Ich hab ja so ne Art Wunschzettel was den Besuch von Stadien angeht. Soll heißen, dass es ein paar Grounds gibt, die ich unbedingt mal gesehen haben will. So lang ist die Liste zwar nicht, weil ich ja meist nach Lust und Laune durch die Welt gondele, aber ein paar Buden stehen halt doch darauf. Darunter einige, bei denen nicht klar ist, ob die Nutzung noch dauerhaft gewährleistet ist, sei es aufgrund der Bausubstanz oder aber durch mangelhafte Sicherheitseinrichtungen oder verwandte Aspekte. Oder ob die Heim-Mannschaft in niederen Gefilden zu verschwinden droht, was einen Spielbesuch in den meisten Fällen nicht attraktiver macht. Das 'Stadio Arechi' in Salerno zählt zu diesen Stadien, die ich gerne gesehen haben möchte. Die Unione Sportiva Salernitana von 1919 oder kurz Salernitana Calcio kämpft derzeit jedes Jahr aufs neue um den Verbleib in der Serie B. Eigentlich wollte ich mir diesen so einfachen und doch so schmucken Ground für ein besonderes Spiel aufheben. Das ist aber nun mal gar nicht so einfach, da es aufgrund der teilnehmenden Vereine in der Serie B lediglich mit Avellino einen Derby-Gegner gibt und dafür muss der Termin erst einmal passen.
In der laufenden Saison wird das Spiel zum Beispiel unter der Woche stattfinden. Interessant wird es natürlich zum Saisonende, vor allem wenn Salernitana mal wieder in die Abstiegs-Relegation muss, aber dann unterliegen Reiseplanungen erhöhter Schwierigkeit, da Spontanität und Flexibilität gefragt sind. Zwei Bedingungen die von mir aufgrund diverser Einflüsse und dem dann erforderlichen höheren finanziellem Einsatz oft nicht erbracht werden können oder wollen. Also sollte es halt ein normales Liga-Spiel sein. Terminlich passte dieses Wochenende ganz gut, so dass die Flüge von Köln nach Rom-Ciampino mit dem allmächtigen Low-Cost-Ir(r)en und von Rom-Fiumicino zurück nach Köln mit Kranich-Tochter Eurowings für insgesamt knappe 60 Kracher gebucht wurden. Blöde wurde es mit der Mietwagen-Buchung, da eine Oneway-Miete ja den Wochenend-Preis immer circa um 200% erhöht. Also wurde Übernahme und Abgabe in Ciampino gebucht. Musste man nach Rückgabe halt den nervigen Transfer zum 'Aeroporto Leonardo da Vinci' nach Fiumicino auf sich nehmen. Einen direkten Service sollte es wohl nicht mehr geben, daher blieb nur der Umstieg am Bahnhof Termini in Roms Zentrum, aber ich hatte ja genug Zeit. Dachte ich jedenfalls, aber das wird erst später interessant. Nach Abfrage im engeren Reisegenossen-Kreis sprang zunächst Sascha auf, der am Donnerstag vor diesem Wochenende beim Europa League-Spiel seines Brechvereins in Saloniki weilte und von dort nach Rom einschweben wollte, dem aber dann von seiner Uni durch zwei kurzfristig auf diesen Samstag manövrierte Klausuren ein Strich durch die Milchmädchen-Rechnung gemacht wurden.
Sa. 18.02. 15:00 - US Salernitana 1919 vs AC Cesena 1:1 (Serie B), 8.990 Zuschauer (100 Gäste)
Sa. 18.02. 20:30 - Foggia Calcio vs SS Matera Calcio 3:1 (Serie C), 13.000 Zuschauer (500 Gäste)
Samstag. Auspennen. Oder auch nicht. Um 4:00 Uhr schellte der Wecker. Wie so oft viel zu früh. Dieses Hobby kann echt weh tun und in diesen Momenten hasse ich mich dafür. Der Dame nen Kuss auf die Wange gedrückt und los. Immerhin ist die Autobahn um diese Uhrzeit noch leer... nicht!! Als ich auf die A3 gewechselt war, sah ich nur noch gelbe Kennzeichen. In den Niederlanden hatten die Krokus-Ferien begonnen und der frühe Käsevogel fängt den Wurm. Ich kam mir echt vor wie 'drüben'. Beinahe ausschließlich niederländische Kennzeichen. Krokus-Ferien - wenn ich so ne Scheiße schon hör! Den Wagen am üblichen No-Cost-Parkplatz in Grengel abgestellt und das Viertelstündchen zum Airport gedackelt. Ist mir echt n Rätsel, warum die Stadt Köln dort keine Anwohner-Parkregelung einführt. Der ganze Stadtteil ist voll mit fremden Fahrzeugen. Aber soll mir ja recht sein.
Der Flieger war bis auf den letzten Platz voll. Immerhin saß dieses Mal kein schreiendes Kind neben mir. Dafür aber Miss Molly. Miss Molly benötigte sogar eine Gurtverlängerung! Ohne Scheiß, wenn ich so fett wär, dass ich ne Gurtverlängerung brauche, würde ich entweder mal ne ernsthafte Diät in Erwägung ziehen oder halt nicht fliegen. Ne Gurtverlängerung anzufordern zu müssen ist doch mal das Erniedrigendste überhaupt, das würd ich mir echt nicht geben. Ich hab mich kaum getraut zu fragen, ob ich die Armlehne runterklappen darf. Hatte echte Sorge, dass die Gute dann Atemnöte bekommt. Klingt böse, sah aber auch so aus! Ciampino empfing uns mit übelstem Regen. Na wunderbar. Der Shuttle der Mietwagen-Bude stand zum Glück grad bereit und wenig später konnte ich einen weißen Kia in Empfang nehmen. Ich hatte ja ausreichend Zeit, also eierte ich Maut sparend über Landstraßen und wechselte erst bei Napoli für die letzten 50 Kilometer auf die Autostrada.
Die Ticketbeschaffung war noch etwas unklar. Da die ticketverkaufenden Lotto-Shops und Tabaccherias mittags ja alle schließen, versuchte ich es mal im Fanshop in der Stadt. Der war aber auch dicht. Im Café nebenan überlegte man kurz und fragte mich dann, warum ich mir kein Ticket am Stadion hole. Ja sag dass doch gleich! Also ab zum 'Stadio Arechi'. Hatte lange Schlangen an der Bigletteria erwartet, war aber nicht so.
Ich holte mir ein Ticket für die Distinti, die Tribüne gegenüber der Haupttribüne. Das 'Arechi' ist ein wahrer Traum für den Italien liebenden Stadion-Romantiker. Die Lage direkt am Meer ist schon exponiert. Es erheben sich vier einzelne Tribünen steil in den Himmel. Ein Brett von Stadion! Mächtige Oberränge überlagern schmale Unterränge. Immer wieder eine geniale Optik. Die oberen Ränge sind beinahe so steil wie die Eiger Nordwand.
Wenn dieses fette Teil jetzt noch überdacht wäre, wäre das der Hexenkessel schlechthin. 1990 eröffnet, nagt der Zahn der Zeit unübersehbar an der Bausubstanz. Alles gammelt still und heimlich vor sich hin. Hier und da haben die Stahlprofile das Licht der Welt erblickt und Korrosion ist allgegenwärtig. Gut, dass der italienische Staat mitsamt seiner Wirtschaft momentan andere Sorgen hat, als Stadien zu sanieren, so bleibt der Stiefel (noch) ein Mekka der traditionellen Fußballstadien. Die Sitzschalen sind ohne deckenden Schutz natürlich den Witterungseinflüssen ausgeliefert und komplettieren das Gesamtbild. Das Wetter hatte sich zum Glück beruhigt und zwischendurch kam sogar die Sonne raus. Die Unione Sportiva Salernitana hat eine bewegte Geschichte mit diversen Auf- und Abstiegen, Lizenzverweigerungen und Insolvenzen hinter sich.
Aktuell hat sich der Club in der Serie B stabilisiert. Die bei normalen Spielen üblichen 9tsd Besucher hatten den Weg ins 'Arechi' gefunden. 9tsd ist eigentlich keine schlechte Zahl für die Serie B. In einem mehr als 30tsd Zuschauer fassenden Stadion sieht das aber doch überschaubar aus. Die Mehrheit sammelt sich in der Curva Sud.
Die 'Ultras Granata Salernitana' deuteten einige Male das in der Kurve steckende Potential an. Dann wurde es schon gut laut. Wenn man dann Bilder von früheren Spielen betrachtet, zum Beispiel vom Serie A Abstecher Mitte der 90er, dann kann man erahnen, was hier möglich ist. Ein Spiel gegen Napoli würde ich hier mal gern erleben. Die Curva legte mit einem starken 'Azzurro' los, bei dem fast alle mitzogen. Aus Cesena hatten es zwei Busladungen in den Süden geschafft. Bei einem höheren Zuschauerschnitt als Salerno ihn hat, ist das natürlich recht mager, aber ich steig auch nicht so ganz durch, wer in Italien zu den 'Tesserati' zählt, also denen,
welche diese unsägliche Registrierung für die Erlaubnis von Auswärtsfahrten akzeptieren, und wer nicht. Die 100 fähnchenschwingenden Leutchen durften sich erst einmal ein schallendes 'Pezzo di merda' anhören, was ja nichts anderes heißt als 'Arschlöcher'. Die Jungs und Mädels aus Cesena gaben wohl auch mal was von sich, aber zu hören war das nicht wirklich. In der Curva Sud wurde ohne Pause weiter gesungen.
Mal machten mehr Leute mit mal weniger. Vor allem die Melodien, die es noch nicht über die Alpen geschafft haben und daher nur in Italien zu hören sind, gehen gut ins Ohr. Ich steh ja total auf den italienischen Stil. Zwar immer ein wenig zu schnell gesungen, aber das haucht der Nummer ja auch entsprechendes Leben ein. Der Führungstreffer für Salernitana wurde fast postwendend ausgeglichen. Die Qualität des Spiels war typisch für das, was ich bisher so in der Serie B gesehen habe. Irgendwie können die alle kicken, aber ein wirklich flüssiges Spiel kommt selten zu Stande. Salerno war etwas überlegen, kam aber nur zu wenigen Torchancen. Am Ende blieb es beim Remis, das sich Cesena schon irgendwie verdient hatte. Mit einem Sieg von Salerno wäre der Anschluss an die Plätze für die Aufstiegs-Relegation hergestellt worden. Ein wirkliches Mittelfeld gibt es in der 22 Teams umfassenden Liga eigentlich nicht. Aufgrund der großen Anzahl Plätze für die Play-Offs um den Aufstieg oder gegen den Abstieg, hat man entweder Kontakt nach oben oder muss ängstlich nach unten schielen.
Ich hatte noch Termine, also zügig zum Auto und los. Einer Dortmunder Besatzung ist hier ja mal die Mietkarre geklaut worden, dementsprechend erleichtert war ich, als mein Bolide noch unversehrt an seinem Platz stand. Die Wettervorhersage hatte angekündigt, dass es zwischen 16:00 und 17:00 zu regnen beginnen soll. Ich saß grad im Auto, als die ersten Tropfen fielen. Da ich nach Foggia von einer Küste an die andere wechselte, musste ich den Apennin überqueren. Auf Foggia zufahrend, hörte der Regen dann auf. Für die 160 Kilometer benötigte ich gute zwei Stunden, daher war noch genug Zeit, um in die Unterkunft einzuchecken (30 Euro für's Zimmer mit eigenem Bad und Frühstück) und einen Parkplatz zu suchen, was zwischen den ganzen Anwohner-Parkzonen gar nicht mal so einfach war. Dann ab zum 'Stadio Pino Zaccheria', über dem sich schon eine wunderbare Lichtkuppel in der feuchten Abendluft abzeichnete.
Biertrinkende Ragazzi an den Straßen-Ecken. Gleißend helle Flutlichtmasten. Erste Gesänge aus dem engen Stadion. Fußball-Atmosphäre! Droge! Da lag was in der Luft. Die Ausgangslage versprach ja auch Brisanz. Der Zweite empfing den Dritten. Der Verlierer hätte im Kampf um den direkten Aufstieg also erst einmal das Nachsehen. Das Stadion liegt mitten in der Stadt - ein Markenzeichen älterer Stadien, bei deren Bau noch niemand an eingeschränkte Parkmöglichkeiten und Lärmbelästigung gedacht hat. Die Bude steht seit 1925 an ihrem traditionellen Standort. Sein jetziges Aussehen bekam der Ground Anfang der 90er Jahre, als die Haupttribüne vollendet wurde. Diese ist als einzige überdacht. Ansonsten ist das 'Zaccheria' beinahe eine verkleinerte Ausgabe des 'Arechi' in Salerno. Auch hier stehen vier baulich getrennte Tribünen mit einem den Unterrang überlagernden Oberrang.
25tsd Zuschauer finden Platz. Die oberen Ränge waren dicht besetzt. Die aktive Szene ist in Foggia geteilt. Über der gesamten Breite der Curva Sud machen sich die Tifosi breit und eine Hälfte der Curva Nord ist ebenfalls Platz der aktiven Szene. Der Block der 'Curva Nord' war proppevoll.
Da passte kaum noch eine Maus zwischen und dort brodelte es auch richtig. Die 'Sud' war aber nicht weniger motiviert. Auch dort war schon ordentlich Alarm, es zieht sich dort nur alles mehr in die Breite. Beide Kurven machen fast ausschließlich ihr eigenes Ding, was natürlich schade ist, aber auch so krachte es gut im Karton. Kurz vor dem Anstoß erlebte die Bude eigentlich schon den absoluten Stimmungs-Peak als Nord, Sud und Distinti zusammen in einen Gesang einstiegen. Da schepperte es schon ordentlich. Aus der Nord kam zum Einlauf der Teams eine Kanonade aus Kassenrollen und hier und da wurde ein wenig gezündelt. Die Sud zeigte eine Schalparade. Im Away-Sektor verloren sich beim Anstoß gerade mal 100 Mann, was mich bei der Bedeutung des Spiels zunächst irritierte.
Dann wurde aber die Hauptgruppe mit Bussen hinter der Kurve gekarrt und binnen Minuten war der Block ordentlich gefüllt. Nach dem man sich sortiert hatte, kam man aber kaum dazu, sich mal Gehör zu verschaffen, dafür waren die Heim-Kurven zu stark und nach 20 Minuten zappelte die Kirsche auch schon im Netz. Foggia, das ein Woche zuvor durch eine Niederlage in Taranto die Tabellenführung an Lecce hatte abgeben müssen, war offensichtlich auf Reparatur bedacht und spielte sich in einen wahren Rausch. Mit einer unglaublichen Hacke-Spitze-einszweidrei-Kombination, die man selbst von Barca so nicht oft geboten bekommt, erzielte man den Führungstreffer. Eine weitere Viertelstunde später bekam ein gewisser Francesco Deli den Ball im Mittelfeld, fand erst keine Anspielstation und hatte schließlich aufgrund der zum Tor hin enger werdenden Räume nicht mehr die Chance abzuspielen. Also aus der Not das Beste gemacht, vier Mann wie Slalomstangen stehen lassen und aus zehn Metern locker rechts unten eingeschoben. Ein weiterer Wahnsinnstreffer, der mich zusammen mit 12500 Foggia-Tifosi glatt aus dem Stuhl riss und mich an das Tor des Jahres von Daniel Simmes erinnerte. Später Recherche ergab, dass das schon 1984 war. Über 30 Jahre her. Die älteren Semester werden sich an der Solo-Lauf des Dortmunders vielleicht erinnern. Bei den Gastgebern scheint auch innerhalb des gesamten Kaders ein richtiger Zusammenhalt zu bestehen, denn bei allen Treffern rannte die komplette Besatzung der Bank quer über das Feld um mit den Aktiven zu feiern. Matera war nun völlig von der Rolle und Foggia erzwang fünf Minuten vor der Pause Treffer Nummer drei, den die Gäste ehrfürchtig per Eigentor beisteuerten.
Jetzt knallte alles durch. Der Opa zu meiner Linken hatte mich sofort an seinen Mantelkragen gezogen und schrie nur noch "Bellissima, bellissima" und "Foggia grande". Die Lautstärke wurde ohrenbetäubend und wenn Curva Nord und Sud Dächer gehabt hätten, bin ich mir sicher, die wären weggeflogen. Das war hier mal eine richtig geile Nummer, richtig oldschool italienisch! Einfach Hammer! Mit dem Seitenwechsel verabschiedete sich ein Materati noch per Ampelkarte unter die Dusche und nun musste man befürchten, dass es hier eine richtig bittere Nummer für die Gäste werden würde. Foggia nahm dann aber nach dem Wechsel das Tempo etwas raus, ich glaube, es wäre auch gar nicht machbar gewesen, das 90 Minuten durchzuhalten. Die Stimmung wurde dadurch auch mal etwas flacher, aber das Niveau war in diesen Phasen immer noch deutlich über dem derzeitigen Durchschnitt auf dem Stiefel. Matera kam etwas besser in die Partie und konnte noch Ergebnis-Korrektur erzielen. Die Rosso-Neri wurden nach dem Abpfiff natürlich gebührend und verdient gefeiert. Ich gönnte mir zum Abschluss des Tages noch eine schöne Mafia-Schindel für vier Euro - immer wieder Wahnsinn, wie niedrig die Preise in Süditalien teilweise sind - und verschwand dann in der Falle. Die bei Check-in noch ausgestorbene Piazza vor der Unterkunft, war nun voll mit jungen, Bier und Wein trinkenden Menschen. Konnte mich aber nach zwanzig Stunden auf den Beinen mit fast 500 Kilometer Autofahrt nicht mehr schocken. Ich war arschkaputt und pennte binnen Sekunden ein.
So. 19.02. 14:30 - L'Aquila Calcio vs SSD Città di Castello 0:0 (Serie D), 1.000 Zuschauer (2 Gäste)
Für 9:00 Uhr hatte ich mal den Wecker gestellt. Um viertel vor zehn war ich am Auto. Nochmal kurz zum Stadion, um die Graffitis abzuknipsen. Das wäre in der Dunkelheit nicht so schön geworden und heute zeigte sich das Wetter um 180% gedreht.
Sonne und nur wenige Wolken am beinahe komplett blauen Himmel. Den Weg in die Abruzzen wollte ich wieder so mautfrei wie möglich absolvieren. Also ging es über die Landstraße immer parallel zur Autostrada bis zur Adria-Küste und dann immer weiter am Meer entlang. Irgendwann gebot mir die Zeit, doch noch einige Kilometer auf die Autobahn zu wechseln. Vor Pescara dann auf die Autostrada Richtung Roma gewechselt und hoch in die Abruzzen. Schon ein sehr majestätischer Anblick auf die gewaltigen schneebedeckten Gipfel zuzufahren. Ist aber auch eine verdammt schöne Ecke. L'Aquila liegt auf über 700 Metern und wird beherrscht von den drei Gipfeln des fast 3000 Metern hohen 'Corno Grande', dem höchsten Bergmassiv des Apennin. Unüblich für Italien sieht man in der Stadt viele neue in frischer Farbe erstrahlende Gebäude.
Das hat einen einfachen Grund. L'Aquila wurde im April 2009 von einem schweren Erdbeben erschüttert, das über 300 Todesopfer forderte und mehr als 65tsd Menschen obdachlos machte.
15tsd Gebäude wurden beschädigt. Mittlerweile sind viele Gebäude neu errichtet, aber es sind noch genug Spuren der Katastrophe sichtbar, was auch damit zu tun haben soll, das einige... nun ja... sagen wir mal 'alteingesessene ehrenwerte Familien' an den zur Verfügung gestellten Mitteln partizipieren. In Italien ja kaum vorstellbar... *hust*. Mein Weg führte zum 'Stadio Gran Sasso'. Erst seit dieser Saison absolviert L'Aquila Calcio dort seine Heimspiele. Bis dato wurde im 'Stadio Tommasi Fattori' mit der alten Radrennbahn gezockt, wo ich das Spiel natürlich lieber gesehen hätte. Schönes verrotztes Teil. Der Grund des Neubaus 'Gran Sasso', an dessen Stelle vorher ein relativ schmuckloser Sportplatz zu finden war, kann das angesprochene Erdbeben nicht sein, denn dieses überstand die alte Bruchbude zynischer Weise schadlos. Die neue Bude bietet Platz für knapp 7tsd Besucher und ist relativ schmucklos und doch anders.
Zwei identische überdachte Geraden werden im Süden von einer baugleichen aber ungedeckten Tribüne flankiert, hinter der sich ein schönes Panorama aufbaut. Der als Gästebereich fungierende nördliche Hintertor-Sektor ist mit einem noch im Rohbau befindlichen Gebäude bebaut. Die genaue Funktion ist noch nicht ersichtlich. Davor befindet sich eine kleine Stahlrohr-Tribüne.
Eine Besonderheit des Stadions ist, dass es keine Zäune zum Spielfeld hin gibt, auch nicht vor dem Gästebereich. Man hat sich die Errichtung eines Stadions ohne Barrieren auf die Fahnen geschrieben, was in Italien ja eher ungewöhnlich ist. L'Aquila war in der Vor-Saison aus der Serie C abgestiegen und will den Unfall natürlich umgehend reparieren, hinkt dem Ziel aber noch ein wenig hinterher. Knapp 1.000 Zuschauer wollten sich den Kick zwischen dem Tabellenvierten und dem Vorletzten ansehen. Sollte eigentlich eine klare Geschichte sein. Aber die Gastgeber taten sich schwer gegen kompakt stehende Gäste aus der Gegend um Perugia. Es war aber auch fürchterlich einfallslos was L'Aquila da veranstaltete. Ein hoher Ball nach dem anderen wurde Opfer der Abwehr-Hirsen. Gefühlte 20 Eckbälle verpufften ohne Wirkung. Nach echter Torgefahr roch es vielleicht ganze zwei Mal in den 90 Minuten. Die kleine knapp 80 Mann starke aktive Szene ließ sich trotzdem nicht davon abhalten, über die gesamte Spielzeit zu supporten. Auch nicht selbstverständlich bei so nem Gebolze. Erst nach dem Schlusspfiff machte sich Unmut breit und man gab den demütig in die Kurve schleichenden Aktiven einiges mit auf den Weg. So wird der Abstand auf den einzigen direkten Aufstiegsplatz natürlich immer größer.
Viertel vor fünf saß ich Auto. Bei einer Fahrzeit von 1:15 Stunden bis Ciampino und Rückflug um 20:50 Uhr von Fiumicino war eigentlich alles entspannt. Prinzipiell war die Tour also gefühlt zu Ende aber Meinung und Realität weichen ja manchmal voneinander ab. Die Autostrada wurde voller, je mehr ich an Rom heran kam. Als ich mich dann der Mautstation vor dem Römer Ring näherte, dachte ich noch 'Was leuchtet da hinten alles so rot' und dann wurde es bittere Realität. Ein Wahnsinns-Rückstau vor den Maut-Schaltern. Dann war es auch noch so wie immer bei Edeka an der Kasse - ich hatte mir natürlich die lahmarschigste Reihe ausgesucht. Fast eine halbe Stunde kostete mich der Dreck. Okay, dass ich die frühere Zugverbindung von Ciampino nach Fiumicino bekommen würde, war auch vorher schon Wunschdenken, aber die spätere um 19:06 Uhr würde mit Ankunft 19:52 Uhr auch noch locker passen. Aber teilweise recht zähflüssig ging es weiter, so dass klar war, dass ich keine Zeit mehr zu vergeuden hatte. Tanken funktioniert in Italien ja in den meisten Fällen ohne Service an unbemannten Tankstellen. Soweit eigentlich auch kein Problem. Die erste Tankstation am Ciampino-Aeroporto bot keine mehrsprachige Menü-Führung am Zahlautomaten. Klappt zwar normalerweise trotzdem, denn außer Karte einführen, PIN eingeben und Zapfsäule wählen muss man ja nichts machen. In diesem Fall kam aber eine Meldung, die ich einfach nicht deuten konnte. Also 50 Meter weiter zum nächsten Mineralöl-Konzern. Dort dasselbe Spiel. Es tankte aber auch ein Einheimischer dort, den ich um Unterstützung bat. Kreditkarte? Nee, das geht hier nicht, nur Tankkarte oder Cash. Was ist das denn für eine verfluchte Dreckscheiße?! Internationaler Flughafen, aber keine Kartenzahlung möglich! Unfassbar! Bargeld hatte ich nicht mehr genug in der Tasche. Aber auf dem Flughafen-Gelände sollte noch eine Kreditkartenfähige Station sein. Mille grazie, also hin da. Und Tatsache. Kartenzahlung möglich. Bringt aber auch nix, wenn das Gerät die Karte nicht nimmt. Ja leck die Ziege, das lief ja. Es wurde langsam alles verdammt knapp! Also drauf geschissen und unbetankt zum Vermieter zurück. Dort hatte man mir bei gestriger Abholung eh angeboten, das Tanken bei einem verlocken klingenden Liter-Preis für mich zu übernehmen. Was sich gestern verlockend anhörte, war aber nach Hinzurechnung der Steuer und großzügiger Berechnung des erforderlichen Sprit-Volumens nicht mehr ganz so attraktiv. Nicht zu ändern. Die Bitte, mich statt zum Flughafen lieber direkt zum Bahnhof zu bringen, wurde vom Spaghettifresser bedauernd verneint. Das ginge nicht, weil blablabla. Ja, ihr mich auch! Dass das Shuttle wegen eines Rückstaus für die zwei Kilometer zehn Minuten benötigte, war mittlerweile obligatorisch. Okay, damit war endgültig klar, dass ich statt der Zug- eine Taxifahrt zum 'Leonarda da Vinci' gewonnen hatte, denn es war nun 19:00 Uhr durch. Die Kosten für diesen Transfer wurden auf der Flughafen-Homepage mit 50 Euro benannt. Das nötige Bargeld konnte ich ja glücklicherweise am Airport ziehen. Beim Ausstieg aus dem Shuttle wunderte ich mich schon mal, dass ich kein einziges Taxi sah. Geld gezogen und ab zur Information. Taxi? Ob ich noch nicht vom Streik der Taxi-Fahrer gehört hätte? Das war der Moment, wo ich das erste Mal überlegte, wo ich mir am Besten ein Hotel nehme und was mich der kurzfristig zu buchende Flug für den nächsten Morgen wohl kosten würde. Ich hörte der Info-Maus gar nicht mehr richtig zu, aber die Wort-Kombination "direct Bus to Fiumicino" riss mich aus meinen süßen Träumen. Nach dieser Option hatte ich vorher gesucht, aber die Airport-Website gibt dazu nix her und die Googelei offenbarte, dass es diesen Service mal gab, dieser aber eingestellt wurde. Tatsächlich verkehrt aber einige Male täglich dieser Service und der nächste sollte gleich um 19:20 Uhr ablegen. Ein Strohhalm, denn die prognostizierte Fahrzeit war eine knappe Stunde "due to the traffic situation". Zur genannten Abfahrtszeit war aber nichts von irgendeinem Bus zu sehen, also musste eine neue Option her, um das mittlerweile unmöglich scheinende noch möglich zu machen. Erster Punkt in der Aufgabenliste war 'Ruhe bewahren'! Dann mal umsehen. Da hinten schmeißen doch grad zwei Anzug-Heinis ein paar betuchte aussehende Asiaten aus ihren fetten Benz-Limousinen. Mal hin gelatscht und gefragt, ob es sich um einen Taxi-Service handelt. Hm ja und nein und außerdem wäre eigentlich Feierabend. Plötzlich sagt neben mir eine Dame in englischer Sprache "Hömma, ich hab dasselbe Problem, komm, wir teilen uns die Nummer". Keine Ahnung wo die plötzlich her kam. Ich war so darauf konzentriert, den Typen nun zu bearbeiten, dass die mir wie aus dem Boden gewachsen vorkam. Jedenfalls überlegte unser Auserwählter nun und rief dann entspannte 80 Flocken auf, also 40 für jeden Teilnehmer. Kurz war ich motiviert, zu handeln, aber es war nullkommagarkeine Zeit für diese Show und wenn es sich der Typpes anders überlegt hätte, wäre alles andere deutlich teurer gekommen als hier und jetzt diese Investition. Also rein in die gute Stube. Und der Mann war sich seiner Aufgabe bewusst und manövrierte uns mit höchstmöglicher Geschwindig- und Rücksichtslosigkeit durch den dichten Verkehr. So saß ich also bequem in den Mega-Sitzen einer 500er S-Klasse. Endlich mal eine angemessene Anreise zum Flughafen, schließlich hat mein Familienstamm mittelalterliche Adels-Vergangenheit. Sollte ich vielleicht jetzt immer so machen. Vierzig Minuten vor Abflug kamen wir am Aeroporto 'Leonarda da Vinci' an. Das passte nun problemlos. Ciao Signora, komm gut in Deinen zeitgleich abgehenden Flieger nach Gatwick und Danke, dass Du genauso dusselig warst wie ich, so wurde es wenigstens nicht ganz so teuer. Der Security Check ist am großen Römer Airport vorbildlich organisiert, so dass das Boarding noch nicht einmal begonnen hatte, als ich am Gate eintraf. Warten ist ja nicht so mein Ding, daher bin ich oft recht knapp dran, was innereuropäische Flüge angeht, allerdings eher beim Abflug. Mal einen Trip zu verpassen, wäre zwar ärgerlich aber zu verschmerzen. Mal den Return zu verpassen wäre aber vor allem ziemlich teuer und der Einschlag heute war schon sehr nah. Memo an mich selbst: Wenn ich das nächste mal Ciampino anfliege, auf jeden Fall dran denken, dass die Straßen abends voll sind und die Zapfsäulen lieber Geldscheine als Kreditkarten nehmen. Der Rest war dann Routine und kurz vor Mitternacht konnte ich in meinen eigenen Federn die Äuglein zur Nachtruhe schließen.
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