Das Stadion 'Rajko Mitic' in der serbischen Hauptstadt war eine böse Lücke und mit welchem Kick kann man diese besser schließen, als mit dem Belgrader Clasico zwischen Crvena Zvezda und Partizan, das auf dem Balken als 'Veciti derbi', das 'ewige Derby' bezeichnet wird. In den letzten Jahren passte mir das nie so richtig ins Konzept, aber dieses Jahr hatte ich die Partie von Anfang an auf dem Zettel und mir fest vorgenommen, anzureisen. Angenehmer Begleitumstand war, dass sich Christian aus Hamburg, sowie seine Kumpel Seb und Tim aus seiner Westerwälder Heimat, mit denen ich ja auch schon die eine oder andere Tour verlebt hatte, auch entschlossen hatten, das Wochenende in der serbischen Hauptstadt zu verbringen. So oder so war aber klar, dass man bei diesem Event das eine oder andere bekannte Gesicht unvorbereitet vor Ort treffen würde. Dieser Kick zieht ja die Szene an wie der berühmte Scheißhaufen die nicht minder berühmten Fliegen. Ich denke man kann von sicherlich mindestens 150 bis 200 deutschen Besuchern bei diesem Ereignis ausgehen. Wenn man dann noch berücksichtigt, dass dieses krankhafte Hobby mittlerweile auch in den Niederlanden und auf der Insel mehr und mehr Anklang findet, sowie die Versprengten aus anderen Ländern einrechnet, dann könnte man eigentlich nur noch den Kopf darüber schütteln, wenn man nicht selbst Teil des Ganzen wäre. Aber et is wie et is. Die Buchung passender Flüge bereitete mir einige Zeit Kopfzerbrechen, da ich auf keinen Fall Urlaubstage für die Reise verschwenden wollte. Den perfekt passenden Hinflug samstags morgens mit Wizzair ab Dortmund beobachtete ich so lange, bis er letztlich zu teuer wurde, aber ohne den passenden Oneway-Return eh keinen Wert hatte. Ab Düsseldorf wollte sich keine bezahlbare Verbindung finden lassen, so dass ich mich schließlich auf Frankfurt verlegte und die optimale, täglich geprüfte aber mir dauerhaft zu teure Direkt-Verbindung mit 'Air Serbia', sank Anfang März plötzlich auf halbwegs erschwingliche 159 Euro, so dass ich zuschlug. Da ich noch genug mit meiner Zentralamerika-Reise um die Ohren hatte, kümmerte sich Christian dankenswerter Weise um die Buchung des Hotels und den Online-Kauf der Derby-Tix.
Am Freitag fuhr ich direkt nach Feierabend mit dem eigenen Wagen nach Frankfurt. Den im Internet angekündigten Stau zwischen Ratingen und Hilden gab es zum Glück gar nicht und auch an Köln rutschte ich sehr gut vorbei. Lief also eigentlich ganz gut. Erst Höhe Limburg verlor ich erstmalig Zeit, die sich ein altes Ömelein unbedingt eine Baustellen-Durchfahrt aussuchen musste, um mit ihrer alten Schaukel liegen zu blieben. Sorgen machte dann ein aus dem Nichts im Navi auftauchender Stau von zehn Kilometern länge zwischen Niedernhausen und dem Frankfurter Kreuz. Da eh alles etwas eng geplant war, konnte ich es auf keinen Fall riskieren, dort hinein zu fahren. Also runter vom Highway und via Eppstein, wo mich auf der kurvigen Strecke ein Oppa in nem antiquierten 190er mit seiner Schleichfahrt zur Weißglut brachte - verdammte Axt, gib den Lappen doch lieber ab, selbst an Krücken bist Du schneller gelaufen - und Kelkheim auf die B8. Dann via A66, A648 und A5 auf die B44, am Waldstadion und dem scheiß DFB vorbei zum S-Bahnhof 'Stadion', wo man kostenneutral parken kann. Ich erwischte umgehend eine verspätete S8 und kam somit noch so gerade rechtzeitig am Check-in an. Das war knapp! Der Flug ging vom Gate C2 - absolute Frechheit das Ding. Keine sanitären Anlagen und räumlich völlig beengt. Eher ein Gefängnis als ein Boarding-Bereich. Passend dazu schob die Bundespolizei mit diesem Flieger einen Serben ab, der natürlich äußerst unglücklich aus der Wäsche schaute. Arme Sau, aber für alle ist halt kein Platz hier. Mit souverän korrektem Service bracht mich die ehemalige JAT Airways in die serbische Hauptstadt, wo wir on-time um 21:45 Uhr landeten. Im Flieger traf ich mit Alex aus Düsseldorf nebst Freundin auch schon die erste bekannte Person. Am Airport 'Nikola Tesla', benannt nach dem serbischen Physik-Superhirn des letzten Centennium, war dann Warten angesagt. Die drei anderen Gestalten flogen knappe zwei Stunden später mit dem deutschen Kranich ein und ich hatte mich entschieden bei zwei, drei Pivo auf die Jungs zu warten, damit wir dann gemeinsam mit dem Taxi zum Hotel fahren. Wo lag der Fehler in dieser Idee? Leider darin, dass es um diese Uhrzeit kein Bier mehr am den Airport zu erwerben gibt. Machte die Warterei zwar nur bedingt erfreulich, ging aber auch vorbei. 1.800 Dinar (120 Dinar = 1 Euro) kostete die zwanzigminütige Fahrt zum 'Belgrade City Hotel', das sich direkt gegenüber dem Bahnhof befindet. Guter Schuppen, den Christian von einem früheren Aufenthalt kannte. Dort gab es ein wirklich ordentliches und bequemes Doppelzimmer mit Bad und Frühstück für 70 Euro Zimmerpreis je Nacht. Mittlerweile war es kurz vor ein Uhr, was uns nicht davon abhielt, noch nach geöffneten Etablissements zwecks Pivo-Verzehr zu suchen. Gelang uns auch leidlich im Altstadt-Viertel. Nach einem Getränk in einer Kellerbar landeten wir noch in einer etwas merkwürdigen Discothek und dann war auch gut und gegen halb drei fanden wir nur noch Einlass ins Reich der Träume.
Sa. 25.04. 18:00 - FK Crvena Zvezda vs FK Partizan 0:0 (Superliga), 44.120 Zuschauer (10.000 Gäste)
Zwanzig vor zehn standen wir auf, um grad eben noch das Frühstück mitzunehmen. Danach bestand die Option um 11:00 Uhr einen unterklassigen Kick im nordöstlichen Teil der Stadt zu sehen. Da die Nacht aber kurz war und ich eh die ganze Woche über noch mit der Zeitumstellung von der Mittelamerika-Tour zu kämpfen hatte, entschied ich mich dafür, noch ein wenig Augenpflege zu betreiben und erst später wieder zu den anderen zu stoßen. Unbewusst die richtige Idee, denn das Spiel fand nicht auf der vermuteten Anlage statt, was für die drei aber sicherlich zu verschmerzen war.
Ich erhob mich gegen 13:00 Uhr mal aus den Federn und schaute mir ein paar Sights an, die ich bei den bisherigen Belgrad-Aufenthalten noch nicht gesehen hatte. Vom Hotel latschte ich die 'Nemanjina Ulica' hoch und kam zunächst am zerschossenen Verteidigungs-Ministerium vorbei, das Ende des letzten Jahrtausends von NATO-Bomben getroffen wurde und ein beeindruckendes wie bedrückendes Denkmal darstellt.
Dann ging es über den Slavija-Platz hoch zur Sava-Kathedrale, dem größen Kirchenbau Südost-Europas. Ist dann auch wirklich ein riesiges Kirchen-Ungetüm, dass sich da vor einem aufbaut. Der Zutritt ist kostenlos und auch von innen ist der Sakral-Bau beeindruckend groß. Da die Bauarbeiten, die in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts begannen, vom Zweiten Weltkrieg bis 1985 ruhten, ist bis heute nur die äußere Gestaltung abgeschlossen. Bis auf wenige sakrale Einrichtungsgegenstände bietet sich daher nur die Innenansicht eines Rohbaus. Es herrschte feinstes Wetter mit Sonnenschein bei fast wolkenlosem Himmel und 24 Grad. Optimale Rahmenbedingungen, um eine Dose 'Jelen' zu erwerben und diese auf einer Parkbank ausruhend zu schlürfen. Mit den anderen verständigte ich mich darauf, dass wir uns am Slavija-Platz treffen. Was wir auch taten. Nach dem Verzehr eines weiteren Pivo suchten wir einen nahen Pljeskavica-Grill auf und ließen uns diese Köstlichkeit servieren.
So einfach wie dieser Inbegriff des Balkan-Fastfoods auch zubereitet ist, so köstlich ist es doch. Eine einfache Hackfleisch-Scheibe im Fladenbrot, garniert mit Kraut und Zwiebeln, sowie einer Sauce nach Wunsch. Herrlich! Ich könnte mich drin wälzen. Nach einem Zwischenstopp im Hotel, um alles Unnötige dort zu lassen und alles Nötige mitzunehmen, fuhren wir mit dem Taxi zum Zvezda-Stadion. Klappte aber nicht so recht, da sich eine Gruppe Zvezda-Fans überlegt hatte, lieber die Fahrbahn als Gehweg zu benutzen, weshalb die Policija die Straße sperrte und der Verkehr zum erliegen kam. Also entlohnten wir unseren Fahrer und taten ihnen gleich. Durch diese Aktion kamen wir später am Stadion an als geplant. Dort war natürlich schon der Teufel los, aber warum auch immer war der Eingang zu unserem Sektor der einzige, den man ohne Wartezeit direkt betreten konnte.
Das Stadion 'Rajko Mitic' gehört zweifelsfrei zu den Spielstätten, die man als Stadion-Liebhaber erlebt haben muss. Dieser Ground vereinigt Mythen, Tradition und Gegenwart. Anfang der 60er Jahre wurde das riesige Oval exakt am Ort des Vorgänger-Stadions errichtet und bot in der Zeit vor der mittlerweile beinahe kompletten Bestuhlung bis zu 110tsd Besuchern Platz. Diese Zuschauerzahl wurde aber in der Stadion-Historie lediglich ein einziges Mal erreicht.
Anlass war das Halbfinal-Hinspiel des Europapokal der Pokalsieger gegen Ferencváros im Jahre 1975, wobei die offizielle Zuschauerzahl dieses Spiels allerdings 'nur' mit 96tsd Besuchern archiviert ist. Als Roter Stern Anfang der 90er Jahre mit seiner großartigen Truppe um Prosinecki, Stojkovic und Co den Europapokal der Landesmeister gewinnen konnte, war das Stadion in den letzten Runden des Wettbewerbs gegen Dynamo Dresden und den FC Bayern ebenfalls regelmäßig mit bis zu 100tsd Menschen gefüllt. Aufgrund dieser gewaltigen Kapazität erhielt die Schüssel den auch heute noch geläufigen Beinamen 'Marakana' im Sinnzusammenhang mit dem überdimensionalen Vorbild auf der anderen Seite des Atlantik. Im Gegensatz zu diesem, hat das Belgrader 'Marakana' allerdings bis heute sein ursprüngliches Aussehen, wenn auch die maximale Auslastung heute 'nur noch' 60tsd Zuschauer betragen darf. Das Stadion ist zu einem Großteil in den Boden hinein gebaut, also ein sogenanntes 'Erdstadion', wie es z.B. das Parkstadion in der verbotenen Stadt oder die beiden deutschen Olympiastadien sind, weshalb man es bis auf die Südseite ebenerdig betritt und sich vor dem Besucher dann die riesige Stadionmulde öffnet. Diese ist ein geschlossenes Oval, das sich zur Haupttribüne anhebt. Die oberen Reihen verfügen über ein rundherum verlaufendes Dach, das sich auf der Hauptseite aufgrund eines schmalen zweiten Ranges etwas höher erhebt. Seinen heutigen Namen zu Ehren eines verdienten Spielers erhielt es erst im letzten Jahr, vorher hieß es schlicht 'Stadion Zvezda'. Kleine etwas bizarre Randnotiz ist, dass das Stadion des Rivalen Partizan in der 1,3 Mio-Metropole gerade einmal knapp 500 Meter Luftlinie entfernt liegt. Die sportliche Ausgangslage war klar. Da die beiden Belgrader Clubs den serbischen Fußball beherrschen, bietet sich eigentlich nur in den Spielen gegeneinander die Möglichkeit sich einen entscheidenden Vorteil zu verschaffen. Bei fünf Punkten Rückstand war es für Zvezda wenige Spieltage vor Saison-Ende die letzte Chance, den Kampf um den Titel noch einmal offen zu gestalten.
Crvena Zvezda gegen Partizan, 'Delije' gegen 'Grobari', die Mutigen gegen die Totengräber. Die Bude war gut gefüllt, letztlich gar mit 75%iger Auslastung, was für die hiesige Fußball-Szenerie schon eine Ansage ist. In der Gäste-Kurve hatten sich gut und gern 7tsd Partisanen versammelt und auch in den angrenzenden Bereichen auf Haupt- und Gegengerade machten sich ab und an unzählige weitere Schwarz-Weiße bemerkbar. Das Feld war bereitet und es konnte nun eigentlich losgehen und die Teams wurden vom Referee auf das Feld geführt. Zu diesem Zeitpunkt tobte aber am Übergang von der Heim-Kurve zur Gegentribüne schon der Mob, weshalb der Unparteiische die Mannschaften wieder in die Katakomben bat. Es soll auch außerhalb des Stadions schon mächtig Ärger zwischen Staatsmacht und Away-Fans gegeben haben. Im Stadion setzte sich dann auf der Gegenseite ein großer Gäste-Mob in Richtung Zvezda-Kurve in Bewegung, was diese natürlich ebenfalls in Bewegung brachte. Es gab aber nur eine kurze Konfrontation, dann ging der mehrfache Gummi-Knüppel dazwischen und trennte die Gruppen. Während sich Partizan nun zurück zog, hielt es der rot-weiße gewaltorientierte Mob aber für eine gute Idee sich mal mit der Policija zu messen und schmiss Sitzschalen und alles was sich sonst noch so finden ließ auf die Uniformierten. Diese hatten zunächst wenig auszurichten und ließen sich das zwangsweise eine gut Viertelstunde gefallen und gerieten teilweise in arge Bedrängnis bis Verstärkung im entsprechenden Sektor eintraf und man sich eine Taktik überlegt hatte. Diese bestand dann darin, den Brandherd auseinander zu treiben und breit aufgestellt in die Heim-Kurve zu stürmen. Die dort befindliche Masse bekam nun natürlich leichte Panik und der gesamte Kurvenblock geriet in Bewegung. Im ersten Moment sah es aus, als ob die gepanzerte Eingreif-Truppe die gesamte Kurve leeren will. Das wäre sicherlich schief gegangen, denn so schnell können sich knapp 20tsd Leute gar nicht vom Acker machen, dass es glimpflich abliefe. Ziel war aber wohl nur, den äußersten Block der Kurve, in dem die Chaoten wüteten, zu befrieden. Daher kam die Polizeikette auch am ersten breiten Treppenaufgang zum Stehen, was auch mit auf Initiative einiger führender 'Delije'-Leute nach eine klare Ansage an die eigenen Reihen, langsam mal Ruhe zu geben, geschehen sein soll. Gut so, denn wohin eine Massen-Panik führen kann, haben schon andere traurige Ereignisse bewiesen. Nachdem dann endgültig Frieden eingekehrt war, zogen sich die Behelmten zum Übergang der Kurve in die Gerade zurück, um der Masse genug Platz zum Atmen zu geben. Ich habe ja ausreichend Spanner-Mentalität in mir, um ein bisken Randale aus sicherer Entfernung mal zu beobachten. Aber nur so lange niemand ernsthaft verletzt wird und sich die ganze Aktion nur darum dreht, seine Farben mit den Fäusten zu verteidigen. Aber was da auf der anderen Seite des Stadions mit zunehmender Dauer abging (und die ganzen Ausschreitungen dauerten locker 20-25 Minuten) war sicherlich mehr als zu viel des Guten. Bilder, die in den sozialen Netzwerken und auf den bekannten Ultra-Seiten kursieren, sprechen da eine eindeutige Sprache. Und wenn die randalierende Meute nicht erkennt, wann es an der Zeit ist, die Aktionen mal langsam zu beenden, muss sie sich nicht wundern, wenn dem eigentlich unschuldigen Ziel irgendwann der Faden reißt und dem Mob ordentlich die Fresse poliert. Daher habe ich in diesem Falle auch großes Verständnis für die Polizei, dass sie irgendwann die Schnauze voll hätte und den Frontal-Angriff unternahm. Letztlich scheint die Taktik auch genau die richtige gewesen zu sein. Sicherlich gab es einige Verletzte auf beiden Seiten, aber ich wage die Behauptung, dass durch die relativ unaufgeregte Polizei-Offensive Schlimmeres verhindert wurde. Ich hatte jedenfalls den Eindruck, es wurde nicht mehr ausgeteilt als unbedingt zu Beruhigung der Lage nötig war. Da hätten Polizei-Einheiten in anderen Ländern ganz andere Seiten aufgezogen und wären wohl auf Rache aus gewesen. Deshalb erlaube ich mir in diesem Falle ein Kompliment an die Polizei, die, soweit ich das erkennen konnte, es schaffte, für Ruhe zu sorgen, ohne dass Unbeteiligte zu Schaden kamen. Soweit meine subjektive Sicht ohne Anspruch auf Richtigkeit oder Vollständigkeit. Unstrittig ist aber, dass es über jedes Maß hinaus geht, wenn der Gegner mit eintausend Grad heißen Fackeln attackiert wird. Das geht schon Richtung Tötungsversuch und widerspricht jedem gesunden Menschenverstand. Nichts gegen ein bisschen Theater und dass es dabei mal ein blaues Auge gibt ist klar, aber wenn Waffen, dazu noch mit Tötungsqualität, zum Einsatz kommen, habe ich überhaupt kein Verständnis mehr und wünsche mir, dass diese Geisteskranken zur Verantwortung gezogen werden und nie wieder ein Fußballstadion betreten dürfen!
Mit fünfzig Minuten Verspätung konnte es dann doch noch losgehen, nachdem ich zwischendurch mal befürchtet habe, dass hier und heute kein Ball mehr rollen wird. Im Nachhinein wurde bekannt, dass der Verband eine Absage erwägt hatte, die Polizei aber auf Durchführung bestand, damit die Lage nicht komplett eskaliert.
Da sich die Heimkurve nach dem Durcheinander erst neu sortieren musste, gab es die Eröffnungs-Choreo mit zehnminütiger Verspätung. In die einzelnen Kurvenblöcke aufgeteilt, wurden kleine rote und weiße Fähnchen geschwenkt und zentral ein Blockfahne hochgezogen, auf der ein Zvezda-Spieler(?) im rot-weißen Trikot mir dem Stadion im Hintergrund abgebildet war. Sehr sauber gemalt und wenn auch nichts Hoch-Spektakuläres, so doch genau das Richtige, um eine große Masse an Menschen unter einen Hut zu bringen. Vor der Kurve prangte am Zaun ein langes Banner auf dem etwas von 'Marakana' und 'Partizan' zu lesen stand. Ich vermute die 'Delije' untermauerten, dass das gesamte Stadion gegen Partizan zusammen hält. Wer des Serbischen mächtig ist, darf mich gerne im Gästebuch über den besetzten Wortlaut in Kenntnis setzen.
Die Choreo wurde bestimmt sieben bis acht Minuten präsentiert. Dann wurde die Fahne in Windeseile nach unten gezogen und aus Rauchtöpfen zog dicker roter Rauch nach oben. Da es beinahe windstill war, konnte sich die Rauchwolke in alle Ruhe wie gemalt entfalten und zog perfekt die Kurve hoch. Ein geniales Bild! Dazwischen wurden einige Fackeln und Blinker gezündet. Der akustische Support währte ohne Unterlass, wobei die 'Grobari' den besseren Auftritt für sich verzeichnen konnten, obwohl die Zvezda-Kurve zahlenmäßig deutlich überlegen war. Ich denke, dass in der Heim-Kurve einfach zu viele Leute waren, die nur zum Derby anwesend waren, während im Away-Sektor die gesamte Masse an Partizan-Leuten stand, die bei jedem Heimspiel anwesend ist. Dort wurde mit brachialer Lautstärke, mit diesen für den Balkan so typischen tiefen und kehligen Stimmen supportet. Immer wenn ich dachte, lauter geht es nicht mehr, legte die Kurve nochmal ein paar Dezibel drauf. Auch Zvezda konnte einige Male deutlichst auf sich aufmerksam machen, hatte aber Mühe gegen die Konstanz der Gäste anzukommen. Dafür hatten die Gastgeber die optische Hoheit inne. Ständig brannten irgendwo ein paar Fackeln oder ging ein wenig Rauch hoch. Dann wieder der Blick nach rechts, wo sich die Partizan-Kurve einen üblen Wechselgesang innerhalb des Blockes um die Ohren haute. Beim Blick nach links qualmte es schon wieder rot in die Dämmerung, während rechts schwarz-weiß ein gewaltige Hüpfeinlage zum besten gab. Der Away-Sektor bewegte sich über das ganze Spiel hart an 100% Mitmach-Quote. Nach dem Seitenwechsel wurde es noch intensiver. Das Spiel, dass sich auf überschaubarem Niveau befand, wurde nun zumindest druckvoller und mit mehr Willen geführt. Vor allem Zvezda zeigte unbedingtes Bemühen, den wahrscheinlich spielentscheidenden einen Treffer zu erzielen. Das beflügelte die Kurven offenbar noch mehr. Vor allem die 'Delije' konnten sich nun besser in Szene setzen, wurden deutlich lauter und konnten auch einige Male die Leute auf den Geraden mitnehmen.
Bei Partizan gab es eh kaum noch Luft nach oben. Es kam weiterhin unfassbar laute Anfeuerung aus der Away-Kurve. Es war mittlerweile recht dunkel geworden und Zvezda eröffnete die zweite Hälfte mit einer gewaltigen Pyro-Aktion aus. Wiederum ein sehr geiles Bild. Partizan bot weiterhin ein Top-Vorstellung in Sachen Support. Konnte meinen Blick kaum von der Kurve wenden und nach einer knappen Stunde Spielzeit erblickten auch hier ein paar Fackeln das Licht der Welt.
Das war offenbar das Startzeichen, alles abzufeuern was da war. Die ganze Kurve erstrahlte lichterloh in einem Meer aus gelben und roten Bengalen und Blinkern. Ein Wahnsinns-Anbllick! Dass der ganze Kram dann auf die Laufbahn entsorgt wurde, ist sicher nicht im Sinne des Erfinders, doch ist das in den hiesigen Breiten leider üblich und die dort befindlichen Ordnungskräfte und Staatsdiener kennen den Umstand und wissen damit umzugehen. Außerdem halten sich dort während der gesamten Partie mehrere Feuerwehr-Leute auf, die mit langen Zangen damit beschäftigt sind, den brennenden Teufelskram einzusammeln und in Eimern zu ersticken. Denn ab und an wird im Laufe des Spiels in den Kurven ja immer mal ne Fackel ne einsame Fackel gezündet, die dann wie selbstverständlich nach unten entsorgt wird. Nicht wünschenswert aber auf dem Balkan ja leider der normale Wahnsinn. Ich stehe total auf den Anblick pyrotechnischer Gegenstände, würde mir aber dann auch verantwortungsvollen Umgang damit wünschen. Mit der Partizan-Aktion war dann der Pyro-Teil des Kicks vorüber, auch wenn es ab und an irgendwo in den Kurven immer noch mal leuchtete. Aber während man sich im Normalfall nen Ast abfreut, wenn bei irgendeinem Kick mal drei, vier Fackeln angerissen werden, nimmt man das hier einfach nur zur Kenntnis. Ist ja schon Mindestausstattung. Der Anspruch ist da einfach ein anderer. Die Gesänge und Schlachtrufe waren ohne Unterlass bis zum Ende im oberen Bereich der Support-Skala.
Was fehlte war ein Tor. Das hätte die Stimmung vielleicht noch zum oberen Anschlag gebracht. Aber auf der anderen Seite habe ich ein Tor selten so wenig vermisst, wie bei diesem Kick. Und auf das Spiel geachtet habe ich eh kaum, dafür war einfach zu viel Action auf den Rängen. Mit dem torlosen Remis ist Partizan die Meisterschaft so gut wie nicht mehr zu nehmen. Unser Grüppchen lief, angewachsen durch Alex und Frau, zu Fuß in Richtung Slavija-Platz. Öffis fuhren eh nicht, da die Policija die Straßen mehr als weiträumig abgesperrt hatte. Christian, geschwächt durch den Vortag, und Seb, der ein paar Magen-Problemchen verspürte, blieben dann im Hotel. Tim und ich starteten noch einmal ins Viertel um die 'Skardalija'. Auf dem Weg dahin gab es wieder eine köstliche 'Pljeskavica'. Alex meldete sich per SMS und stieß dann mit Dion im Schlepptau auch noch zu uns. Wir nahmen ein paar 'Jelen' auf einer kleinen Terrasse, dann verließen Tim und ich die Runde. Das Taxi zum Hotel hatte definitiv einen frisierten Taxameter. Davon hatte ich bisher nur in Budapest gehört. Aber wie will man das einerseits beweisen und andererseits sind die paar Dinar eine hitzige Diskussion nicht wert. Schon gar nicht müde und mit Bier im Kopp. Soll der Pisser mit der Kohle glücklich werden.
So. 26.04. 11:00 - FK Dorcol Beograd vs FK IM Rakovica 1:0 (Srpska Liga Beograd), 150 Zuschauer (0 Gäste)
Wieder quälten wir uns auf den letzten Drücker aus dem Bett, um das Frühstück zu supporten. Danach lagerte ich meine Sachen in Tims und Sebastians Zimmer ein, da Christian sich für die letzte Nacht ein Einzelzimmer in einem anderen Hotel gebucht hatte. Die drei blieben eine weitere Nacht, während es für mich am Nachmittag heim gehen sollte. Mit dem Taxi fuhren wir die wenigen Kilometer zur Mündung der Sava in die Donau.
Hier, unterhalb des Festungshügels, sollte heute Morgen ein Spiel der Belgrader Gruppe der drittklassigen 'Srpska Liga' angepfiffen werden. Die Anlage des FK Dorcol, so heißt der Stadtteil zwischen dem 'Kalemegdan', dem Park um den Festungshügel, und der Donau, liegt unmittelbar neben dem 'Nebojsa Kula', einem mittelalterlichen Befestigungsturm, der früher unter anderem als Gefängnis diente und heute ein Museum beherbergt.
Der Turm findet sich auch im Wappen des Clubs wieder. Die Anlage besteht aus zwei Plätzen. Einem mit einer schönen hölzernen, überdachten Tribüne und einem Platz, der lediglich auf einer Seite ein paar ungedeckten Stehtraversen bietet. Leider wurde auf letzterem gespielt, was allerdings vorher schon bekannt war. Ein Dutzend jüngere Ultras drapierte ein paar Banner an den Zaun und machte sich mit ein paar Schwenkern und einer Trommel mehr oder weniger (eher weniger) melodisch in Sachen Support zu schaffen. Wie nicht anders zu erwarten, war etwa ein Drittel der knapp 150 Zuschauer deutscher Herkunft.
Das ist dann halt die Begleiterscheinung des Belgrader Derby. Wenn zu bestimmten Uhrzeiten nur ein Rahmen-Spiel stattfindet, rottet sich die Groundhopping-Gemeinde dort zusammen. Da der Club regelmäßig morgens, also weitestgehend ohne Parallel-Spiele, antritt, möchte ich mal gern wissen, was die dort denken, wenn zwei Mal pro Saison, die Zuschauerzahl eklatant ansteigt, von den unbekannten Zusehern aber keiner die serbische Sprache spricht. Positiv daran ist, dass man neunzig Minuten Rumpel-Fußball mit ein bisken Geklöne verkürzen kann. Dabei hatte das Spiel durchaus Unterhaltungswert. Bedingt durch begrenzte Fähigkeiten der Akteure und durch äußerst mangelhaftes Geläuf, gab es ein paar Szenen mit hohem Unterhaltungswert. Da die Sonne ziemlich vom Himmel runter knallte, verfolgte ein Teil der Anwesenden, darunter auch wir, das Geknüppel von der gegenüberliegenden breiten wie hohen Mauer, die zu den Befestigungsanlagen gehört und von außen zu begehen ist. Bei einem kleinen 'Jelen' war durchaus ein Entspannungsfaktor gegeben. Ein Tor schien in dieser Partie so unwahrscheinlich wie ein 100-Meter-Weltrekord unter sechs Sekunden. Da musste schon eine zweifelhafte Elfmeter-Entscheidung her, um den Bolz nicht torlos enden zu lassen. Die Ultras freute es.
Uns trieb es wieder Richtung Altstadt. Auf dem Weg dorthin verabschiedete ich mich von den anderen. Ich hatte noch gut zwei Stunden Zeit, bis ich zum Airport aufbrechen musste, und die wollte ich nutzen, um ein wenig im 'Kalemegdan' herumzuschlendern und dann per pedes in Ruhe zum Hotel zu laufen. Oben an der Festung angekommen, war aber die Hölle los.
Halb Belgrad war anwesend und da ich zudem feststellte, dass es mir viel zu warm zum ausgedehnten Herumlaufen ist, ließ ich mir den Standort der Reise-Gefährten per SMS durchgeben und schloss mich diesen auf der Terrasse eines Restaurants wieder an. In Ruhe genoss ich einen letzten Gerstensaft und verabschiedete mich dann ein zweites Mal. Vorbei am Gebäude der Nationalversammlung lief ich zum Hotel, holte dort meinen Rucksack ab und bestieg dann den Express-Bus zum Flughafen, der direkt vor dem Bahnhof hält. Dreißig Minuten später war ich am Flughafen und mit ein paar Minuten später hob der 'Air Serbia'-Vogel gen Frankfurt ab. In Frankfurt erwischte ich umgehend eine S-Bahn zum Stadion, wo mein Fahrzeug geduldig auf mich gewartet hatte. Die A3 war dann so leer, wie ich sie auf einem Sonntag-Abend noch nicht erlebt hatte. Ohne Stress konnte man einen guten Stahl-Fuß hinlegen und nach ziemlich exakt zwei Stunden Fahrzeit schloss ich um kurz vor 22:00 Uhr die heimische Wohnungstür auf.
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