Die Lage beruhigte sich dann aber wieder. Eine kurzweilige Angelegenheit war das. Hat Spaß gemacht. Nach dem Ende erlebten wir dann die einzige Blocksperre während unseres Chile-Aufenthaltes. Unfassbar wie engstirnig die Staatsmacht sich zeigte. Obwohl wir offensichtlich mit keinem der beiden Clubs etwas am Hut hatten und sich auch noch Einheimische für uns einsetzten, blieben die Ordnungshüter stur und wir mussten die vollen zwanzig Minuten warten. Das Tragen einer Uniform macht in Chile offenbar genauso blöde wie in Deutschland!
Nun war Eile geboten, da wir den Bus um 15:30 zurück in die Hauptstadt bekommen mussten. Hatten etwas Mühe, den Haltepunkt des Busses zu finden, aber am Ende lief alles recht entspannt. Zwei Stunden später waren wir wieder am 'San Borja'. Direkt daneben ist ein großer Konsumtempel mit Fress-Meile, wo wir unsere Mägen füllten. Dann mit der roten Metro bis zur Endstation 'Los Dominicos' im Osten der Stadt. Die öffentlichen Verkehrsmittel sind auch hier sehr günstig und ein Metro-Ticket berechtigt im Zweifelsfall dazu, den ganzen Tag kreuz und quer mit allen Linien durch die Stadt zu fahren, sofern man den Untergrund nicht zwischendurch verlässt. Für die letzten Kilometer zum 'Estadio San Carlos de Apoquindo' von Universidad Catolica musste ein Taxi herhalten. Der Ground liegt wirklich ganz am Rande der Stadt. Dahinter erheben sich die ersten Erhebungen der Anden. Das Stadion war sehr gut gefüllt. Wie bei Union Española handelt es sich um ein reines Fußballstadion mit kleinem überdachten Bereich auf der Hauptseite. 18.500 Menschen passen hinein. Die offizielle Zuschauerzahl war meiner Meinung nach untertrieben. Etwa 80 Personen versammelten sich im Gästebereich, um den Tabellenletzten zu supporten. Bei einer Entfernung von 1.800 Kilometern zwischen Santiago und Iquique sind aber Zweifel berechtigt, dass diese den weiten Weg auf sich genommen haben. Dürfte sich wohl eher um Exilanten gehandelt haben. Catolica begann offensiv. Als Vierter der Liga war die Ausrichtung klar. Die Stimmung war ganz ordentlich. Der aktive Teil des Publikums war gar nicht mal so kleine. Auch hier wieder die Stangen-Luftballons zum Beginn. Nach einigen Fehlversuchen gelang dann auch der Führungstreffer, was die Atmosphäre weiter anfachte. Aus dem Nichts fiel mit dem Pausenpfiff durch einen direkten Freistoß der Ausgleich. Kleiner Unfall, dachte ich mir. Aber im zweiten Durchgang fanden die 'Cruzados’ einfach kein Mittel um die Gäste-Abwehr zu knacken. Die wenigen Bälle, die durchkamen wurden durch den guten Gäste-Schnapper vereitelt. Iquique verlegte sich aufs Kontern und dann frühzeitig auf elende Zeitschinderei, die ja in Südamerika durch die Referees nur sehr inkonsequent unterbunden wird. Fünf Minuten Nachspielzeit wurden angezeigt. Und als die Gäste weiter auf Zeit spielten, erlebte ich ein Novum in meiner Fußballkarriere. Es wurde noch eine weitere Minute Spielzeit angezeigt. Nachspielzeit zur Nachspielzeit. Hatte ich auch noch nirgendwo gesehen. Die Gäste brachten das Remis über die Zeit und durften sich über einen unerwarteten Punktgewinn freuen. Die Rückfahrt in die Stadt war eine Herausforderung. Wir schnallten nicht, welchen Bus wir brauchten und aufgrund der abgeschiedenen Lage waren Taxen nicht zu finden. Also liefen wir einfach mal los und stiegen nach zwanzig Minuten doch in einen Bus, der uns dann auch zur Metro brachte. Mit dieser wieder ins Zentrum und die zehn Minuten Fußweg zum Hostel. Nobbi und Grüni fühlten sich müde und wählten die Waagerechte. Tobias und ich gingen noch auf die unmittelbar benachbarte Party-Meile, tranken ein paar Cervezas und landeten am Ende in einer etwas skurrilen Karaoke-Bar, die uns noch einige Lacher bescherte.
So. 28.04. 12:00 – CD Magallanes vs Coquimbo Unido (Primera B), 1.875 Zuschauer (400 Gäste)
So. 28.04. 18:30 – CSD Colo Colo vs CD Huachipato (Primera Division), 9.000 Zuschauer (30 Gäste)
Der letzte Tag unserer Tour brach an. Während Nobbi dem Sightseeing den Vorzug gab, zog es uns in den Westen der Stadt zum Zweitliga-Topspiel zwischen Magallanes und Coquimbo Unido. Die grüne Metro brachte uns zur Endstation 'Plaza de Maipu' und von dort waren es nur wenige hundert Meter Fußweg zum 'Estadio Municipal Santiago Bueras'. Mit knapp 2tsd Leuten sah das kleine unscheinbare Ding ganz gut gefüllt aus. Der Club Deportivo Magallanes ist einer der älteren Vereine des Landes und hatte in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts auch durchaus Bedeutung und errang einige Meisterschaften. Der heute bedeutendste Verein Chiles, Colo Colo, entstammt einer Abspaltung vom CD Magallanes. Bei diesem Spiel trafen wir dann auch wieder Jojo, während Pierre nach Concepcion weitergereist war. Der Kick wurde überwiegend quatschend verbracht. Auf dem Feld neutralisierten sich beide Teams ziemlich, wodurch Torchancen Mangelware waren. Die Heimmannschaft hätte mit einem Sieg an den aus dem 400 Kilometer entfernten Coquimbo vorbeiziehen und die Tabellenführung erringen können. Magallanes erzielte zwar die vermeintliche Führung, die allerdings wegen Abseitsposition nicht anerkannt wurde. Irgendwann war offensichtlich, dass die Partie torlos enden würde. Mit dem sechsten 0:0 der Tour erreichten wir eine Torlos-Quote von 25%. Traurig, traurig! Nun hatten wir bis zum Abendspiel etwas Zeit. Erstmal fuhren wir zurück ins Zentrum. Grüni entschied sich, zum Hostel zu gehen und Tobias und ich hatten vor, dem 'Cerro San Cristobal' einen Besuch abzustatten. Jojo schloss sich uns an. Der 'Cerro San Cristobal' ist ein beliebtes Ausflugsziel nahe an unserem Hostel. Es handelt sich um einen Hügel inmitten der Stadt, der sich 300 Meter über die Grundfläche erhebt und auf dem sich eine Marien-Statue befindet. Eine betagte Zahnradbahn brachte uns nach oben, von wo man einen schönen Ausblick hat, der aber durch den smogbedingten Dunst, der über Santiago hängt, etwas getrübt wird. Den Weg nach unten bewältigten wir per pedes.
Weiter ging es mit der grünen Metro neun Stationen zum 'Estadio Monumental David Arellano', der Heimstätte von Colo Colo. Der Ground ähnelt dem von Universidad Catolica, wenn auch in einer anderen Dimension, denn 47.000 Menschen finden hier Platz. Ich hatte mich eigentlich auf diese Partie gefreut, da Colo Colo ja zusammen mit Universidad de Chile das Aushängeschild des chilenischen Fußballs bildet. Demnach war ich davon ausgegangen, dass auch die Kulisse und der Support eine Nummer größer sein würden, als bei den bisher gesehenen Spielen. Es zeichnete sich aber schnell ab, dass ich mit meiner Hoffnung daneben lag. Auch hier dürfte die offizielle Zuschauerzahl zwar untertrieben gewesen sein, aber mehr als 10tsd Menschen waren nicht im Stadion. Enttäuschend. Dazu gab es hier statt einem Stimmungsblock zwei gegenüberliegende. Zusammen hätten diese eine ordentliche Lautstärke erreichen können, aber so kamen selten gemeinsame Gesänge auf. Zum Einlauf der Teams wieder die bekannten Penis-Luftballons. Auf der spärlich besetzten Gegengeraden wurden aber immerhin von einigen Gruppen die eigentlich verbotenen Banner präsentiert, die offenbar hineingeschmuggelt und dann einfach hochgehalten wurden. Immer wieder kamen Ordner angerannt, um dieses (moderat und deeskalierend!) zu unterbinden. Wenn diese aber wieder verschwunden waren, tauchten die Banner sofort wieder auf. Eine friedliche Art des Protests gegen das unsinnige Verbot. Hat mir gut gefallen und natürlich meine Sympathie gefunden. Weiter so. Vielleicht besinnt sich der Verband ja irgendwann und lässt nach und nach wieder Materialien zu. Anderenfalls sehe ich schwarz für die chilenischen Hinchadas. Colo Colo spielt als derzeitiger Neunter eine schwache Saison. Diese Partie gegen den Gegner aus dem unteren Drittel der Tabelle beherrschte man allerdings klar und ging bis zur Pause mit 2:0 in Führung. Nach dem Wechsel ließ man die Geschichte aber schleifen und der Club Deportivo Huachipato, Meister der letzten Runde, aus der 160tsd-Einwohner Stadt Talcahuano konnte ausgleichen, ohne dass sie eigentlich wussten, warum. Den Punkt hat man wohl trotzdem gern mitgenommen. Die Hauptgruppe von Colo Colo versammelte sich im nördlichen Hintertorbereich. Allerdings versammelte sich auch im schräg gegenüberliegenden Eck, neben dem Gästeblock, ein Stimmungskern. Wenn die beiden Gruppen sich zusammen getan hätten, wäre die Atmosphäre sicher nicht schlecht gewesen, aber so war es nichts Halbes und nichts Ganzes. Der letzte Kick der Tour konnte die Erwartungen daher überhaupt nicht erfüllen. Wir verfolgten die Geschichte einigermaßen gelangweilt und waren dann auch froh, als der Referee den Schlusspfiff ertönen ließ. Mit der Metro fuhren wir zurück ins Zentrum, aßen zum letzten Mal was zusammen und schlurften zum Hostel zurück, wo jeder seiner eigenen Beschäftigung nachging. Ich vertrieb mir den Abend bei einem Sechser-Pack 'Cristal' und spulte noch einmal die Tour vor meinen Augen ab.
Was bleibt? Todmüde nach der Anreise, beseelt von San Lorenzo, von Moskitos zerfressen in Asuncion, beeindruckt von Iguazu, total gelangweilt von den All Boys, mitgerissen von Newell's… viele Eindrücke wurden gesammelt. 18 Tage ohne einen Tropfen Regen mit Sonne und blauem Himmel haben wir verbracht. Das war nach dem langen und kalten Winterwetter in Mitteleuropa natürlich sehr angenehm. 24 Spiele haben wir gesehen. Rückblickend hätte man auf den einen oder anderen Kick sicherlich verzichten können. Aber gerade in Buenos Aires, wo ja zu fast jeder Tages- und Nachtzeit vor die Murmel getreten wurde, war die Versuchung einfach zu groß. Highlights waren sicherlich Newells's in der Copa, San Lorenzo und Almirante Brown. Aber auch Cerro Porteño hat mir trotz der geringen Zuschauerzahl gut gefallen. Da muss ich irgendwann noch mal hin. Und da sich Rosario Central anschickt, aus der Primera B wieder in die Primera aufzusteigen, wäre auch der Rosario-Clasico, der ja nach einigen Meinungen der Beste in Argentinien sein soll, sicherlich ein Anreiz.
Mo. 29.04. - Way back home
Grüni verließ uns unbemerkt um 4:00, da er einen frühen Rückflug nach Buenos Aires hatte. Tobias brach gegen 8:00 zum 'Aeropuerto Internacional Comodoro Arturo Merino Benitez' (welch ein Name) auf, um seinen Iberia-Rückflug über Madrid um 11:20 wahrzunehmen. Nobbi und ich starteten kurz nach 9:00 mit der roten Metro bis zur Station 'Pajaritos', von wo mehrmals die Stunde ein Shuttle-Bus zum Flughafen fährt. Pünktlich um 12:50 ging es mit der TAM zunächst bis Sao Paulo. Dort hatten wir bis zum Anschluss sechs Stunden abzupimmeln. An der einzigen(!) Transit-Schleuse war ein Riesen-Rückstau, der vor allem durch indische Staatsbürger verantwortet wurde. Deren Personalien wurden erst einmal von einem finster drein blickenden Security-Mitarbeiter gecheckt. Danach stellten sich die ganzen Ranjids an der Gepäck- und Körperkontrolle total dämlich an. Die Borussia ließ mal wieder sämtliche Ellbogen-Qualitäten vermissen und wartete brav zwischen den Turban-Trägern. Ich stellte mich mal lieber vorne an und wartete dann entspannt auf einer Sitzbank, bis sich unser kleiner Niederrheiner mit seinen neuen Freunden durch die Kontrolle gequetscht hatte. Ich mag dieses aufdringliche Volk einfach nicht. Und damit meine ich ausnahmsweise mal nicht die Gladbacher. Irgendwann trafen wir noch wie erwartet auf den Ascheberscher, der von seinem Aufenthalt in Peru und Ecuador die Heimreise angetreten hatte. Gegen Mitternacht ging es für uns dann weiter. Ich muss die TAM noch einmal loben. Ist wirklich ne gute Airline mit modernen Maschinen. In-Seat-Entertainment, gutes Catering, freundliches Kabinenpersonal und Getränke so viele man will. Leider war der A330 fast voll. Immerhin konnten Nobbi und ich jeweils einen Doppelsitz im hinteren Teil der Maschine ergattern. Nobbi hatte dabei Pech, da er Dauerbeschallung durch ein hinter ihm befindliches Kleinkind 'genießen' durfte. Ich steckte mir einfach meine Silikonstöpsel in die Ohren, Schlafmaske auf, und ab ins Reich der Träume. Ging zumindest so einigermaßen. Um 16:00 Ortszeit landeten wir am 'Charles de Gaulle' in Paris. Ätzender Flughafen. Unübersichtlich und in den Abflugbereichen viel zu eng. Schnell weg hier. Und zwar mit der Lufthansa überpünktlich um 19:40. Der Captain gab ordentlich Stoff (wollte offenbar das Rückspiel vom BVB bei Real sehen) und setzte eine Viertelstunde vor der Zeit in Düsseldorf auf. Dann eine Bremsung, wie ich sie noch nie erlebt hab. Die Bremsen blockierten beinahe und meine Rübe knallte fast vor den Vordersitz. Nur damit der Flieger die erste Ausfahrt zum Rollfeld erwischen konnte. Kein Zweifel - der Mann hatte es eilig. Das Gepäck kam zügig. Der Abschied von Nobbi war nicht allzu schmerzhaft. Man sieht sich eh bald wieder. Skytrain zum Flughafen-Bahnhof und direkt in den Regional-Express nach Mülheim, wo mich meine Herzdame abholte ... und mich witziger weise erst einmal nicht erkannte! Mann, ich war keine drei Wochen weg! Kann man sich doch nicht so verändert haben. Mit der Ankunft in den eigenen vier Wänden endete um 21:45 die 27-stündige Rückreise und eine tolle Tour. Danke an Nobbi, Tobias und Grüni für die ausgesprochen angenehme und kurzweilige Gesellschaft. Und ausdrücklichen Dank an meinen Top-Agenten 'Triple D' aus dem Saarland für viele Tipps und Hilfestellungen vor und während der Tour.
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(Manni Breuckmann)
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