Viele Leute haben mich gefragt - meist von Unverständnis getrieben - warum ich Nordkorea bereisen möchte, da das Regime ja nicht unbedingt zu den menschenfreundlichsten gehört. Dafür gibt es mehrere Gründe. Das Geschehen um und in Nordkorea habe ich in den letzten Jahren intensiv verfolgt, sei es schlicht durch Berichte in Print-oder Online-Medien, Dokumentationen die auf verschiedenen Sendern gezeigt wurden oder auch durch Fach-Literatur. Nun wurde und wird also viel über das Land geschrieben und in den wenigsten Fällen kommt es gut dabei weg. Daher wollte ich mir selber einen, wenn auch sicher begrenzten Eindruck verschaffen. Frei nach Alexander von Humboldt: "Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die Weltanschauung der Leute, welche die Welt nicht angeschaut haben". Außerdem sollte natürlich ein Fußballspiel elementarer Bestandteil dieser Reise sein. Dann ist da mein generelles Interesse an sozialistischen Ländern und zuletzt das Faible für spezielle Ziele, die vom Bild des klassischen Urlaubslandes abweichen. Und da man in den meisten Fällen China als Ausgangspunkt für eine Reise nach Nordkorea wählt, sollte natürlich auch das alte Kaiserreich ein wenig beäugt werden. Den Leuten, die eine große Gefahr in dieser Reise sahen, konnte man eigentlich sachlich begründet den Wind aus den Segeln nehmen. Individuell kann man sich in dem Kontroll-Staat natürlich nicht bewegen. Da es sich also um eine betreute Reise handelt, wird man ja mehr oder weniger rund um die Uhr zwangsbeschützt und wenn man sich an, sagen wir mal 'gewisse Empfehlungen' hält und nicht ständig versucht seine Reiseleiter mit provokativen Fragen zu nerven, dann bekommt man auch keine Probleme. So gesehen kann man also kaum eine sicherere Reise erleben. Man muss halt bereit sein, sich auf diese Art des Reisens einzulassen. Dass einem die ungeschönte Wahrheit verborgen bleibt und man kritische Fragen nicht ehrlich beantwortet bekommt, sollte klar sein; mit dieser Erwartung darf man eine Reise in die Demokratische Volksrepublik Korea nicht angehen. Aber man hat ja Augen im Kopf und wer nicht nen kompletten Lattenschuss hat, der ist schon der Lage, sich die Realität zusammen zu reimen.
Im November verständigte ich mich mit Daniel aus dem wunderschönen Stadtteil Altenessen auf die Reise, die wir schon mehrfach lose ins Auge gefasst hatten. Wir setzten uns mit dem Veranstalter 'Pyongyang Travel' in Verbindung, der eine knackige 3-Tage-Gruppentour rund um das entscheidende Qualifikationsspiel zur Asien-Meisterschaft zwischen Nordkorea und Hongkong anbot. Drei Tage waren uns zu kurz, eine ganze Woche aber zu lang, daher handelten wir ein individuelles Angebot für fünf Tage aus.
Die ersten zwei Tage wurden als private Reise nur für uns gestaltet und ab dem dritten Tage begann dann die Gruppen-Reise, für die sich aber schließlich nur noch ein weiterer Teilnehmer anmeldete. Es gibt mindestens drei deutsche Veranstalter und ich bekam die Info, dass eine Gruppe um einige Regensburger ebenfalls eine Reise zum Spiel plante und zu diesem Zwecke Mitfahrer suchte, um über die Gruppengröße ein rabattiertes Angebot zu erhalten. Also setzte ich mich mit Moritz in Verbindung, den ich zufällig im letzten Jahr während der kleinen Balkan-Tour im Sommer getroffen hatte, der bei 'Nordkorea-Reisen' aus Köln angefragt hatte. Mit diesem Anbieter trat ich dann auch noch direkt in Kontakt und eigentlich wurde ein ganz zufriedenstellendes Programm zu einem zufriedenstellenden Preis ausgearbeitet. Anfang Januar kam dann aber 'Pyongyang Travel' wieder auf mich zu, ob wir noch interessiert wären. Ich legte dann die Karten offen auf den Tisch, eigentlich ohne die Absicht, groß zu handeln, aber es wurde dann unaufgefordert nachgebessert und in der Offerte war das Nordkorea-Visum enthalten, so dass wir dem Veranstalter den Zuschlag gaben. Auch weil uns eine Reise zu zweit, beziehungsweise nachher zu dritt, charmanter erschien und ich es wichtig fand, an einem doch recht sensiblen Ort nur mit einer weiteren Person zusammen in der Verantwortung zu stehen, von der ich ganz gut wusste, wie sie tickt. Der Einfachheit halber beauftragten wir auch das China-Visum direkt mit, da so die Pässe nur einmal verschickt werden mussten und dafür zusätzlich zu den Visa-Kosten nun zehn Euro Bearbeitungsgebühr verlangt wurden. Die folgenden Tage vergingen mit der Buchung der Emirates-Gabel und den Unterkünften in China, denn diese Information werden für das China-Visum benötigt. Für die Araber entschieden wir uns aufgrund der kurzen Transit-Zeiten. Der sinnvollere, weil insgesamt kürzere Flug wäre über Moskau gegangen, aber das hätte vier und sechs Stunden Aufenthalt bedeutet. Auch der Preis von unter 500 Euro für die Gabel Düsseldorf-Dubai-Beijing und Shanghai-Dubai-Düsseldorf war ein starkes Kaufargument.
Fr. 23.03. - Beijing
Am Donnerstag verließ ich um 12:00 ich den Arbeitsplatz, traf mich mit Daniel am Altenessener Bahnhof und von dort ging es über den Essener Hauptbahnhof zum Düsseldorfer Flughafen. Mit zwei Flügen im A380 ging es über Dubai nach Peking. Ich mag diese Riesenvögel ja nicht so, aber Leonie aus Rheinberg, mit der wir ins Gespräch kamen komplettierte unsere Dreier-Kombi auf der ersten Teilstrecke, und so ging die erste Teilstrecke bei zu viel Bier zügig um. Für Leonie ging es weiter zu ihrem in Melbourne studierenden Freund und wir überbrückten die kurze Transitzeit mit zwei Halben in der Heineken-Bar des Airports, für deren Preis wir in Deutschland bequem drei ganze Kisten hätten erstehen können, aber man lebt ja nur einmal. So stiegen wir ordentlich angeschlagen in den Flieger nach Beijing, wobei sich der Suff zunächst eher als Vorteil herausstellte, da der Flug so ganz gut verpennt werden konnte. Allerdings kletterten wir am Terminal 3 in Beijing auch etwas zerstört aus dem Flieger, aber wir hatten ja heute keine anspruchsvollen Aufgaben mehr zu erledigen. Die erste war die Einreise und die dauerte ewig, so viele Menschen hab noch nie an irgendeiner Immigration gesehen. Da müssen einige Groß-Maschinen zur annähernd gleichen Zeit verdammt viele Passagiere ausgeschieden haben und es dauerte locker neunzig Minuten bis wir den verkackten Stempel im Pass hatten. Als nächstes stand die Versorgung mit einheimischer Währung an. Das Gerümpel heißt Renmibi und ist in Einheiten unterteilt, deren größte der Yuan ist. Acht Yuan sind etwa ein Euro. Der Airport-Train brachte uns für 25 Risibisi-Dinger in die Stadt zur Station 'Dongzhimen', an der man Anschluss an das riesige Metro-Netz hat. Dieses brauchten wir aber noch nicht, das wir zu unserem Hotel laufen konnten. Nach dem Verlassen der Metro wurde klar, dass man in China vor allem eins haben muss - Geduld. An den Bushaltestellen waren lange Warteschlangen zu sehen, was aber sicherlich auch mit dem Feierabendverkehr zu tun hatte. Das 'Sanlitun Inn', gleich gegenüber des 'Arbeiterstadions' gelegen, erfüllte die Mindest-Erwartungen, aber mehr als ein ordentliches Bett und ein sauberes Bad brauchten wir ja auch nicht. Mittlerweile war es 19:00 und außer der Nahrungsaufnahme hatten wir kein Programm. Wir landeten zufällig in einem Halal-Restaurant, was uns einigermaßen irritierte, was hat sowas in China zu suchen? Die bebilderte Karte half bei der Bestellung. Was die Karte uns aber nicht verriet, war, wie scharf der Krempel ist. Ich esse ja gerne hot, aber das war wirklich nicht ohne. Brannte am Ende zwei Mal. Oder auch drei Mal. Zurück im Hotel gab es noch ein Zimmerbier bevor uns der Schlaf übermannte.
Sa. 24.03. - Einreise nach Nordkorea
Geschlafen hatte ich völlig beschissen, was weniger an Daniels Motorsäge, als wohl eher am Jetlag lag. Das Frühstück war der pure Fraß. Kalte Spiegeleier, kalter Speck, kalte Kartoffeln, kaltes Hühnchen. Die Saftflasche war grad leer, dafür standen noch Gläser da. Als der Saft aufgefüllt wurde, waren dafür dann aber alle Gläser weg. Der kleine Frühstücksraum war total überfüllt, aber Hauptsache der für das Frühstück zuständige planlose Mitarbeiter rannte mit Kochmütze rum. Nix wie weg hier. Den Weg des gestrigen Tages absolvierten wir genau umgekehrt, nur dass uns der Airport-Train dieses Mal am Terminal 2 ausspuckte.
Ab durch die kombinierte Zoll- und Sicherheitskontrolle und vor den Schaltern von 'Air Koryo' trafen wir dann nicht nur die Nationalmannschaft Hongkongs, sondern auch unseren Kontaktmann vom Veranstalter, an den wir den Restbetrag für die Reise bar in harten Euros entrichten durften. Aufgrund der Sanktionen gegen Nordkorea sind derzeit keine Überweisungen möglich, daher dieses etwas dubios wirkende Geschäft in der Abflughalle. Während wir bei zwei kleinen Tsingtao-Bieren auf das Boarding warteten, durften wir schon einmal einen Blick auf die Museums-Tupolew der 'Air Koryo' werfen.
Trotzdem die Maschine sicherlich teilweise modernisiert worden war - auch die Flügel wiesen neueste Aerodynamik-Merkmale auf - wirkte der Vogel etwas angestaubt. Dafür wusste die ausschließlich aus jungen weiblichen Mitgliedern bestehende Miss-Nordkorea-Kabinen-Crew zu überzeugen. Die Mädels gehören sicherlich zu den bestaussehendsten des Landes und könnten auch problemlos auf dem Catwalk herumstöckeln, da will man wohl direkt für eine positive Außenwirkung sorgen. Kurzum, zur Sorge bestand kein Anlass - die betagte Maschine brachte uns sicher in die Hauptstadt der Demokratischen Volksrepublik Korea. Nach dem Andocken an der Passagierbrücke gab es dann auch den ersten Vorgeschmack auf den Kontrollwahn. Ein vor uns sitzender Franzose bekam nen Anpfiff von einem an Bord befindlichen Sicherheitsmann, der von einem der bestimmt zahlreich mitgeflogenen Stasi-Mitarbeiter darauf hingewiesen worden war, dass der Franz-Mann sich erdreistet hatte, ein Foto von auf dem Rollfeld stehenden Antonov-Maschinen zu machen. Im Flughafen-Gebäude war dann Riesen-Tellermützen-Gemokel. Die Einreise nahm noch vertretbare zwanzig Minuten in Anspruch, an der Zollkontrolle wurde es dann aber richtig nervig. Dauerte ewig und System steckte auch nur im Ansatz dahinter. Die Tellermützen rannten wild hin und her, zerterten mal hier rum, grinsten dann dort mal wieder freundlich, nur schien der eine nicht zu wissen, was der andere schon erledigt hatte. Ging aber auch vorbei und unser Guide Herr Kim nahm uns mit seiner Assistentin Frau Ro und Fahrer Herr Jong in Empfang. Die nächsten Tage war ein 20sitziger Bus unser fahrbarer Untersatz - auch nicht wirklich wirtschaftlich. Zunächst war ich noch etwas enttäuscht, dass Herr Kim die 50 schon locker erreicht hatte, ein jüngerer Reiseleiter wäre mir lieber gewesen. Dieses Vorurteil war aber völlig unangebracht war, wie wir in den nächsten Tage feststellen sollten. Herr Kim erwies sich als super Typ und sprach fließend Deutsch. Seine Sprachkenntnisse hat er noch zu DDR-Zeiten im Ostteil unserer phantastischen Republik erlernt.
Nordkorea nimmt seit der Spaltung nach dem Krieg im Jahre 1953 den nördlichen Teil der koreanischen Halbinsel ein.
25 Mio Menschen leben auf einem Staatsgebiet dessen Ausdehnung etwa einem Drittel der Größe Deutschlands entspricht. Dass die Demokratische Volksrepublik in Wahrheit eine totalitär regierte Diktatur und das wohl restriktiv regierteste Land der Erde ist, dürfte unstrittig sein. In Nordkorea konzentriert sich alles auf die Hauptstadt Pyongyang, in der circa 3,5 Mio Menschen leben.
Die Stadt ist in jeder Hinsicht, nur geographisch nicht, der absolute Mittelpunkt des Landes und genießt eine Sonderstellung. In Pyongyang zu leben, bedeutet ein Privileg. Die Bürger des Landes können nicht frei entscheiden dorthin zu ziehen. Auch ist es nicht möglich, sich eine Wohnung frei auszusuchen. Alle Wohnungen sind verstaatlicht und diese werden den Familien zugewiesen. Aktuelles Staatsoberhaupt ist der 'geliebte General' Kim Jong-Un, der Weltöffentlichkeit spätestens seit dem rhetorischen Schwanzvergleich mit US-Goldhamster Trump bekannt, jüngster Sohn des 2011 verstorbenen 'ewigen Vorsitzenden' Kim Jong-Il und Enkel des 'ewigen Präsidenten' Kim Il-Sung, dem ersten Regierungs-Oberhaupt Nordkoreas. Damit ist die Macht seit Entstehung des Landes in seiner heutigen Form in den Händen der Familie Kim.
Der Flughafen liegt etwa 35 Kilometer außerhalb von Pyongyang, so dass wir einen ersten Eindruck vom Land bekamen. Und vom miserablen Zustand der Infrastruktur. Die Straßendecken glichen teilweise eher einem Flickenteppich. Die Stadt selber sah dann aus, wie so eine Großstadt in sozialistischen System nun mal aussieht, mit vielen monumentalen Prunkbauten, Denkmälern und Hochhäusern. Und trotzdem wirkt es etwas anders, manchmal so, wie eine futuristische Stadt aus einem Sci-Fi-Trickfilm.
Teilweise stehen dort nagelneue und moderne, locker zwanzig- bis dreißiggeschossige Häuser. Die älteren Gebäude sind zumindest meist mit bunter Farbe versehen, so dass kein graues oder tristes Bild entstehen kann; Pyongyang soll halt das Aushängeschild des Landes sein. In der Nähe des Kim-Il-Sung-Platzes hieß es aussteigen. Ein erster kleiner Rundgang wurde unternommen und bei einem kleinem Stopp in einem Buch-Shop wurden mal direkt ein paar Ansichtskarten und Anti-USA-Postkarten gekauft. Dann ging es weiter zum nach dem 'ewigen Präsidenten' Kim-Il-Sung benannten Platz, der zu den größten Plätzen der Welt gehört und an dem die 'Große Studienhalle des Volkes', das Ministerium für Außenhandel, das ja momentan nicht wirklich viel zu tun haben dürfte, die Zentrale der Arbeiterpartei und zwei Museen liegen. Während die den Platz beherrschende Studienhalle im typischen koreanischen Baustil mit mehreren Dächern erbaut ist, zeigen die anderen Gebäude den für den Sozialismus typischen neoklassizistischen Stil. Im Osten wird der Platz vom Taedong-Fluß begrenzt. Dort wurden wir zufällig Zeugen eines Tauziehen-Wettstreits. Es war ganz interessant zu sehen, wie sich jeweils gut zwanzig Mann von Fahnen-schwingenden Trainern antreiben ließen. Auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses befindet sich der 'Turm der Chuch'e-Ideologie'. Aber dazu später mehr.
Weiter ging es zum Abendessen in ein Restaurant. Die aus vielen Vorspeisen, Hühnersuppe und einem Reisgericht bestehende Mahlzeit, war teilweise etwas gewöhnungsbedürftig, aber ich bin da ja experimentierfreudig und anpassungsfähig.
Fester Bestandteil jeder, aber auch jeder Mahlzeit ist 'Kimchi', sauer eingelegtes Kohl-Gemüse. Muss man mögen, hilft aber in jedem Falle bei der Verdauung. Beim Verlassen das Lokals, bemerkte Daniel noch, dass es ganz schon dunkel geworden sei und dann fiel uns erst auf, dass überhaupt keine Straßenbeleuchtung brannte und auch nicht gerade die Masse an Fenstern in den Wohnblöcken erleuchtet war. Da bekam man das kommunizierte Energie-Problem direkt hautnah mit, welches unter anderem zur Folge hatte, dass die Menschen mit Taschenlampen ihren Weg ausleuchteten, damit sie nicht in eins der zahlreichen Schlaglöcher traten. Während der Fahrt zum Hotel wirkten auch die Hochhäuser nicht wirklich gut ausgeleuchtet, da liegt die Vermutung nah, dass Elektrizität rationiert wird. Bei Tageslicht sah man auf vielen Balkonen Solarzellen, mit denen sich die Bewohner so unabhängig wie möglich von der staatlichen Stromversorgung machen wollen. Unsere Unterkunft war das 'Sosan Hotel', ein 30stöckiger Klotz außerhalb des Zentrums in einem Sport-Bezirk, umringt von Stadien und einem guten Dutzend Hallen für alle möglichen Sportarten von Boxen über Handball und Schwimmen bis Taekwondo. Olympia kann kommen, da müssten nicht mehr viele neue Sportstätten errichtet werden. Das Hotel ist erst vor wenigen Jahren renoviert worden, bot guten Standard und ließ eigentlich keine Wünsche offen. Etwas gespenstisch war, dass wir in dieser ersten Nacht offenbar die einzigen Gäste in diesem Riesenbau waren. Man fühlte sich so ein wenig wie in Stephen Kings 'Shining'. Mit ein paar nordkoreanischen Brau-Erzeugnissen verzogen wir uns in unser Zimmer.
Sa. 25.03. - Demilitarisierte Zone Panjunmon & Kaesong
Da Kollege Daniel auch hier alles gab, um die Zimmereinrichtung zu zersägen, hielt sich der Erholungsfaktor der Nacht erneut in Grenzen. Die immer noch fehlende Gewöhnung an die andere Zeitzone tat das Übrige. Kann mich gar nicht erinnern mich jemals mit so einem ausgeprägten Jetlag-Problem rumgeplagt zu haben; ich werde alt. Im Frühstückssaal bestätigte sich, dass wir wohl alleine im Hotel waren. Vor uns öffnete sich ein riesiger Raum, in dem keine Menschenseele war, außer vier Service-Kräften, was angesichts von lediglich uns zwei Frühstücksgästen etwas skurril wirkte. Das Buffet bestand fast ausschließlich aus warmen Speisen. Als wir zwei Spiegeleier aus dem Chafing entnahmen, kam sofort der Koch angestürzt und legte nach, obwohl noch locker ein Dutzend Eier darin waren.
Keine Ahnung, was die uns beweisen wollten, aber den Service-Mädels, die rumstanden wie die Pappeln an einer einsamen Allee, schien die Situation ähnlich unangenehm zu sein wie uns. Für heute stand die Fahrt zur Grenze in die sogenannten 'Demilitarisierte Zone', oder kurz DMZ, bei Panjunmon an. Demilitarisiert bedeutet dabei lediglich, dass im Streifen zwei Kilometer nördlich und südlich der Grenzlinie kein schweres Kriegsgerät erlaubt ist, sondern lediglich leichte Bewaffnung wie automatische Waffen und Pistolen getragen werden dürfen. Zunächst mussten wir aber Pyongyang durchqueren und bekamen Eindrücke von der Wohnbebauung, die natürlich zu einem großen Teil aus zwanzigstöckigen oder noch höheren ellenlangen, gewaltig wirkenden Wohn-Kasernen besteht. Freilich, ich würde darin nicht wohnen wollen, aber ich zeige mich immer wieder fasziniert von diesen typischen Merkmalen sozialistischer Wohkultur. Natürlich hat Pyongyang auch noch alte, typisch koreanische flache Viertel zu bieten. Diese streiften wir während der gesamten Reise nur selten. Ob das beabsichtigt war, damit wir nur zu sehen kriegen, was die Regierung für tolle und in welcher Weise auch immer beeindruckende Häuser für Ihr Volk erbaut - wer weiß. Es war gerade mal 9:00 Uhr durch, am Sonntag wohlbemerkt, und die Straßen waren voller Menschen, die mit Spaten oder Spitzhacke über der Schulter irgendeinem Ziel entgegen strebten. Daniels Frage, was die Menschen machen, beantwortete Herr Kim damit, dass es sich um 'freiwillige Arbeiter' handeln würde. Ähm, ja klar. Ich vermute, er hat versehentlich vergessen eine Silbe voranzustellen, die zweifelsfrei "un" hätte lauten müssen.
Durch das 'Monument der Wiedervereinigung', das 2001 zu Ehren der Bemühungen Kim-Il-Sungs um ein vereintes Korea erbaut wurde und zwei traditionell gekleidete Frauen zeigt, welche eine Karte der gesamten Koreanischen Halbinsel halten, verließen wir die Stadt. Das Gerücht, dass es in Nordkorea annähernd keine Autos gibt, ist ja auch so ein Mythos, der nicht ganz richtig ist. Man sieht vorrangig chinesische Fabrikate, aber auch ein abgehalfterter Benz fährt einem mal über die Füße. Während allerdings zumindest im Zentrum Pyongyangs sich die Verkehrssituation nicht grundlegend von anderen Ländern unterscheidet - es gibt auch ein Trolleybus-System, ändert sich das Bild außerhalb der Stadt. Auf einer breiten, mehrspurigen Autobahn fuhren wir gen Süden und vielleicht jede halbe Stunde kam mal ein Fahrzeug entgegen oder überholte uns.
Der Vorteil war, dass Pilot Herr Jong die Ideallinie auf der Buckel-Piste wählen konnte ohne Rücksicht auf irgendwen nehmen zu müssen. Und nun sahen wir auch, was es mit den 'freiwilligen' Arbeitern auf sich hatte. Überall auf und entlang der Straße waren kleine Bautrupps zugange, welche die löchrige Fahrbahn ausbesserten. Andere hatten nen Pinsel in der Hand und brachten Farbe an Pfähle und Mauern. Wieder andere, meist weibliche Personen, pflanzten junge Bäume am Straßenrand. Kurz und gut, die Wahrheit wird nicht weit weg von folgender Mutmaßung liegen. Der 'geliebte General' wird gesagt haben "Hört mal, ihr habt zwar Sonntags frei, aber wer will, kann sich gern FREIWILLIG in den Dienst der Demokratischen Volksrepublik stellen und was auch immer tun, damit das Land nach vorne kommt". Da es sicherlich nicht gut ankäme, wenn nicht gar Repression zur Folge hätte, wenn man diesem phantastischen Vorschlag nicht nachkäme, schnappt sich also jede(r) irgendein verbogenes oder verrostetes Werkzeug und setzt den gut gemeinten Ratschlag des 'geliebten Generals' mehr oder weniger produktiv um. Nach etwas mehr als der Hälfte des Weges hielten wir an einer Raststätte an. Kennt Ihr die Raststätte 'Dammer Berge' auf der A1 zwischen Osnabrück und Bremen? Das Rasthaus dient beiden Fahrtrichtungen und ist als Brücke über die Autobahn gebaut. Genau so ein Ding steht an dieser gottverlassenen Autobahn nach Kaesung, nur deutlich kleiner. Ein weiterer Unterschied war, dass wir die einzigen Gäste waren, wenn man von einem Trupp 'freiwilliger Arbeiter' absieht, die auf einer Lkw-Pritsche sitzend zur Verschönerung der Anlage auf den Rasthof gekarrt wurden.
Nach etwas mehr als drei Stunden Fahrt für die 175 Kilometer kamen wir in der DMZ an. Nachdem wir durch den Souvenirshop gescheucht worden waren, übernahm uns der uns zugeteilte General, um die Führung durch das Grenzgebiet zu übernehmen. Zunächst hielten wir an den Gebäuden, in den die Bedingungen des Waffenstillstand-Abkommens nach dem 'Vaterländischen Befreiiungskrieg' ausgehandelt wurden. Dieses wurde 1953 nach zwei Jahre währenden Verhandlungen von den Befehlshabern der beiden beteiligten Armeen unterzeichnet. Für die Nordkoreaner war es inakzeptabel, dass ein Amerikaner für den Süden unterzeichnete, daher betrachtet Nordkorea das Abkommen lediglich als Absichtserklärung. Frieden wurde bis heute nicht geschlossen, daher besteht offiziell noch der Kriegs-Zustand zwischen dem Norden und dem Süden. Natürlich wurde man mit allerlei dubiosen Geschichten versorgt, in denen die amerikanische Seite ordentlich schlecht weg kam. Weiter ging es zur Grenzlinie. Zwischen den repräsentativen Gebäuden beider Nationen stehen genau auf der Grenzlinie drei blaue und zwei weiße Baracken je zur Hälfte auf süd- und nordkoreanischem Staatsgebiet. Diese Baracken wurden in der Vergangenheit für Treffen und Verhandlungen genutzt und hier waren wir also nur noch wenige Meter von Südkorea entfernt.
Trotzdem war ich erst einmal reichlich irritiert, als meine Hosentasche vibrierte - wir waren doch tatsächlich im südkoreanischen Mobilfunknetz. Es waren noch eine Handvoll weitere Besucher mit uns dort und jeder kramte plötzlich hektisch sein Smartphone hervor und schrieb verstohlen eine irgendwelche Nachrichten. War schon ne witzige Situation und unsere 'Gastgeber' störte das auch nicht wirklich. Unser General taute übrigens im Laufe unseres Besuchs völlig auf, stellte uns über Herrn Kim als Dolmetscher einigen Fragen und schaffte es sogar einige Male zu lächeln. Kann aber auch daran gelegen haben, dass er Daniel die letzten deutschen Kippen weggeschnorrt hatte. Am Tor wurden wir wieder in die 'Freiheit' entlassen und fuhren ins nahe Kaesong, der mit 300tsd Einwohnern fünftgrößten Stadt des Landes. Kaesong war in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts die Hauptstadt des alten Korea. Zentrale Achse ist eine breite Straße, welche die Stadt durchschneidet und auf einen Hügel zu zwei Bronze-Statuen der verblichenen Führer führt. Wir besichtigten den Campus der mittelalterlichen Universität, fuhren dann raus aus der Stadt zu den nahen Königsgräbern und wieder zurück. Kaesong hat einen große Altstadt mit den traditionellen eingeschossigen Flachbauten. Dort sollten wir heute in einem traditionellen koreanischen Hotel übernachten.
Das 'Kaesong Folk Hotel' liegt inmitten der Altstadt und besteht aus kleinen vom zentralen Weg abzweigenden Innenhöfen mit mehreren Etablissements. Uns wurde erläutert, dass es keine Heizung gibt, aber unser Schlafraum durch ein altes Holzfeuer-Wärmesystem von unten durch den Fußboden geheizt wurde. Okay sollte schon passen. Wir holten ein Bier von der Bar und begaben und in unser kleines Appartment und da wurde bei schwindendem Sonnenlicht schon klar, dass es eine verdammt kühle Nacht würde. Tagsüber hatten wir in der Sonne 18 Grad, aber es ging nun deutlich Richtung Gefrierpunkt. Jedenfalls saßen wir in Pullover und Jacke da, als Herr Kim kam und uns fragte, ob wir denn eine Taschenlampe hätten.
Strom gäb es nur von 19:00 bis maximal 22:00 Uhr - dass es kein warmes Wasser geben würde, hatten wir bereits vorher geklärt und für nebensächlich befunden. Kurz und gut - es war mittlerweile arschkalt und nur das Wissen über ein leidlich beheiztes Nachtlager machte Hoffnung. Auf jeden Fall drohte uns ein ziemlich kühler Rest-Abend und eine empfindliche Nacht. Um 19:00 Uhr gingen wir rüber ins Restaurant zum Abendessen und obwohl Kollege Kim uns bereits bis zum Frühstück verabschiedet hatte, tauchte er noch mal auf, um uns mitzuteilen, dass er eine schlechte Nachricht für uns hätte.
Der geplante Besuch der Ginseng-Verarbeitung am nächsten Morgen war nicht möglich, da die Produktion einen 'Spezialauftrag' zu erledigen hätte. Fanden wir nun nicht so schlimm, da wir uns schon darauf verständigt hatten, auf so eine Propaganda-Führung mal überhaupt keinen Bock zu haben. Eine Viertelstunde später war er wieder da und wollte uns nur mitteilen, dass es kein Problem sei, zurück nach Pyongyang zu fahren, wenn es uns hier zu kalt sei. Hm, war das nun eine Bitte oder eine Frage? Wir waren uns nicht so schlüssig, da es zwar wirklich richtig kalt, aber die Location ja - im wahrsten Sinne - ganz cool war. Außerdem wollte unser Stolz uns das Angebot erst einmal nicht annehmen lassen. Wir bekamen ein wenig Bedenkzeit und als er erneut auftauchte, entschieden wir, sein Angebot anzunehmen. Erst die "Hurra"-Rufe von Frau Ro verschafften uns Gewissheit, dass wir lediglich einem Wunsch unserer Reiseleitung nachgegeben hatten, die uns aus asiatischer Höflichkeit nicht konkret vorgetragen werden konnte. Dass die Stimmung im Bus dann nicht nur bei Frau Ro und Herrn Kim, sondern auch beim bisher schweigsamen Busfahrer Jong plötzlich sehr gelöst war, bestätigte, dass wir die richtige Entscheidung getroffen hatten. Unfassbar war es dann zu sehen, wie viele Menschen die stockfinstere Autobahn noch als Fuß- oder Radweg benutzten. Selbst Bau-Kolonnen harrten noch am Lagerfeuer am Straßenrand aus. Gegen 23:00 Uhr kamen wir wieder am 'Sosan Hotel' an. Mit ein paar Zimmer-Bieren ging es ins Schlafgemach.
Mo. 26.03.- Westmeerschleuse und Pyongyang
Da der ganze Zeitplan für den heutigen Tag nun entzerrt war, wurde die Abfahrtszeit auf 10.00 Uhr gelegt. Beim Frühstück waren mit uns heute drei Mal so viele Menschen wie am Vortag, nämlich sechs! Da kamen die vier Service-Ladies ja fast ins Schwitzen. Kumpel Kim kam dann mal angestiefelt, um das heutige Programm zu besprechen. Durch den Wegfall der Ginseng-Nummer war eine ordentliche Lücke entstanden und nach einigem Hin und Her entschieden wir uns für einen Besuch im Moranbong-Park, eine Fahrt zum Westmeer-Schleusensystem und den Besuch des Geburtshauses von Kim Il-Sung. Auch das Großmonument auf dem Hügel Mansudae sollte angesteuert werden. Dorthin ging es auch zunächst. Das Monument zeigt etwa 25 Meter hohe Bronze-Statuen von Kim Il-Sung und Kim Jong-Il, womit dieses die größten Abbilder der verstorbenen Herrscher sind, die jemals errichtet wurden. Links und rechts der Figuren wurden wehende Fahnen errichtet, die von Menschengruppen umgeben sind, die den Freiheitskampf und den Aufbau des Landes symbolisieren. Schon ein beeindruckendes Beispiel für den sozialistischen Führer-Kult dieses Landes. Man kann aber nicht einfach so dahin spazieren und die Skulpturen betrachten, sondern es wird erwartet, dass man Blumen niederlegt und eine anständige Verbeugung als Zeichen des tiefen Respekts macht. Als ich darüber vor dieser Reise nachdachte, nahm ich mir eigentlich vor Blumenkauf und Verbeugung zu verweigern. Da mir unsere Guides aber mittlerweile wirklich sympathisch waren, machte ich das Spiel mit, denn wenn mein Boykott einem der scheinbar unscheinbaren Aufpasser aufgefallen wäre, hätte dieses keine Probleme für mich, sondern für unseren guten Herrn Kim bedeutet und das wollte ich nicht. Also schmissen wir das Gestrüpp vor die Statuen und machten in Reih und Glied einen ordentlichen Kratzfuß.
Natürlich nicht ohne dabei in der Hosentasche die Hand zur Stinkefinger-Geste zu formen – bisken Untergrundkampf muss schon sein. Nur eine kurze Fahrt war es zum Moranbong-Park, der eine Erholungs-Oase mitten in der Stadt ist. Es gibt einige Teiche und Skulpturen, diverse Sitzgelegenheiten und Pavillons.
Das Gelände steigt an und oben angekommen lag uns dann das 'Kim-Il-Sung-Stadion' zu Füßen. Nette Überraschung, die Onkel Kim da eingebaut hatte. Als nächstes kam unser Reiseleiter einem Wunsch von uns nach. Das markanteste Gebäude Pyongyangs ist das ‚Ryugyong Hotel‘, ein Gebäude, das seit 1987 im Bau und immer noch nicht fertiggestellt ist. Die Silhoutte erinnert an eine Pyramide, allerdings besteht das Gebäude aus drei Flügeln, die im Grundriss ein Ypsilon ergeben. Es sollte mit einer Höhe von 330 Metern einmal das höchste Hotel der Welt sein, mit 3000 Zimmern und einem sich drehenden Kegel an der Spitze. 1992, drei Jahre nach dem geplanten Vollendungstermin, wurde der Bau nach Fertigstellung des Rohbaus eingestellt. 16 Jahre später, in 2008, wurde die Fassade mit Hilfe eines ägyptischen Konzerns mittels verspiegelten Glaselementen fertiggestellt und seitens der Behörden mutig ein neuer Eröffnungstermin für 2012 geplant. Bis heute wurde aber mit dem Innenausbau immer noch nicht begonnen. Ein Ende der Geschichte ist aktuell nicht absehbar. Auf jeden Fall dürfte das skurrile wie beindruckende Gebäude eines der spannendsten Bauprojekte unseres Planeten sein. Uns war natürlich auch nur der Blick von außen vergönnt, aber ein vernünftiges Foto von diesem spacigen Gebäude musste schon sein. Nach einem kleinen Spaziergang entlang des Kulturpalastes, ging es zum Mittagessen. Dieses Mal gab es das koreanische Nationalgericht 'Mul Naengmyeon', kalte Nudeln, die derart aneinander pappten, dass man nur den Kopf in die Schüssel hängen, sich ein Nudelende mit den Stäbchen packen und dann solange die Nudeln reinsaugen kann, bis die Schale leer ist. Für mich alles kein Problem, ich probier ja immer alles aus. Daniel hatte da etwas mehr Mühe. Nach dem Essen machten wir uns auf den Weg zur Westmeer-Schleuse.
Der Taedong-Fluss, der Pyongyang durchschneidet, ergießt sich etwa 70 Kilometer flussabwärts in einer breiten Mündung ins Gelbe Meer, oder Westmeer, wie es die Koreaner nennen. Um bessere Bedingungen für die Landwirtschaft zu schaffen und das Salz- vom Süßwasser zu trennen, beschloss die Regierung das Meerwasser mittels einer acht Kilometer Staumauer auszusperren.
In der ersten Hälfte der 80er Jahre wurden mehrere Armee-Divisionen für das Aufschütten des Damms herangezogen. Am südlichen Abschluss befindet sich ein Schleusen-System, dass mittelgroßen Frachtschiffen die Passage ermöglicht. Es gibt auch eine Aussichtsplattform mit einem Besucherzentrum. Dort bekamen wir endlich mal eine richtige Staats-Propaganda in Form eines Films zum Bau des Damms geboten, mit heldenhaften Szenen in denen auch Kim Il-Sungs direkte Einflussnahme gerühmt wurde, ohne die das Projekt selbstverständlich nie ein erfolgreiches Ende genommen hätte. Das Ganze noch schön mit schmissiger Kommunisten-Mucke unterlegt und feddich ist die Laube. Großartig - hätte man eigentlich mal mit der Digi abfilmen müssen. Gut, dass die Museums-Maus den Raum verließ, während der Streifen lief. Wäre mir doch peinlich gewesen, wenn Sie wenn sie bekommen hätte, wie wir uns kaputtgelacht haben
Hin- und Rückfahrt boten auch wieder interessante Einblicke in das Leben außerhalb der Hauptstadt. Jeder ist in Bewegung und wuselt irgendwo rum, jeder hat was zu tun, niemand ist ohne Beschäftigung. Es fiel auf, dass es im Land nicht eine einzige modere Landmaschine zu geben scheint. Im besten Falle sieht man Jahrzehnte alte Traktoren aus russischer oder chinesischer Produktion, aber großenteils läuft die Landwirtschaft mittelalterlich ab, in dem die Böden mühsam mit einem hinter Ochsen gespannten Holzpflug umgegraben werden. Am Stadtrand von Pyongyang besuchten wir noch das Geburtshaus des ewigen Präsidenten Kim Il-Sung, das aber deutlich hinter der Erwartung zurück blieb.
Nun war es an der Zeit den dritten Mann vom Bahnhof abzuholen, der unsere kleine Gruppe für die restliche Zeit vervollständigen sollte. Als wir in die Stadt zurück fuhren machte Herr Kim uns ein unwiderstehliches Angebot. Er sprach von einer kleinen Bierbar, in der eigenes Gebräu in einer Mini-Brauerei hergestellt wird und fragte uns, ob wir zusammen mit Frau Ro den dritten Mann Szczepan, oder der Einfachheit halber Stefan, aus Polen am Bahnhof abholen oder lieber mit ihm in die Bar gehen wollen. Nach dem dezenten Hinweis, dass er sich die Antwort doch selber geben könne, grinste er breit und triumphierte: "Okay, dann holt Frau Ro den Polen ab und wir gehen Bier trinken". Überhaupt war Kumpel Kim mehr und mehr geneigt, möglichst jedes Bier mitzutrinken. Wurde uns immer sympathischer, der Mann. Und die Idee war auch top, denn in der Mini-Brauerei gab es endlich mal vernünftiges und echt leckeres Bier. Koreaner und Chinesen brauen ja nur so ne dünne Brause, weil sie nix vertragen, da muss schon Glück haben, mal ein Gesöff mit 4% zu bekommen, die meisten Plörren haben nur an die 3,5%. Stefan stellte sich dann als guter Typ in unserem Alter heraus, der sich als Wisla-Kibic offenbarte und mit dem wir eine Menge Spaß bekommen sollten. Wir blieben auch direkt mal auf ein, zwei Bier länger hängen, als geplant, bevor es zum 'Korean Barbecue' ging, bei dem man sein Fleisch selber am im Tisch integrierten Grill zubereitet. Schlussendlich ging es ins Hotel, in dem heute mehr los war, da eine 30köpfige Gruppe Hongkong-Fans eingetroffen war. Ziemlich nervige Gestalten. Der Hongkong-Chinese kann halt den Chinesen in sich nicht verleugnen. Heute setzten wir uns in die Hotelbar und holten auch unsere Reiseleiter und unseren Fahrer hinzu und die Rechnung ging auf. Es wurde eine lockere Runde und Herr Kim hatte wohl mehr Durst, als er eigentlich hätte haben dürfen.
Di. 27.03. 17:30 - Demokratische Volksrepublik Nordkorea vs Hongkong 2:0 (Qualifikation zur Asienmeisterschaft), 32.000 Zuschauer (30 Gäste)
Trotzdem sah er im Anzug mit Hemd und Krawatte am Morgen wieder aus, wie aus dem Ei gepellt. Auf Daniels Frage, wie er das hin bekommt, da Asiaten ja eigentlich Alkohol nicht so gut vertragen, gab er nur kurz zu Protokoll: "Ich bin abgehärtet".
Heute war also Matchday, aber vorher gab es natürlich noch ein ordentliches Programm. Zunächst war Metro-Fahren angesagt. Pyongyang wird in einem diagonalen Kreuz von zwei Linien durchzogen. Die Rolltreppe in den Untergrund war definitiv eine der längsten, die ich je genutzt habe. Dauerte ja ein halbes Jahr, bis man endlich am Gleis stand. Die Stationen sind prunkvoll ausgestaltet, so wie man es aus den ex-sowjetischen Städten Europas kennt. Die Wandgemälde behandeln Heldentaten von Führern und Bürgern. Betrieben wird das System mit alten Ost-Berliner U-Bahn-Zügen. Fünf Stationen durften wir mitfahren, wurden von den Koreanern teils verstohlen gemustert und teils sahen sie durch uns hindurch, als ob wir gar nicht da wären. Würde mich mal interessieren, wie die detaillierte Ansage der Regierung zum Umgang mit Ausländern lautet. Offenheit steht jedenfalls nicht auf der Agenda.
Am Triumphbogen krabbelten wir wieder ans Tageslicht. Fettes Teil. Und es wird natürlich stolz darauf hingewiesen, dass das Bauwerk drei Meter höher ist, als das Pariser Vorbild. Mit dem Fahrstuhl fuhren wir in einer der Säulen nach oben und dann hat man von der Aussichts-Plattform aus 60 Metern Höhe einen guten Ausblick über die Stadt. Der Triumphbogen befindet sich nur gute 200 Meter vom ‚Kim-Il-Sung-Stadion‘ entfernt, so dass man von oben eine exzellente Foto-Position hatte. Absolut nichts deutete übrigens daraufhin, dass am späten Nachmittag ein wichtiges Länderspiel angepfiffen werden sollte. Der nächste Anlaufpunkt war das ‚May Day Stadion‘, welches ja mit angeblich 150tsd Plätzen das größte Stadion der Welt sein soll. Das zugegebenermaßen riesige Rund ist ein All-Seater und vom Innenraum lässt sich dann relativ schnell überschlagen, dass eher 110-115tsd Menschen Platz finden. Aber lassen wir den kleinen Nordkoreanern mal den Spaß. Sollen sie sich halt vormachen, dass es ‚the biggest one‘ ist. Von außen ist die Architektur schon schwer beeindruckend. Wie eine fette Spinne sitzt die Dachkonstruktion über dem Stadion. Hier trafen wir erstmalig mit zwei andern Deutschen zusammen, die uns schon auf dem Hinflug von Beijing aufgefallen waren und sich als Dortmunder zu erkennen gaben.
Nach dem Mittagessen, einem koreanischen Fondue fuhren wir wieder zum ‚May Day Stadion‘. Hinter diesem liegt die nationale Fußballschule des Landes, die nicht anders funktioniert als ein europäisches Fußball-Internat. Vom Schulleiter, einem älteren, leicht adipösen Mann mit dem Aussehen der Sorte ‚pädophiler Kinderschänder‘ wurden wir durch die Räume geführt, wo auch vor laufenden Unterrichtsstunden nicht halt gemacht wurde. Wie einer der Dortmunder es passend formulierte: „Der sieht nicht aus, als ob er denen was beibringt, sondern als ob er sich an ihnen vergeht“. In den Klassenräumen wurden dann junge Schüler ‚vor die Kamera‘ gezerrt, die irgendetwas erzählen mussten. War den Rotzigen sichtlich genauso unangenehm wir uns. Zu allem Überfluss waren für diese Vorstellung auch die etwa 30 Hongkong-Fans, alle im Alter zwischen 20 und maximal 30 Jahren, zu uns gestoßen, die das Elend komplettierten. Hongkong-Chinesen bleiben halt Chinesen und der Chinese an sich, hat einfach ausgesprochenes Talent dafür, unangenehm aufzufallen.
Ich sage es immer wieder – wir Europäer können uns glücklich schätzen, dass nur ein Bruchteil der beinahe 1,4 Mio Chinesen genug Kohle hat um zu reisen, sonst hätten wir diese Plage überall um uns rumrennen. Schlimmer ist da nur der Inder, der es tatsächlich schafft, noch unter dem Chinesen zu stehen, aber da verhält es sich hinsichtlich der Vermögensverhältnisse ja zum Glück genauso. Indien ist auch so ein Land, dass ich mit hoher Wahrscheinlichkeit nie besuchen werde und wenn dann nur auf der Durchreise, um den Länderpunkt mal eben blutig einzusacken, was ja eigentlich gar nicht meiner Philosophie entspricht. Ich zweifle ja gar nicht daran, dass Indien kulturell hochinteressant ist, aber ein Land, in dem sich ein Großteil der Leute mal eben zur Darmentleerung in den Rinnstein setzt, brauche ich einfach nicht. Und dann stellt sich mir noch die Frage, warum der Inder an sich auch eine ganz eigene Vorstellung vom Anstehen hat. Habt ihr das schon mal gesehen oder beobachtet? Die stehen in einer Reihe dermaßen dicht an dicht, dass Körperkontakt zum Vordermann besteht. Liegt es daran, dass es im eigenen Land so viele Menschen gibt, dass man dem anderen zwangsläufig immer unmittelbar auf der Pelle hängt? Aber ich schweife ab. Die Veranstaltung in der Fußballschule endete mit einem Besuch der Kunstrasen-Kleinspielfelder, wo man die Gelegenheit bekam, sich mit den kleinen Koreanern und Koreanerinnen ein paar Bälle zuzupassen, aber da hielt ich mal lieber dezent im Hintergrund… bekamen die Hongkong-Fuzzis schon ganz allen hin, sich ordentlich zum Panda-Bären zu machen.
Weiter ging es zum Denkmal der Arbeiterpartei, offiziell ‚Monument zur Gründung der Partei der Arbeit Koreas‘, einem wuchtigen Gebilde der Elemente des von Kim Il-Sung natürlich höchstpersönlich entworfenen Partei-Symbols. Eigentlich hatten und haben die Nordkoreaner ja ein bequemes Leben. Alles, was Verantwortung erfordert, liegt irgendwie in Händen des jeweiligen großen Führers, das einfache Fußvolk muss sich irgendwie nie um etwas kümmern… Entworfen wurde das Monument dann natürlich selbstredend von Il-Sungs Sohnemann Kim Jong-Il himself.
Klar, wer auch sonst wäre dazu in der Lage gewesen, da musste der Ober-Mokel schon persönlich ans Zeichenbrett. Vermittelte uns zumindest unser guter Onkel Kim. Das Partei-Emblem besteht aus Hammer, Sichel und Pinsel, welche Arbeiter, Bauern und Intelligenz symbolisieren sollen. 50 Meter hoch ist das Denkmal, hinter dem sich symmetrisch errichtete Häuserblöcke auftürmen. Dem Partei-Denkmal in weiter Entfernung gegenüber sieht man auf der anderen Fluß-Seite das Mansudae-Monument mit den beiden großen Bronze-Statuen. Die gesamte Schneise dazwischen ist nicht bebaut, so dass vom jeweiligen Standort der Blick auf das andere Monument frei ist. Da hat sich doch tatsächlich einer was bei der Platzauswahl gedacht. Kann eigentlich nur das alte Schlitzohr Kim Jong-Il gewesen sein, dem dieser geniale Schachzug in den Sinn kam.
Letzter Tagesordnungspunkt vor dem Tour-Ziel war der ‚Turm der Chuch’e-Ideologie‘, der direkt am Taedong-Fluss gegenüber des Kim-Il-Sung-Platzes liegt. 170 Meter hoch ist die Granit-Nadel auf der eine stilisierte Flamme thront. Zu Füssen des Turms steht eine Bronze-Skulptur, die das Partei-Emblem mit je einer Person der zugehörigen Gruppe (Arbeiter, Bäuerin, Intellektueller) darstellt. Kurze Erläuterung zur ‚Chuch’e-Ideologie‘, soweit ich die Worte von Onkel Kim richtig in Erinnerung habe. Erst mal klar, dass die Ideologie von the one and only Kim Il-Sung entwickelt wurde. Chuch’e soll eine weiterentwickelter Form des Marxismus-Leninismus sein und weicht dahingehend ab, das die Interessen des eigenen Landes über denen des internationalen Kommunismus stehen. Die drei Säulen auf denen diese Anschauung fußt, sind politische, wirtschaftliche und militärische Unabhängigkeit. Nun, alle drei Thesen werden von der Demokratischen Volksrepublik Korea ja äußerst erfolgreich umgesetzt. Weiter soll sich gemäß Chuch’e das Individuum den Interessen des Volkes unterordnen, welches aber durch einen souveränen Führer zu leiten ist. So ungefähr müsste das stimmen, wenn ich nicht irre. Details bekomme ich nicht mehr zusammen, aber da bietet das Internet ja sicher genügend Erläuterungen.
Nun wurde es Zeit für Fußball. Nur eine kurze Fahrt war es zum ‚Kim-Il-Sung-Stadion‘, wo nun deutlich mehr los war, als am Vormittag. Durch das ganze Gewusel leitete uns Onkel Kim zum richtigen Eingang. Nirgendwo wollte jemand ein Ticket von uns sehen, was verhinderte, dass es ein- oder durchgerissen wurde. Anders erging es den Dortmundern,
die kurz nach uns eintrafen und nur noch die Hälfte der Zutrittsberechtigung in der Hand hielten. Deren Reiseleiter war mächtig erstaunt, dass wir so durchgerutscht waren und von ihm darauf angesprochen konterte Herr Kim „Ich bin eben ein alter Hase“. Das alles spielte sich vor dem Getränkestand ab, wo uns Herr Kim beim Bier-Erwerb behilflich sein wollte aber die einzig vorhandenen Dosen lehnte er mit verächtlichem Blick und der Bemerkung „Das ist chinesisches Zeug. Das wollen wir nicht!“ ab. Geiler Typ. Wir nahmen dann schon mal unsere Plätze im Ehrenbereich ein, wo wir auch erstmalig auf die Gruppe um die Regensburger trafen. Diese wussten zu berichten, dass es während ihrer Tour einige – offenbar selbst verschuldete – Reibungspunkte gab. So gesehen hatten wir also alles richtig gemacht. Auf der Ehrentribüne befanden sich insgesamt gut und gerne 50 Ausländer aus allen möglichen Nationen. Irgendwann tauchte Herr Kim dann mit großen Tüten auf und zauberte nordkoreanisches Bier in 1,2-Liter-Kunststoffbomben hervor. Großartig.
Na denn Prost, eine je Halbzeit stand zur Verfügung, das sollte für’s erste reichen. Das ‚Kim-Il-Sung-Stadion‘ wurde in den 20er Jahren erbaut, bietet heute 50tsd Menschen Platz und besteht aus zwei Rängen, die durch einen breiten Umlauf voneinander getrennt sind. Beim Blick ins weite Rund, dominierten die Farben Grau, Schwarz und Olivgrün. Letzteres haftete den gewöhnlichen Tellermützen-Trägern am Leib, die im direkt benachbarten Block zahlreich vertreten waren. Der gewöhnliche Nordkoreaner an sich zeigt sich dann auch richtig kreativ hinsichtlich seines Outfits. Mir war gar nicht klar, dass es so viele unterschiedliche Grau-Töne gibt. Lediglich die wenigen weiblichen Zuschauer sorgten für zaghafte Farbkleckse in der oliv-grauen Einheitswand. Laut Onkel Kim handelte es sich bei den ‚normalen‘ Zuschauern überwiegend um Studenten. Ich interpretiere das mal so: Fußball scheint in Nordkorea nicht so den Wahnsinns-Stellenwert zu genießen. Das Regime weiß aber natürlich welche Aufmerksamkeit der Fußball in der Welt genießt. Da vermutlich keine 10tsd Zuschauer zum Spiel gekommen wären, werden Armee-Diener und Studis zum Spiel beordert, damit man der Welt-Öffentlichkeit ein einigermaßen volles Stadion präsentieren kann. Sofern Bilder nach außen finden. Damit auch ein wenig Stimmung aufkam, wurden einige auffällig gekleidete ‚Capos‘auf die Balustrade zum Spielfeld beordert, welche die Anfeuerungen gestenreich koordinierten. Northern Korea Ultra-Style! Die Armee-Fuzzis waren außerdem mit goldglänzenden Papiertrichtern ausgestattet, die in Kombi-Funktion als Klatschpappe, Sprachrohr und Choreo-Element benutzt werden konnten. Um es kurz zu machen – die einzige Person im ganzen Stadion, die ehrliche Emotionen zeigte, war unser Herr Kim. Er litt bei den vergebenen Chancen in der Anfangsphase fürchterlich, rastete bei den beiden Treffern in der ersten Hälfte nahezu völlig aus und sprang seinem Vordermann fast in den Nacken. Nach seiner Aussage, ist er großer Fußball-Fan, spielt noch selber mit Freunden ein Mal in der Woche und natürlich kann man auch die großen europäischen Ligen im staatlichen Fernsehen der Demokratischen Volksrepublik Korea frei verfolgen. Aber sicher doch….!
Die Tickets für das Spiel waren nicht im Agentur-Paket enthalten und damit wird dann auch schöne Abzocke betrieben. Durch die Agentur war kommuniziert, dass es 50 Euro pro Nase kosten sollte. Bezahlt haben wir dann aber nur 30 Eusen, während Reisegruppe Regensburg an ihren Veranstalter – deren beauftragte Agentur arbeitet mit einem anderen koreanischen Partner zusammen, als die unsrige, wobei mich ja schon wunderte, dass es mehr als einen koreanischen Veranstalter gibt und nicht alles gebündelt ist, um es für den Staat einfacher kontrollierbar zu machen – eben doch jeweils 50 Euronen berappen musste.
Da wird also wohl ordentlich in die eigene Tasche gewirtschaftet. Laut Onkel Kim kostete ein reguläres Ticket für die nationale Bevölkerung umgerechnet knapp 50 Cent. Das Spiel begann also wenig überraschend mit Einbahnstraßen-Fußball in Richtung Hongkong-Schnapper. Ein Remis hätte den kleinen Koreanern gereicht, aber dieses über 90 Minuten sichern zu wollen, haben schon prominentere Teams vergeigt. Hongkong hätte einen Sieg mit zwei Toren Unterschied benötigt, um an den Nordkoreanern vorbeizuziehen. Wie bereits erwähnt klingelte es in Hälfte eins zwei Mal im Hongkong-Kasten und die kleinen Nordkoreaner traten derart dominant auf, dass mit dem Pausen-Tee dann auch klar war, dass wohl nicht mehr viel anbrennen konnte.
Die Hongkong-Indianer hätten sich auch nicht beschweren dürfen, wenn sie doppelt so hoch hinten gelegen hätten. Im zweiten Durchgang nahmen die kleinen Nordkoreaner dann das Tempo raus und dadurch kamen die Gäste etwas besser in die Partie, konnten dieser aber nicht im Ansatz eine Wende verpassen. Für Hongkong kicken übrigens ein gutes halbes Dutzend eingebürgerte Portugiesen, Spanier und Angehörige anderer Nationen mit, die aber auch nichts ausrichten konnten. Die 30köpfige Anhängerschaft des Gäste-Teams feuerte ihre Idole übrigens mit ein paar Unterbrechungen während der gesamten Spielzeit mit Sprechchören im Kindergarten-Stil kritiklos an und freute sich am Ende brav über das Ausscheiden. Chinesen halt. Damit war es dann auch Zeit fürs Abendessen, dass wir nicht weit vom Stadion in einer Ecke mit modernen Wohn-Türmen einnahmen. Dieser Teil der Stadt war hell erleuchtet. Es war auch gut was los auf den Straßen und es fuhren viele Fahrzeuge. Eigentlich wirkte Pyongyang auch hier wieder wie eine völlig normale Großstadt. Absurd war dagegen die Information von Kimmi, dass in diesem Stadtteil ausschließlich Akademiker und Wissenschaftler wohnen, die für ihre hervorragenden Leistungen mit modernen Wohnungen belohnt werden. Der Abend klang dann zu sechst in der Hotelbar aus, in die Szczepan und wir beide unseren Herrn Kim, Frau Ro und Fahrer Herrn Jong noch auf ein paar Getränke einluden.
Mi 28.03. – Ausreise nach China
Die Abfahrt zum Bahnhof war auf 9:00 angesetzt. Das Hotel wirkte an diesem Morgen sogar mal wie ein ganz normales Hotel. Neben uns waren auch Reisegruppe Hongkong und noch weitere Gäste im Haus. Am Bahnhof stand die Verabschiedung von unseren drei Korea-Kanonen an. Hätte nicht viel gefehlt, dann hätten wir unseren kleinen Herrn Kim noch in den Arm genommen, so war er uns mittlerweile ans Herz gewachsen. Die Verbindung Pyongyang-Beijing wird vier Mal die Woche betrieben. Abwechselnd werden chinesische und koreanische Züge eingesetzt, der unsrige war ein koreanisches Modell. Erst einmal gab es Stress mit unseren Plätzen.
Die Abteile waren Schlafwagen-Etablissements der Sorte ‚Holzklasse’ mit drei Liegen auf der rechten und drei Liegen auf der linken Seite. Zugegebenermaßen war die Beschreibung der Plätze an der Abteil-Tür etwas irreführend und so saß auf unserer unteren Liege schon mal ein dicker, fetter Asiate, wie sich später herausstellte, ein Taiwanese. Auf der anderen Seite hatten sich der circa 17jährige genauso fette Sohn und die ungefähr 15jährige einzig normal wirkende Tochter breit gemacht. Vatter Fettsack schnallte jedenfalls überhaupt nicht, dass er sich auf die andere Seite zu verpissen hat, sondern beharrte offenbar darauf, dass er richtig sei, egal wo er seinen schmalzigen Taiwan-Arsch platziert hatte. Selbst als unser Kumpel Kim den Wagon enterte und ihm vermittelte, wie der alte Hase läuft, brauchte er minutenlanges Zureden, bis er die Sachlage realisierte und begriff, dass ein Abteil mit sechs Liegen eben nicht nur für drei Leute da ist. Die Nummer wurde durch ihn dann noch veredelt, in dem er in Stadionsprecher-Lautstärke über die Freisprech-Funktion seines Telefons mit seiner Frau kommunizierte. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, wurde die Konversation nach Beendigung des Anrufes mit Sprachnachrichten fortgesetzt. Kennt Ihr das, wenn man einem Typen, der einem gar nicht direkt was getan hat, am liebsten richtig was vor den Kopp hauen möchte, einfach weil er ist, wie er ist, weil er spricht, wie er spricht und weil er aussieht, wie er aussieht?! Das war hier mal wieder ein Parade-Beispiel und am liebsten hätte ich das auch in die Tat umgesetzt. Auch der Taiwanese ist halt ein Chinese, da lässt sich nicht viel dran ändern.
Nach etwa zwei Stunden Fahrt hatten wir einen ungewöhnlich lang erscheinenden Stopp auf einem Nebengleis der ansonsten eingleisigen Strecke.
Nach fast einer Stunde passierte uns dann ein etwas speziell aussehender Zug mit verdunkelten Scheiben. Szczepan sagte noch scherzend „Looks like Airforce One“ und nach Ankunft in Beijing erfuhren wir dann ja von Kim Jong Uns Spontanbesuch im Reich der Mitte, den er mit dem Zug absolviert hatte.
‚Bild online‘ hatte ja auch direkt Fotos des Zuges parat und da erschloss sich dann die ganze Sache. Man hatte uns mal eben aufs Abstellgleis geschoben, damit der geliebte Führer in Ruhe passieren konnte. Hätt man es mal gewusst, vielleicht wäre ein Autogramm-Wunsch erfüllt worden. Die bei gemächlichem Tempo ablaufende Fahrt ermöglichte uns noch einmal einen Blick auf karge Landschaft und Ackerbau mit einfachsten Mitteln. Da es ja noch früh im Jahr war, gab es im Landschaftsbild auch nicht annähernd mal einen grünen Punkt, so dass Nordkorea leider einen sehr tristen Eindruck vermittelte. Es wurde auch offenbar, dass es außerhalb der Hauptstadt kaum Industrie gibt. Nur zwei oder drei vor sich hin gammelnde Werke konnten bis zur Grenze gesichtet werden. Diese kündigte sich mit der am Horizont im Dunst auftauchenden Skyline von Dandong an, die unter anderem von einer neuen großen den Grenzfluss Yalu überspannenden Brücke dominiert wird. Diese wurde vor vier Jahren fertig gestellt und hat die Besonderheit, dass sie auf koreanischer Seite ins Nichts führt. Es gibt keinen Straßenanschluss, das sieht in der Satellitenansicht auf Google Maps schon interessant aus. Mittlerweile haben chinesische Investoren beschlossen, für die nötige Infrastruktur zu sorgen. Die Ausreise-Prozedur nahm beinahe eineinhalb Stunden in Anspruch und das obwohl entgegen der Ansage weder das Gepäck noch Kameras, Laptops oder Tablets auf nicht erwünschte Fotos gecheckt wurden. Prinzipiell war es wie bei der Einreise – eine ganz normale Grenzabwicklung, nur etwas chaotisch organisiert. Damit endete das Abenteuer Nordkorea, was gar nicht so wirklich eins war. Großartige Gedanken um etwaige Probleme hatte ich mir eh nicht gemacht, aber dass es so absolut entspannt und unkompliziert beinahe ohne Einschränkungen ablaufen würde, hätte ich nun auch nicht erwartet.
Durch diese Verzögerung und das zwischenzeitliche Warten auf den geliebten Führer, war unser Zeitpolster bis zum Abflug nach Beijing ziemlich zusammengeschrumpft. Beinahe halb sechs war es nun und der Flieger ging um kurz nach sieben. Nach Anhalten des Zuges dann mit als erste zur Passkontrolle gestürzt, Einreisekärtchen ausgefüllt und durch. Die Zeit, uns vernünftig von Szczepan zu verabschieden nahmen wir uns noch, Kontakte wurden natürlich ausgetauscht und einen Besuch beim Krakow-Clasico in der nächsten Saison verabredet und dann schleunigst mit dem Taxi zum Airport. 100 Yuan sagte unser Kutscher an, also etwa zwölf Euro, verbunden mit dem Hinweis, dass dieses ein fester Airport-Tarif sei. Klang schwer nach Ripp-off, wussten wir aber nicht und vor allem lag uns daran, den Flieger zu erreichen. Die Sorge war dann unbegründet, denn eine knappe Stunde vor dem Take-off kamen wir am fast verwaisten Flughafen an, von dem nur noch ein weiter Abflug an diesem Abend ging. Air China brachte uns mit etwas Verspätung nach Beijing, wo wir gegen halb zehn landeten. Dann wieder mit dem Airport-Train bis ‚Dongzhimen‘, von dort mit der Metro zum ‚Spring Time Hostel‘ nach ‚Dongsi‘. Die Unterkunft stellte sich als halbwegs zufriedenstellend heraus. Da sich der Magen meldete, wurde der Einfachheit halber das schräg gegenüber liegende amerikanische Schnellrestaurant mit den goldenen Bögen angesteuert. Die Automaten für die Selfservice-Bestellung waren 'Out of order', also bestellten wir an der Theke ein Menü. Dort wurde uns mitgeteilt, dass es keine Pommes mehr gäbe. Als ob das nicht schon Witz genug wäre, schnallte der Trottel es nicht, dass wir trotzdem zumindest eine Cola haben wollten und schaute uns an wie ein Panda. Also wenn man schon zu blöd ist, um bei McDonalds an der Kasse zu arbeiten, sollte man sich mal grundsätzlich hinterfragen. Der Chinese an sich, ist halt manchmal einfach nicht der Hellste. Ab ins Bett.
Do. 29.03. – Die Chinesische Mauer
Um kurz nach neun starteten wir die Mission Mauer. Um ein wenig Geld zu sparen, verzichteten wir auf die Buchung eines Touri-Angebotes und nahmen stattdessen von ‚Dongzhimen‘ den Bus 916 bis Huanrei, was etwas mehr als eine Stunde dauerte. Von dort wollten wir eigentlich auch mit einem anderen Bus weiter, aber es war nicht ersichtlich wie oft dieser fuhr und die mühsame Kommunikation mit den Passanten schien zu bedeuten, dass es nur zwei oder drei Mal am Tag eine Verbindung gibt, so dass wir den Pakt mit dem Teufel eingingen und der Taxi-Mafia nachgaben. Die nach etwas Feilscherei ausgehandelten 40 Yuan erübrigten dann auch jeden Zweifel. Es gibt verschiedene Spots an der Mauer. Der am meisten überlaufene ist wohl Badaling, daher entschieden wir uns auf Empfehlung von LEV-Sup Daniel und nach Internet-Recherche für Mutianyu, wo alles etwas gemächlicher zugehen sollte. Das ist dann relativ, denn um das Besucherzentrum herum hat sich die übliche Sightseeing-Industrie mit Shops und Restaurants angesiedelt. Viel los war allerdings wirklich nicht, wohl weil wir an einem Werktag dort waren. Wenn am Wochenende auch der Chinese an sich auf die Idee kommt sein Wahrzeichen zu besuchen, dürfte es etwas kuscheliger werden. Der Shuttle-Bus zur Seilbahn kostete 15, die Seilbahn selber 120 und der Mauer-Eintritt 45 Yuan, so dass man also mit insgesamt 22 Eusen dabei ist. Knapp 22tsd Kilometer Länge sollen alle Mauerabschnitte gemäß
der chinesischen Kulturbehörde umfassen, was etwa der Entfernung von Algier nach Kapstadt und zurück entspricht. Die Mauer hatte in früheren Epochen den Zweck, das chinesische Volk vor den Nomaden-Kriegern aus den nördlichen Regionen schützen sollten. Es gibt nicht eine durchgehende Mauer, sondern mehrere Mauerteile, die durch natürliche Barrieren ergänzt wurden.
Es gibt nicht eine durchgehende Mauer, sondern mehrere Mauerteile, die durch natürliche Barrieren ergänzt wurden. Drei Stunden liefen wir in aller Ruhe auf der Mauerkrone entlang, wobei vor allem das letzte bewältigte Stück, ein treppenartig angelegter Teil mit bestimmt 30 oder 35% Steigung bei warmer Witterung einiges abverlangte. Dafür konnten wir dann ein ‚Gipfelbier‘ genießen, dass wir von unten mit hochgebracht hatten. Ist schon ein sehr beeindruckender Ort, welcher durch die Gebirgslage untermalt wird. Interessant war es auch zu beobachten, wer sich alles die steile Mauer hochquälte. Von alt bis dick war alles dabei, aber es gab keinen, der sein Ziel am Ende nicht erreichte. Scheint besondere Kräfte freizusetzen, das Mäuerken. Wieder unten angekommen erwischte uns zufällig derselbe Taxi-Fahrer wieder und brachte uns nach Huanrei zur Bushaltestelle zurück. Der Bus spuckte uns wieder am Dongzhimen-Busbahnhof aus. Und dann geschah es! Ein junges Mädel, dass vor uns her lief, musste ihren Rucksack gerade rücken und stellte dafür den Sack Reis, den sie in der linken Hand trug ab. Dieser fiel um!!! Welch ein prägendes Erlebnis! Wir waren gleichermaßen beeindruckt und gerührt, dass wir Zeuge dieses atemberaubenden Ereignisses werden durften, von dem die Welt schon immer gesprochen hat, und lagen uns weinend vor Freude in den Armen. Es war ein Sack Reis in China umgefallen! Es war ja nun schon später Nachmittag, also Zeit, mal langsam an die Flasche zu kommen und so gammelten wir mit ein paar kühlen Getränken bewaffnet etwas im Zimmer herum. Das Abendessen ließen wir mit einem Barbecue über uns ergehen und dann ging es auch wieder zurück zur Unterkunft, da der Tag unsere untrainierten Körper etwas ausgelaugt hatte.
Fr. 30.03. 19:35 – Tianjin Quanjian FC vs Guangzhou Evergrande Taobao FC 0:1 (Chinese Super League), 23.099 Zuschauer (130 Gäste)
Halb neun standen wir auf, mit dem Vormittags-Ziel Mao-Mausoleum. Dieses befindet sich im südlichen Bereich des ‚Tian’anmen-Platz‘, des ‚Platz des himmlischen Friedens‘, der wiederum südlich der verbotenen Stadt liegt, die das Zentrum der Metropole bildet. Beijing, Hauptstadt der Volksrepublik China, ist nicht auf das Stadtgebiet begrenzt, sondern eher eine Provinz und genießt auch denselben Rang. In der gesamten Region leben knapp 22 Mio Menschen, der dicht bebaute Ballungsraum wird von 13 Mio Menschen bewohnt. Das sind einfach Dimensionen in China, die den Deutschen an sich erst einmal nur staunen lassen.
Schön ist das zwar alles nicht, weil man zwangsläufig in die Höhe wohnt, was ja durchschnittlich 25 bis 30 und noch mehr Stockwerke bedeutet. Aber anders geht es ja auch nicht. Wenn man eine Häuserstruktur wie in Westeuropa hätte, würden die bebauten Flächen ja gigantische Ausmaße annehmen. Mit der Metro ging es also zum ‚Tian’anmen‘. Gar nicht bedacht hatten wir, dass es möglicherweise Sicherheitskontrollen geben könnte. Gab es nämlich, was eine ziemliche Wartezeit in Anspruch genommen hätte. Das war nix für mich. Also Daniel aus der wartenden Meute gezogen und direkt den Weg zur Südseite des Platzes eingeschlagen, wo an den Checkpoints dann in der Tat deutlich weniger los war. Gebracht hat das zeitlich wohl nix, weil wir einen riesigen Bogen um das Regierungsviertel machen mussten. Aber ich bin ja lieber in Bewegung und verliere dabei ein wenig Zeit, als dass ich ewig rumstehe. Ich bin ja auch so ein Mensch, der die Autobahn bei einem Stau verlässt und diesen umfährt, was ja in den seltensten Fällen etwas bringt, sondern meist dazu führt, dass man alle noch einmal überholen muss. Bin halt irgendwie ohne Geduld auf die Welt gekommen. Am Eingang zum Mausoleum gab es dann Probleme, da man mich mit meiner Digi, einer ganz normalen kleinen Lumix TZ41, nicht hinein ließ. Ich hätte ja schließlich Fotos von der Gummi-Puppe machen können. Kann man ja mit seinem Smartphone, das jeder Hansel mit sich rumschleppt, nicht. Chinesen-Logik halt. Allerdings bekommen ja auch andere Nationalitäten solche Sinnlos-Bestimmungen hin. Also ging erst Daniel durch die bescheidene Hütte, nahm dann die Kamera an sich und dann marschierte ich da durch. Auch nicht anders als damals im Ho-Chi-Minh-Mausoleum und der vermeintliche Mao-Leichnam sieht auch genauso unecht aus wie der von Onkel Ho. Ich vertrete ja eh die These, dass in den Mausoleen dieser Welt nicht die echten glorifizierten Herrscher liegen, sondern Madam Tussaud da einige Aufträge ausgeführt hat.
Der nächste Auftrag unterlag nun höchster Dringlichkeit. Mein Innereien durchlebten seit dem Aufstehen unruhige Zeiten und durch die Rumrennerei, hatte sich meine Darmtätigkeit nicht beruhigen können. Ein öffentliches WC war schnell gefunden, die Behinderten-Abteile verfügen auch immer über eine westliche Toilette, aber Papier gibt es in den Dingern ja auch nie. Bis da mal der Toiletten-Wächter gefunden und Papier beschafft war, wurde es auch höchste Eisenbahn und erleichtert konnte ich danach wieder den ‚Tian’anmen-Platz‘ betreten. Auf 40 Hektar können sich bis zu einer Millionen Menschen versammeln. Nördlich begrenzt das ‚Tian’anmen‘, das ‚Tor des himmlischen Friedens‘ den riesigen Platz, im Süden das Mausoleum. Im Osten und Westen stehen das Nationalmuseum und die ‚Große Halle des Volkes‘ und zentral auf dem Platz befindet sich das Denkmal zu Ehren der Helden des Volkes. Wir fuhren zurück zum Hostel, ruhten uns kurz aus, und begaben uns dann eine Viertelstunde zu Fuß zum Treffpunkt mit Reisegruppe Regensburg. Ich hatte schon vor der Tour mit Moritz vereinbart, dass wir für das Spiel in Tianjin ein gemeinsames Shuttle machen und er war so freundlich, sich darum zu kümmern.
Um 14.00 Uhr ging es los, drei weitere Leute wurde eingesammelt und insgesamt benötigten wir dann schon gute drei Stunden für die 150 Kilometer. Dauert halt bis man aus Peking erst einmal raus ist und das Stadion des Quanjian FC liegt weit im Südosten der 7 Mio-Hafenstadt. So konnte man während der Fahrt mal einige Eindrücke außerhalb der Großstädte sammeln.
Es wirkt alles zehn mal so groß wie in Europa. Auf offenem Land sieht man immer wieder Wohnsiedlungen, die aus 30-stöckigen Blocks bestehen und einfach irgendwo ins Nirgendwo gepflanzt wurden. Viele davon sind noch im Bau, teilweise zehn, zwölf, fünfzehn Blöcke, die gleichzeitig von Dutzenden Kränen umringt, in die Höhe gezogen werden. Gigantische Baustellen sind das. Um 17:00 Tianjin kamen wir am Stadion an. Dort wurde zunächst die Karten-Frage geklärt. Da es an den Stadien keine Kassen gibt, muss man sich mit der Ticket-Mafia auseinandersetzen. Marco aus Berlin löste das sehr gut und zum Preis von je 88 Yuan erhielt jeder das gewünschte Stück Papier. Da nun noch massig Zeit war und das Stadion recht weit von den nächsten Wohnhäusern in einem Universitäts-Viertel liegt, setzte ich mit mit Daniel auf der Suche nach ein paar Überbrückungsgetränken von der Gruppe ab. Als wir in eine kleine Nebenstraße abbogen, tauchten wir dann zufällig ins echte China ab und standen mitten auf einem kleinen Food-Market, wo allerlei Essbares - oder für unsere zarten germanischen Gaumen weniger Essbares - zusammen gebrutzelt wurde. Leider verbot mir der Zustand meines Verdauungstraktes das Test-Essen, was ich ja sonst gern schmerzfrei mache. In der allerletzen Schmierbude ließen wir uns dann nieder, um noch zwei, drei Brau-Hülsen leerzuschlürfen, bevor wir den Rückweg zum ‚Haihe Educational Stadium‘ antraten.
Dieses ist ein großes rundherum überdachtes Oval für 30tsd Zuschauer. Allerdings befinden sich nur auf den Geraden Tribünen. Hinter den Toren gibt es keinen Ausbau, lediglich einen Umlauf. Vor Spielbeginn wurde zur Vereinshymne eine recht geschlossene Schalparade gezeigt. Beim Einlauf der Teams schnellte dann eine Blockfahne in die Höhe.
Nichts Spannendes, aber besser als nix und eigentlich mehr als erwartet wurde. In vielen Ultra-lastigen Magazinen würde nun wieder auf der einfachen Nummer rumgehackt und dass der Knaller-Effekt fehlte und man es dann lieber ganz bleiben lassen sollte. Davon halte ich wenig. Klar war das nichts Wildes, aber sollen sie doch machen. Diese fortwährende Höher-Schneller-Weiter-Mentalität nervt mich eigentlich nur noch! Was soll es denn noch geben? Das Choreo-Rad wird nicht neu erfunden und irgendwann ist auch jedes Stilelement und jeder Ablauf ausgereizt. Ist mir ein Rätsel wie man sich auf diesen "Unsere Choreo war origineller"-Schwanzvergleich so ein Reisen-Ei pellen kann. Da hat eine Wettbewerbsspirale eingesetzt, die von Fraktion Ultra wohl nicht mehr zu stoppen ist und mit der ich nichts anfangen kann. Aber das ist halt auch nicht meine Generation. In meiner aktiven Kurvenzeit ging es noch darum, seine Mannschaft knackig mit brachialen und prägnanten Schlachtrufen und knappen Gesängen so laut wie möglich nach vorn zu schreien. Diese Lalalawirsindsotollundfahrenüberallhin-WerhatdenLängsten-Gesänge verfehlen diese Wirkung und wenn man Kreativität einer Kurve über die Choreo und die kompliziertesten vielstrophigsten Gesänge definiert, die der normale Fan mangels Text-Kenntnis kaum noch mitsingen kann, wodurch die Zahl der Aktiven schwindet und manche Kurve zum lauen Lüftchen degradiert wird, dann geht die Entwicklung nach meiner bescheidenen Meinung in die komplett falsche Richtung.
Ach sorry - ich schreib mich hier wieder in Rage. Ich freue mich einfach, wenn eine Kurve überhaupt irgendeine bescheidene Aktion bringt, die sich vom normalen Kurvenbild abhebt. Die kommenden Tage sollten zeigen, dass die Entwicklung hier eh erst ihren Anfang genommen hat. Aktuell scheint man noch in der Youtube-Phase zu sein, nimmt sich zunächst mal vieles vorrangig aus den europäischen Kurven an und ein eigener Stil ist erst im Ansatz zu erkennen.
Wie zum Bespiel das diszipliniert parallele Schwenken von großen in der ersten Reihe platzierten Fahnen. Bei Quanjian ist ja Ex-Effzeh-Held Anthony Modeste gelandet. Ein leuchtendes Beispiel, dass man in einem anderen Umfeld, erst recht in einer anderen Kultur und wenn man eben nicht ein absoluter Ausnahme-Könner ist, mit nur limitiert talentierten Mitspielern auch nichts wert ist. Eigentlich fiel er nur durch seine Hautfarbe auf, wird mit seinen vielleicht fünfzehn Ballkontakten aber deutlich mehr Millionen scheffeln als in der Domstadt. Kann man mal ein oder zwei Jahre machen, dann wird er eh wieder von dort verschwinden oder rausgeschmissen. Der zweite vermeintliche Star, der Belgier Axel Witsel, fiel auch nur durch seine Haarpracht auf. Evergrande bekam nach einer Viertelstunde einen Elfer zugesprochen, der vom Brasilianer Goulart (wer ist das?) mal sowas von in den vierten Stock gehämmert wurde, dass sie den Ball wahrscheinlich heute noch suchen. Die Partie war insgesamt unter aller Kanone und als nach fünf Minuten der zweiten Halbzeit Alan, der zweite Brasilianer der Gäste, den man ja zumindest aus seiner Zeit in Salzburg kennt, mit Rot unter die Dusche durfte, schienen die Zeichen für Quanjian gut zu stehen. Konjunktiv halt, denn nur wenige Zeigerumdrehungen später zappelte die Murmel im Netz der Gastgeber, die danach nicht in der Lage waren auch nur einen Furz von Gefahr auszustrahlen. Die Punkte fuhren also mit dem Gäste-Team nach Guangzhou und wir zurück nach Beijing, nachdem wir endlich einen nervigen Mega-Abfahrtsstau verlassen hatten. So waren wir erst nach Mitternacht zurück und total im Arsch vom langen Tag und ich zusätzlich von meinen Verdauungsproblemen.
Sa 31.03. 19:35 – Beijing Guoan FC vs Beijing Renhe 4:0 (Chinese Super League), 53.887 Zuschauer (1.000 Gäste)
Relativ ausgepennt standen wir nach 9:00 Uhr auf. Zunächst stellte ich wohlwollend fest, dass mich die Darm-Probleme nach einer guten Nacht offenbar verlassen hatten. In aller Ruhe ging es los zur ‚Verbotenen Stadt‘, die man nur über den ‚Platz des Himmlischen Friedens‘ betreten kann. Heute fuhren wir direkt zum Südeingang, querten den Platz und betraten die verbotene Stadt durch das ‚Tian’anmen', das 'Tor des himmlischen Friedens'. Für 15 chinesische Dinger enterten wir den ‚Gate Tower‘, von dem man einen guten Blick über den Platz hat.
Weitere 40 Yuan kostet der Eintritt in die Stadt, die dann nicht so flashte. Viel zu viele Menschen rannten dort herum, wobei ich denke, dass es noch schlimmer sein kann, und wenn man die ersten Hallen begutachtet hat, wird es dann relativ eintönig, da sich ja alles irgendwie wiederholt. Der chinesische Chinese an sich läuft ja auch völlig verplant durch die Gegend und schnallt gar nicht, wenn er jemandem vor die Füße rennt. Noch schlimmer ist das im normalen Straßenleben. 50 Prozent der Chinesen an sich schauen auf ihr Smartphone und befinden sich in einer eigenen Welt, das ist noch deutlich schlimmer als in Europa. Die ‚Verbotene Stadt‘, die so heißt, weil sie früher vom einfachen Volk nicht betreten werden durfte, war der ehemalige Palast der Kaiser, bis der letzte seiner Art durch die Revolution im Jahre 1911 gestürzt wurde und abdanken musste.
Durch den Nordausgang verließen wir die Stadt in der Stadt, bewaffneten uns mit einem Laufbier und legten den Weg zur Unterkunft in guten 40 Minuten zu Fuß zurück. Kohldampf war angesagt und wir latschten rüber zu einer schmierigen Enten Bäckerei - die Biester werden im Ofen gebacken, nicht gegrillt oder gebraten - die wir am Vortag entdeckt hatten und orderten für gute vier Euro einen 1 kg-Flattermann, den man mit Kopf bekommt. Auf Wunsch wurde das Vieh dann noch in kleine Teile zerteilt, der Kopf auch, und zum Verzehr zogen wir uns in die Unterkunft zurück. War dann gar nicht mal so lecker, aber da der Fett-Vogel sich nicht direkt auf die Durchreise machte, schien sich die Unterleibs-Sachlage weiter stabilisiert zu haben. Ein Stündchen gammelten wir noch rum und gurkten dann mit der Metro drei Stationen nach Norden zum Lama-Tempel, wo wir kurz nach 17:00 aufschlugen. Auf verschlossene Tempel-Tore schauend, fiel mir dann auch ein, dass ich von Öffnungszeiten bis halb fünf gelesen hatte. Egal, muss der Tempel halt damit klar kommen, dass er nicht von uns besichtigt wurde. Stattdessen schlurften wir eine Runde durch das gegenüber liegende Hutong-Viertel. Hutongs sind diese traditionellen, etwas verwirrend angeordneten, Viertel mit eingeschossigen Häuser-Bauten. In den größeren dieser Art, kann man sich sicher gut verirren. Leider verschwinden die Hutongs zu Gunsten der Ghetto-Neubauten immer mehr aus dem Stadtbild.
Zum 'Workers' Stadium' war es nur eine kurze Metro-Fahrt. Zunächst sollte mal die Ticket-Frage geklärt werden, zumal, je näher wir dem Stadion kamen, offensichtlich wurde, dass es knackevoll werden könnte. Ticket-Boxen gab es auch hier nicht, was nicht allzu sehr überraschte. Also war wieder die Versorgung über den alternativen Handelssektor notwendig. Anbieter gab es mehr als genug. Mal hier geschaut, mal dort gefragt, auf jeden Fall waren die Preise schon mal deutlich höher als am Vortag. Logo, bei diesem krassen Clasico! Letztlich schlugen wir bei Tickets der 180er-Kategorie zum originalen Preis zu.
Der Typ der Sektion Schmierlappen wollte für beide Tix insgesamt 600 Yuan haben, als wir uns wortlos umdrehten und weggingen, kam er hinterher gehechelt und widersprach unserem Gegenangebot nicht. Sicher wäre es mit Geduld noch ein paar Risibisi günstiger gegangen, aber wir hatten mehr Bock, uns mit ein, zwei Dosen Tsingtao auf einer Mauer niederzulassen, als uns in nervige Verhandlungen zu stürzen. Eine halbe Stunde vor dem Kick-off betraten wir dann mal das weite Rund, das 66tsd Menschen Platz bietet und schon ordentlich gefüllt war. Das Stadion besteht aus zwei Rängen, der obere ist weitestgehend rundherum überdacht. Der Blick in den Away-Sektor überraschte mich mit an die 900 bis 1.000 orange gekleideten Gästen. Damit hatte ich gar nicht gerechnet, denn Renhe ist für die Pekinesen ein unbedeutender Verein, der eigentlich gar nicht aus Beijing stammt,
sondern Mitte der 90er in Shanghai gegründet wurde. Nach diversen Umzügen fand sich der Club dann erst vor zwei Jahren in der Hauptstadt ein. Ziemliche Ami-Nummer das Ganze. Auf Heimseite waren satte vier aktive Gruppen auszumachen. Die Größte davon, auf der gegenüber liegenden Längsseite platziert, sollte später mit klassischem Oldschool-Support auf sich aufmerksam machen. In der Kurve hatte sich der Ultra-Pöbel der Youtube-Kategorie breit gemacht und außerdem zeigten sich noch zwei weitere, kleinere Gruppen im Stadion. Am sympathischsten waren mir letzlich die Ultras, die sich bei einer später gestarteten LaOla-Welle, dieser verweigerten. Recht so! Der Support kam aber nur in der Anfangsphase stark rüber. Zwar war vor allem Fraktion Ultra immer in Bewegung und supportete dauerhaft, aber die zu offene Bauweise des Stadions ließ die Gesänge großenteils entweichen. Das Spiel glich in seiner Weise dem des Vortages. Das Tempo war nicht das höchste, die einheimischen Spieler verzettelten sich zu oft in Einzelaktionen und es fehlte ganz klar die Präzision. Guoan kontrollierte die Partie von der ersten Sekunde an und steuerte einem ungefährdeten Derby-Sieg entgegen. Vier Mal rappelte es in der Kiste der Gäste und der Schnapper machte dabei auch nicht immer die glücklichste Figur. Mit einem Verteidigungsbier bewaffnet liefen wir zur Metro. Kurzes Nachtmahl und dann ging es schnellstens in die Waagerechte, da der Wecker früh klingeln sollte.
So 01.04. 15:30 – Shandong Luneng Taishan vs Guizhou Hengfeng Zhicheng FC 0:2 (Chinese Super League), 26.515 Zuschauer (80 Gäste)
Und zwar um halb sieben, denn um zwanzig nach sieben ging es los. Eine knappe Stunde brauchten wir mit der Metro zum Pekinger Süd-Bahnhof. Kurzes Frühstück unter dem goldenen M und dann musste der Security-Check zum Abfahrtsbereich absolviert werden, der dem an den Flughäfen gleicht, aber nicht ganz so penibel abläuft. Der etwas größer gewachsene Europäer an sich stößt sich dann an der für den Chinesen an sich aufgestellten Metall-Schleuse auch mal gerne den Kopf. Der Zug mit der Nummer G179 sollte uns in weniger als zwei Stunden nach Jinan bringen. Es gibt verschiedene Zug-Kategorien und die G-Kategorie ist die schnellste Zug-Klasse mit Reisegeschwindigkeiten um die 300 km/h. Die ganz schnellen Biester pflügen sogar mit 400 km/h durch das Land. Es handelt sich um hochmoderne Schnellzüge, die teilweise baugleich zu den deutschen ICE-Zugverbänden sind. Wir trafen mit einer halbstündigen Verspätung erst nach 12:00 Uhr ein, wobei ich gar nicht weiß, wo wir Zeit verloren haben, da es nur drei Stopps gab und das Viech ständig mit über 300 Sachen durch die Landschaft schoss, wie die digitale Anzeige im Wagon verriet. Zum 'Litian Hotel' waren es keine zehn Minuten Fußweg.
Für 45 Euro gab es ein sehr gutes Zimmer inklusive Frühstück in einem recht luxuriösen Hotel-Klotz. Außerhalb der Touri-Hochburgen wird es halt günstig. Der Check-in erinnerte mich an die damalige Prozedur in der usbekischen Provinz. Mangels gemeinsamer Sprach-Kenntnisse legte uns der Rezeptionist tatsächlich vorbereitete ins Englische übersetzte Floskeln vor, die er phonetisch ablas. Funktionierte aber. Lange hielten wir uns nicht auf und ein Taxi brachte uns zum 15 Kilometer entfernten 'Olympic Sports Center Stadium' am Rande der chinesischen Kleinstadt von 5 Mio Einwohnern, von der ich noch nie vorher gehört hatte. Jinan, Hauptstadt der Provinz Shandong, war einer der Spielorte des olympischen Fußballturniers im Jahr 2008. Für nicht mal eine Hand voll Spiele wurde ein hochmoderner Stadion-Bau hierhin gezimmert. Der örtliche Club verließ darauf sein gammliges Stadion und zog in das moderne Rund. Schade, ein Kick in der alten Bude, die wir mit dem Taxi passiert hatten, wäre mir deutlich lieber gewesen. Das 'Sports Center Stadium' bietet 56tsd Plätze verteilt auf zwei Ränge und eine interessante Dachkonstruktion, die in den Kurven unterbrochen ist. Für ein Stadion mit Laufbahn ist es insgesamt ein ansehnliches, schickes Teil. Nachdem die Ticket-Frage mit Karten zu je 100 Risibisi geklärt war, setzten wir uns auf ein Bier in ein Restaurant, bevor wir das Stadion betraten. Der Tabellen-Zweite, der bisher mit voller Punktzahl glänzte, empfing den punktlosen Letzten aus dem knapp 1.700 Kilometer Luftlinie entfernten Guiyang in der Provinz Guizhou. In der letzten Saison saß bei Luneng Shandong übrigens noch Quälix Magath auf der Bank.
Dass es trotz der guten Tabellen-Position nicht sehr voll werden würde, konnte man bereits erahnen und am Ende fanden sich imerhin mehr als 26tsd Zuschauer zur Spielbeobachtung ein, was wiederum die Frage aufwirft, warum man nicht in der kleineren alten Bude in der Stadt geblieben ist, dort wäre die Sache sicherlich stimmungsvoller abgelaufen.
Aber ich will nicht klagen, erlebten wir doch die beste Atmosphäre bisher hier in China. Bedingt durch eine gute Akustik kam eine gut aufgelegte 'Curva Nord' gar nicht mal so übel rüber. Dazu war die Kurve exzellent beflaggt, das sah mal richtig gut aus, auch wenn Orange nicht unbedingt die von mir favorisierte Club-Farbe ist. Es gab auch hier noch drei weitere Gruppen im Stadion, die aber nicht großartig in Erscheinung traten. Der Sinn erschließt sich mir eh nicht. Da ich hier nix erwartet hätte, verpasste ich es glatt, das Kassenrollen-Intro fotografisch festzuhalten. Zum Spiel-Niveau ist schon alles geschrieben. Bei nun drei gesehenen Spielen konnte sachlich festgestellt werden, dass das Niveau der CSL nicht weit über durchschnittlicher deutscher Drittliga-Stärke liegt. Jede ambitionierte deutsche Zweitliga-Truppe, dürfte die CSL klar dominieren. Fußball scheint einfach kein Sport für die kleinen Chinesen zu sein, anders ist nicht zu erklären, dass man unter 1,2 Milliarden nicht mal ein paar hundert findet, die vernünftig vor die Kirsche treten können. Etwa 80 Gäste wurden in den Oberrang hinter dem südlichen Tor verfrachtet und drückten ihrem Team die Däumchen. Und das mit überraschendem Erfolg, weil die Gastgeber dann ein Lehrbeispiel darin abgaben, wie man mit 100% Spielkontrolle und 75% Ballbesitz eine Partie verlieren kann und drei Punkte wanderten unerwartet in den Südwesten des alten Kaiserreiches. Wir wanderten auch, aber nur ein paar Treppen nach unten, da wir unmittelbar an der das Stadion umlaufenden Straße eine große Bier-Bar entdeckt hatten, in der wir auch endlich mal gute gezapfte Getränke serviert bekamen. Die dünne Dosenplörre, von denen viele nicht mehr als 3,5% oder 4% haben, hing einem ja auch langsam zum Hals raus. In der Bar schmeckte es nach mehr, was wir dann auch umsetzten und leicht angetüddelt mit dem Taxi zurück zum Hotel fuhren. Dort in der Nähe ließen wir uns noch ein paar schöne Spießchen servieren und verzogen uns mit weiteren Getränken ins Zimmer.
02.04. - Shanghai
Viertel vor acht klingelte der Wecker. Nach dem gewöhnungsbedürftigen Frühstück – wenn dasselbe Buffet zum Mittagessen aufgebaut worden wäre, hätte ich es als normal empfunden – latschten wir die kurze Strecke zum Bahnhof, von dem uns ein weiterer Zugverband der G-Kategorie in viereinhalb Stunden mit einem halben Dutzend Stopps die knapp 900 Kilometer nach Shanghai befördern sollte. Das ging im wahrsten Sinne des Wortes zügig. Der Zielbahnhof ‚Hongqiao‘ liegt weit im Westen der Stadt und ist gigantisch groß. Satte 30 Bahnsteige gibt es und der Bahnhof erinnert mit seiner ganzen Infrastruktur an einen nicht zu kleinen Flughafen.
Mit der Metro-Linie 2 ging es in 45 Minuten quer durch Shanghai beziehungsweise darunter hindurch bis zum Century Park in Pudong im Osten. Es fällt vor allem in den Metro-Bahnen auf, dass der Chinese an sich noch Smartphone-gesteuerter ist, als der Europäer. Annähernd jede/r hält den Blick gebannt auf sein Smartphone gerichtet und schaut Filme oder Serien, durchforstet das Internet oder spielt sinnlose Spiele. Wenn wir nackt durch die U-Bahn gelatscht wären - es wäre sicherlich keinem aufgefallen, so abgelenkt sind die kleinen Chinesen. Nach 15 Minuten Fußweg bezogen wir ein Zimmer in einem 'Home Inn‘, einem Haus einer bodenständige Kette im Stil der ‚Ibis Budget‘-Dinger. Ein wenig musste ich erst einmal die Füße hochlegen, da ich morgens mit kleinen Kreislaufproblemchen zu kämpfen hatte und dann starteten wir in die Downtown der 15 Millionen-Metropole. Die Metro brachte uns zur Nanjing East Road. Dass die belebte Einkaufsstraße ein Touri-Spot ist, merkte man vor allem daran, dass an jeder Ecke jemand lauerte, der gefälschte Taschen und Uhren anbot und, wenn man dieses ablehnte, wahlweise auch Drogen oder Nutten offerieren konnte. Unser Interesse hielt sich dennoch in Grenzen. Eigentlich wollten wir uns mit dem aus Friesland stammenden Bayer 04-Anhänger Pascal treffen. Pascal arbeitet an einer Erziehungseinrichtung für deutsche Kinder und lebt seit etwas mehr als einem Jahr in Shanghai. Den Kontakt hatte ich im letzten Jahr vor meiner Lateinamerika-Tour aufgebaut, da er zuvor mehrere Jahre eine vergleichbare Tätigkeit in der ecuadorianischen Hauptstadt Quito ausgeübt und mir dankbarer Weise ein paar Fragen zum Land beantwortet hatte.
Der Plan schlug aber fehl, da ein paar SMS nicht durchgingen und wir uns deshalb nicht fanden. Da es mittlerweile dunkel war, latschten wir zum Ufer des Huangpu-Flusses, um die atemberaubende Skyline anzuglotzen.
Und diesen Ausblick bietet die Uferpromenade, die mit dem englischen Wort 'Bund', also gesprochen 'Band' bezeichnet wird. Warum sich die englische Bezeichnung durchgesetzt hat, erschließt sich mir nicht, denn der chinesische Name 'Waitan' ist nun auch nicht sonderlich kompliziert. Am 'Bund' stehen viele prunkvolle Gebäude im kolonialen Stil, in den sich heute Finanz- und Wirtschaftskonzerne niedergelassen haben. Die Fassaden sehen schon sehr beeindruckend aus, vor allem wenn diese abends von Scheinwerfern angestrahlt werden. Der wahre Hingucker ist aber die gegenüberliegende Seite des Huangpu, wo sich die sicherlich jedem bekannte Glitzer-Skyline des Stadtbezirks Pudong auftürmt. Zahlreiche bunt beleuchtete Wolkenkratzer, von denen der in sich verdrehte 'Shanghai Tower' mit 632 Metern der höchste und auch der dritthöchste Skycraper der Welt ist. Bekannter ist aber sicherlich der 468 Meter hohe futuristisch wirkende 'Oriental Pearl Tower', den man auch für ein überdimensionales perverses Sex-Spielzeug halten kann. Der 'Bund' ist natürlich gerade am Abend sehr überlaufen, weil die Pudong-Skyline dann ein farbenprächtiges Motiv abgibt, dass auch von chinesischen Hochzeitspaaren gerne für das ultimative Trau-Foto genutzt wird. Wir ließen das auch alles in Ruhe auf uns wirken, bevor wir uns in einer offenen Bar auf der Jinang East niederließen, um viel zu teures Import-Bier zu trinken, aber das war es uns wert... wie gesagt... siehe oben - nach mehrtägigem Konsum des China-Zeugs, kann man dieses einfach nicht mehr sehen. Auf dem Rückweg zum Hotel verzehrten wir noch eine Hand voll Fleischspieße bevor wir müde in die Federn fielen.
Di 03.04. 15:30 – Shanghai Shenhua FC vs Kashima Antlers 2:2 (AFC Champions League), 20.028 Zuschauer (120 Gäste)
Heute konnten wir auspennen, was Daniel besser ausnutzte als ich. Ich latschte mal zum nächsten Supermarkt. Keine Ahnung, ob es tatsächlich an der Klima-Umstellung lag oder mich sonst irgendwas ärgerte, aber bei gut 26 bis 27 Grad schaltete mein Kreislauf wieder auf Notstrom. Also legte ich mich noch mal hin und schlief ein Stündchen, so dass wir erst gegen 14:00 aufbrachen. Ich hatte was von einer Linien-Fähre gelesen, die den Huangpu entlang eiert und hier und dort hält, und welche einen guten Ausblick vom Fluß auf die Stadt bieten soll. Mit Metro und auf Schusters Rappen steuerten wir einen vermeintlichen Abfahrtspunkt an, aber die dortige Fähre ermöglichte nur den Wechsel ans andere Ufer. Wir flanierten die erstaunlich schön hergerichtete Uferpromenade entlang in der Hoffnung, den richtigen Anleger zu finden, was aber nicht gelang und wir letztlich die Info erhielten, dass es eine entsprechende Fähre gar nicht geben soll, was aber wiederum diversen Online-Quellen widerspricht. Jedenfalls musste das Vorhaben als gescheitert erklärt werden und wir spazierten einfach vor uns hin, bis wir wieder gegenüber des Bund ankamen und den Block auf die Pudong-Skyline bei Tageslicht genossen, was ja nicht weniger beindruckend aussieht, als am Abend. Dann war es auch schon Zeit, sich zum Treffpunkt mit Pascal aufzumachen.
Dieses Mal fanden wir uns auch, was schon aus dem Grunde gut war, dass er uns Tickets für das Spiel besorgt hatte. Knappe zwei Stunden vor dem Anstoß trafen wir uns direkt an der Metro-Station am 'Hongkou Football Stadium' und hatten noch genügend Zeit, uns bei ein paar Bieren und einer Ladung Fleischspießen auszutauschen und uns vom Leben in Shanghai erzählen zu lassen. Offensichtlich scheint es nicht so einfach, der einheimischen Bevölkerung näher zu kommen, zu groß sind die Ressentiments und das fehlende Verständnis für die gegenseitigen Lebensweisen. Wunderte mich nach dem gemachten Beobachtungen aber auch eher wenig. Eine halbe Stunde vor Kick off betraten wir dann das reine Fußballstadion. Weiß zu gefallen die Bude. 30tsd finden im komplett überdachten Ground mit Unter- und Oberrang Platz.
Hinter den Toren ist nur der Unterrang dem gemeinen Volke vorbehalten, darüber befinden sich beinahe ausschließlich Logen. Die Geraden schwingen sich höher auf als die Hintertor-Tribünen. Beide Kurven waren sehr gut beflaggt und dort befinden sich auch die größten Support-Gruppen. Eine weitere war auf einer der Geraden auszumachen. Auch hier wurde leider nur selten zusammen gearbeitet, aber wenn alle gemeinsame Sache machten, wurde es gut laut, obwohl die Hütte nur zu zwei Dritteln gefüllt war. Die engere Bauweise und die Komplett-Überdachung ermöglichten eine deutlich bessere Akustik, als die in den Spielen zuvor erlebte.
Schön war, dass annähernd 100% der Besucher die Partie stehend verfolgten. Im All-Seater wohlbemerkt. Shenhua fand einen guten Start in die Partie. Die Gäste aus Japan, die von etwas mehr als 100 Fans begleitet wurden, waren als souveräner Tabellenführer der Gruppe favorisiert und die Hausherren mussten zwingend gewinnen, um sich noch eine Chance auf die K.O.-Spiele zu erhalten. Früh ging Shenhua durch einen Foulelfmeter in Führung, der vom unumstrittenen Star, dem Kolumbianer Moreno, der bereits seit sechs Jahren für Shenhua aufläuft, verwandelt wurde. Nur zehn Minuten später folgte Treffer Nummer zwei und es wären bis zum Seitenwechsel noch weitere möglich gewesen. Unverständlicherweise stellten die Gastgeber nach der Pause aber das Spielen ein und verlegten sich aufs Kontern. Was schief ging, denn nach einer Stunde Spielzeit kamen die Antlers innerhalb von fünf Minuten zum letztlich verdienten Ausgleich. In der Schlußphase gab Shenhua zwar noch mal ordentlich Gas und es kam zu turbulenten Szenen im Kashima-Sechzehner, das Netz beulte sich aber nicht mehr. Für Shenhua bleibt dank der zeitgleichen Niederlage der Südkoreaner aus Suwon gegen Sydney trotzdem noch eine minimale Chance auf den Verbleib im Wettbewerb. Wir verabschiedeten Pascal an der Metro - Danke für die Unterstützung, vielleicht sieht man sich wieder mal in der Heimat oder sonstwo in der weiten Welt - und fuhren mit einem Umstieg zum Hotel zurück, wo noch ein paar wenige Stunden Schlaf auf uns warteten.
Mi 04.04. - Heimreise
Viel gibt es dann auch nicht mehr zu berichten. Um halb fünf saßen wir im Taxi zum gut 30 Kilometer außerhalb liegenden 'Pudong International Airport' und mit Emirates gings es mit zwei Mal A380 in die Heimat. Langstrecke ist ja nicht mein Hobby, da plagt mich dann auch gern mal die Langeweile, wobei das Inseat-Entertainment der Araber wenig Wünsche offen lässt. Über neun Stunden bis Dubai und dann noch einmal sechs nach Düsseldorf reichten dann auch und ich war echt durch, als ich nach 20:00 die eigenen vier Wände betrat und die Herzdame in die Arme schließen konnte. Noch ein Wort zur Volksrepublik China. Eigentlich hatte ich kein großes Interesse an diesem Land, sondern es passierte ja eher zwangsläufig, das es nunmal Ausgangsort nach Nordkorea war. Am Ende hat es mir etwas besser gefallen als befürchtet, restlos überzeugt bin ich aber nicht. Die chinesische Kultur weckt nun einmal nicht mein Interesse. Allerdings fällt ein gerechtes Urteil auch schwer, denn dieses riesige Land bietet ja nun ein Vielfaches mehr als Mauer, Verbotene Stadt und die Skyline von Shanghai. Dass wir fast nur in den Millionenstädten waren, verfälscht das Bild völlig und bei den ganzen hohen Häusern, die sich ja irgendwie alle ähneln, bekommt man irgendwann einen Hochhaus-Tunnelblick. Außerdem fehlte mir irgendwie der Gammel, den ich aus osteuropäischen oder lateinamerikanischen Ländern zu schätzen weiß. Ich hab es mir insgesamt auch etwas chaotischer vorgestellt, war von der relativen Aufgeräumtheit etwas überrascht. Irgendwie hat man als Europäer aber doch seine Mühe mit den Gepflogenheiten dieses etwas eigenwilligen Volkes, daher wird es wohl bei einem einmaligen Besuch bleiben.